Gamergate-Kontroverse

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GamerGate-Kontroverse bezeichnet eine Online-Belästigungskampagne, die im Jahr 2014 unter dem Hashtag #GamerGate begann und die als Ausdruck eines Online-Kulturkampfes um Fragen von Sexismus in der Videospielbranche gesehen wird.

Auslöser war ein Vorfall um die in der Spieleentwicklung tätige Person Zoë Quinn – Quinn ist nichtbinär und bevorzugt eine geschlechtsneutrale Ansprache.[1] Im August 2014 veröffentlichte Eron Gjoni, ein Ex-Freund von Quinn, einen längeren Blogbeitrag über seine Beziehung zu Quinn. Er behauptete darin, der Computerspiele-Journalist Nathan Grayson[2] vom Online-Magazin Kotaku, mit dem Quinn eine kurze Affäre hatte, habe über das von Quinn entwickelte Spiel Depression Quest eine positive Kritik veröffentlicht, ohne die Beziehung zu Quinn offenzulegen.[3] Später zeigte sich, dass Grayson Quinn nur ein einziges Mal in einem Text kurz erwähnt hatte, und zwar nicht während ihrer Beziehung und auch nicht im Gamebereich.[4] Diese Anschuldigungen lösten die GamerGate-Kontroverse aus.

Zu den Belästigungskampagnen gegen Quinn und andere gehörten Doxing, Vergewaltigungs- und Morddrohungen.[5][2] Durch E-Mail-Kampagnen wurden Firmen wie Intel (die sich im Nachhinein dafür entschuldigten) dazu gebracht, keine Werbung auf Seiten, die die Gamergate-Kampagne kritisiert hatten, zu schalten.[6] Der zugehörige Hashtag wurde vom Schauspieler Adam Baldwin initiiert und auf der rechtsextremen Website Breitbart vorgestellt.[7][8] In der Folge wurden aber auch weitere, vor allem feministische und queere Spieleentwicklerinnen, Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen zum Gegenstand der Kampagne, so zum Beispiel die Bloggerin Anita Sarkeesian, die eine Videoserie über Frauen in Computerspielen veröffentlicht hatte und die wie Quinn durch die Attacken und Drohungen gezwungen war, die eigene Wohnung zu verlassen.[8][9] Ein von Sarkeesian geplanter Vortrag an der Utah State University wurde nach der Androhung eines Attentats abgesagt.[10] Als „Hauptquartiere“ der GamerGate-Bewegung wurden Foren wie 4chan und reddit bezeichnet, aber auch auf Twitter und YouTube gab es entsprechende Kampagnen.[11][7] Nachdem 4chan begann, Gamergate-Inhalte strikter zu moderieren und zu löschen, wichen viele Nutzer auf Plattformen wie 8chan aus.[6] Weil es höchstens eine lose Organisationsstruktur gab, sind Aussagen über die jeweiligen Motive und die Zusammensetzung der Beteiligten, die auch als GamerGater bezeichnet werden, schwer zu treffen.[9] Um Vorwürfe des Sexismus und der Misogynie abzuwehren, starteten 4chan-Benutzer den Hashtag #NotYourShield. Viele der Beiträge mit diesem Hashtag, die den Eindruck erweckten von marginalisierten Gruppen zu stammen, wurden laut Recherchen von Ars Technica allerdings mit Hilfe von Sockenpuppen-Accounts und aus dem Internet gefundenen, falschen Profilbildern verbreitet.[12][13][14][6]

Als Reaktion auf die Belästigungskampagne der Gamergater solidarisierten sich auf der anderen Seite zahlreiche prominente männliche Gamer (wie Adam Sessler und Tim Schafer) mit Frauen und anderen marginalisierten Gruppen in der Gamer-Szene. Sie veröffentlichen ein Video, das die Benachteiligungen dieser Gruppen aufgriff, von denen sie als Männer verschont geblieben seien.[15][16]

Auch wenn in der Kampagne involvierte Akteure stets betonten, dass es ihnen um „Ethik im Computerspielejournalismus“ ging, wird die Kampagne von Wissenschaftlern und Experten vor allem als Belästigungskampagne wahrgenommen.[9][8][17] Wegen des Fokus auf Frauen wurde die Kampagne zudem als misogyn und sexistisch eingestuft[18][19], und es wurden Überschneidungen zu Gruppen der sogenannten Manosphere aufgezeigt.[6] GamerGate wurde als Ausdruck eines Kulturkampfes gedeutet[20][21] und in den Kontext eines allgemeinen Anti-Genderismus eingeordnet, der als das verbindende Element der Neuen Rechten gesehen wird.[22] Jessica O’Donnell verweist auch darauf, dass Sexismus und Antifeminismus in der Spiele-Industrie und Gaming-Communities bereits vor dem Beginn von Gamergate kritisiert wurden.[6]

In The New Republic sah Vlad Chituc auf der einen Seite des Kampfes Befürworter uneingeschränkter Meinungsfreiheit und auf der anderen Seite eine Gruppe, der der Schutz Marginalisierter besonders wichtig sei.[23] In der Washington Post sah Caitlyn Dewey „auf einer Seite unabhängige Spielemacher und -kritiker, darunter viele Frauen, die sich für mehr Inklusivität im Gaming einsetzen. Auf der anderen Seite findet sich eine bunte Mischung hasserfüllter Schwarzseher: Misogynisten, Antifeministen, Trolle, Menschen, die sich von der linken und/oder korrupten Presse manipuliert fühlen, und Traditionalisten, die nur wollen, dass sich ihre Spiele nicht ändern“.[8]

Neben vielen Gamergatern, die durchaus in einer finanziell und sozial privilegierten Position gegenüber den attackierten Personen seien, sieht Mortensen in der Bewegung aber auch einige arbeitslose sehr junge Menschen mit vergleichsweise geringen Bildungsabschlüssen oder sozialen Problemen, die die zunehmende Inklusion von Frauen in der Videospielszene möglicherweise als Bedrohung für „die einzige Sache, die ihnen wertvoll ist,“ gesehen hätten.[9] Auch der Kriminologe Michael Salter sieht in GamerGate und den damit einhergehenden Attacken gegen Frauen einen Versuch, eine Technik-Männlichkeit, also einen Fokus auf Technologie und Computer zu bewahren, die viele Jungen und Männer gepflegt hätten, um mit Unsicherheiten und Ambiguitäten umzugehen, die eigentlich aus tieferliegenden politischen Problemen stammten.[14] Im Jacobin beschreibt Jöran Klatt einen zeitgenössischen Feminismus, der die Klassenpolitik vernachlässigt und sich mit den herrschenden ökonomischen Verhältnissen zu einem „progressiven Neoliberalismus“ verbunden habe. Dieser sei die „Steilvorlage“ dafür gewesen, dass der Feminismus zum Feindbild und zur Projektionsfläche für diese tieferliegenden politischen Probleme werden konnte.[22]

Laut Michael Salter hat GamerGate zu einer „Kultur der Angst“ geführt, von der vor allem Frauen im Bereich Gaming, aber auch auf Social Media generell betroffen seien.[14] Simon Strick sieht in GamerGate den Wandel eines Feindbildes: Zuvor seien innerhalb der Community vor allem Konservative als Bedrohung für Gamingkultur wahrgenommen worden, mit Gamergate sei „die Plattform YouTube, deren Nutzer*innen vorher weitgehend antikonservativ waren, hegemonial antifeministisch [geworden]“.[20] GamerGate wird als wichtiger Faktor in der Entstehung der Alt-Right gesehen.[20][24] Parallelen werden nicht nur in Bezug auf die demographische Zusammensetzung (primär bestehend aus jungen, weißen Männern) wahrgenommen, sondern auch in Bezug auf die Rhetorik, die sich z. B. bei beiden Bewegungen gegen sogenannte Snowflakes oder Social Justice Warriors richtete. An der GamerGate-Kampagne waren zudem für die Alt-Right wichtige Akteure wie Milo Yiannopoulos und die Website Breitbart maßgeblich beteiligt.[25][13] Patrik Hermansson et al. stellen fest, GamerGate habe geholfen, „die rhetorischen Strategien zu formen, in denen auf beleidigende Weise Vorurteile über Minderheiten und sowohl linke als auch rechte Gegner verbreitet werden und diese lächerlich gemacht werden“ und habe zudem auch die Taktik geformt, über Social Media Fehlinformationen zu verbreiten und Medien zu manipulieren. Die Kampagne habe außerdem dazu beigetragen, junge Männer für antifeministische Bewegungen innerhalb der Manosphere zu gewinnen.[19] Auch während GamerGate zur Anwendung gekommene Taktiken wie Doxing, Trolling und offene Gewaltandrohungen fanden im Anschluss Eingang in das Repertoire rechtsextremistischer Bewegungen.[26]

  • Anita Sarkeesian und Katherine Cross: Your Humanity is in Another Castle: Terror Dreams and the Harassment of Women. In: Daniel Goldberg, Linus Larsson (Hrsg.): The state of play: creators and critics on video game culture. Seven Stories Press, New York 2015, ISBN 978-1-60980-639-2, S. 103–126.
  • Zoë Quinn: Crash Override: How Gamergate (Nearly) Destroyed My Life, and How We Can Win the Fight Against Online Hate. PublicAffairs, New York 2017, ISBN 978-1-61039-808-4.
  • Patrick Stegemann und Sören Musyal: Die rechte Mobilmachung: Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen S. 38 ff, 24. Januar 2020, 304 Seiten, ISBN 978-3-430-21022-5.
  • Jessica O’Donnell: Gamergate and Anti-Feminism in the Digital Age. Palgrave Macmillan, 2022, ISBN 978-3-031-14056-3.

Einzelnachweise

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  1. Personalpronomina wie er oder sie sollten daher vermieden werden. Das im englischsprachigen Raum verbreitete they als Ansprache nichtbinärer Personen ist im Deutschen unübersetzbar. Lee Hibbard: What Feminism Looks Like: Gender, Coming Out, and Gamer Culture. In: nymgamer.com. Samantha Blackmon, Purdue University, 16. Januar 2017, abgerufen am 13. März 2020 (englisch).
  2. a b Morten Freidel: „Gamergate“: Wenn Kritik kommt, hört das Spiel auf. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung – faz.net. 28. Oktober 2014, abgerufen am 1. April 2020.
  3. Bob Stuart: #GamerGate: the misogynist movement blighting the video games industry. In: telegraph.co.uk. 24. Oktober 2014, abgerufen am 1. April 2020 (englisch).
  4. Emma Carmichael: The Future Of The Culture Wars Is Here, And It's Gamergate. In: deadspin.com. G/O Media, 14. Oktober 2014, abgerufen am 2. April 2020 (englisch).
  5. Michael Salter: Crime, Justice and Social Media. Taylor & Francis, 2016, ISBN 978-1-317-41906-8 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. a b c d e Jessica O’Donnell: Gamergate and Anti-Feminism in the Digital Age. Springer International Publishing, Cham 2022, ISBN 978-3-03114056-3, doi:10.1007/978-3-031-14057-0 (springer.com [abgerufen am 22. Oktober 2022]).
  7. a b Andrea Braithwaite: It’s About Ethics in Games Journalism? Gamergaters and Geek Masculinity. In: Social Media + Society. Band 2, Nr. 4, Oktober 2016, ISSN 2056-3051, S. 205630511667248, doi:10.1177/2056305116672484 (sagepub.com [abgerufen am 2. Juni 2021]).
  8. a b c d Caitlin Dewey: The only guide to Gamergate you will ever need to read. In: Washington Post. 14. Oktober 2014, ISSN 0190-8286 (washingtonpost.com [abgerufen am 30. Mai 2021]).
  9. a b c d Torill Elvira Mortensen: Anger, Fear, and Games: The Long Event of #GamerGate. In: Games and Culture. Band 13, Nr. 8, Dezember 2018, ISSN 1555-4120, S. 787–806, doi:10.1177/1555412016640408 (sagepub.com [abgerufen am 30. Mai 2021]).
  10. Nick Wingfield: Feminist Critics of Video Games Facing Threats in ‘GamerGate’ Campaign. In: The New York Times. 15. Oktober 2014, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 2. Juni 2021]).
  11. Morten Freidel: „Gamergate“: Wenn Kritik kommt, hört das Spiel auf. 28. Oktober 2014, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 31. Juli 2019]).
  12. Casey Johnston: Chat logs show how 4chan users created #GamerGate controversy. In: Ars Technica. 9. September 2014, abgerufen am 7. Juni 2021 (amerikanisches Englisch).
  13. a b Adrienne L. Massanari: Gamergate. In: The International Encyclopedia of Gender, Media, and Communication. American Cancer Society, 2020, ISBN 978-1-119-42912-8, S. 1–5, doi:10.1002/9781119429128.iegmc014 (wiley.com [abgerufen am 30. Mai 2021]).
  14. a b c Michael Salter: Crime, justice and social media. Routledge, London 2017, ISBN 978-1-138-91966-2, S. 55 ff.
  15. Kashmira Gander: GamerGate: Men acknowledge their privileges in '25 Invisible Benefits of Gaming while Male' video. In: The Independent. 9. Dezember 2014, abgerufen am 9. Juni 2021 (englisch).
  16. Amanda Wallace: Feminist Frequency Releases "25 Invisible Benefits of Gaming While Male". In: GameSkinny. 5. Dezember 2014, abgerufen am 9. Juni 2021.
  17. Adrienne Massanari: #Gamergate and The Fappening: How Reddit’s algorithm, governance, and culture support toxic technocultures. In: New Media & Society. Band 19, Nr. 3, März 2017, ISSN 1461-4448, S. 329–346, doi:10.1177/1461444815608807 (sagepub.com [abgerufen am 30. Mai 2021]).
  18. Michael James Heron, Pauline Belford, Ayse Goker: Sexism in the circuitry: female participation in male-dominated popular computer culture. In: ACM SIGCAS Computers and Society. Band 44, Nr. 4, 8. Dezember 2014, ISSN 0095-2737, S. 18–29, doi:10.1145/2695577.2695582.
  19. a b David Lawrence, Joe Mulhall, Simon Murdoch: The international alt-right : fascism for the 21st century? Abingdon, Oxon 2020, ISBN 978-0-429-62709-5, S. 126 ff., 171 f.,.
  20. a b c Simon Strick: Rechte Gefühle Affekte und Strategien des digitalen Faschismus. transcript, Bielefeld 2021, ISBN 978-3-8394-5495-4, S. 215 ff.
  21. Chris Ip: How do we know what we know about #Gamergate? In: Columbia Journalism Review. 23. Oktober 2014, abgerufen am 2. Juni 2021 (englisch).
  22. a b Jöran Klatt: Wie #GamerGate Trump zum Wahlsieg verhalf. In: Jacobin. Abgerufen am 3. Juni 2021.
  23. Vlad Chituc: GamerGate: A Culture War for People Who Don't Play Video Games. In: The New Republic. 11. September 2015, ISSN 0028-6583 (newrepublic.com [abgerufen am 2. Juni 2021]).
  24. Matt Lees: What Gamergate should have taught us about the 'alt-right'. In: The Guardian. 1. Dezember 2016, abgerufen am 30. Mai 2021 (englisch).
  25. Kristin MS Bezio: Ctrl-Alt-Del: GamerGate as a precursor to the rise of the alt-right. In: Leadership. Band 14, Nr. 5, Oktober 2018, ISSN 1742-7150, S. 556–566, doi:10.1177/1742715018793744 (sagepub.com [abgerufen am 30. Mai 2021]).
  26. Garrison Wells, Agnes Romhanyi, Jason G. Reitman, Reginald Gardner, Kurt Squire, Constance Steinkuehler: Right-Wing Extremism in Mainstream Games: A Review of the Literature. In: Games and Culture. Band 19, Nr. 4, Juni 2024, ISSN 1555-4120, S. 469–492, doi:10.1177/15554120231167214 (sagepub.com [abgerufen am 3. September 2024]).