„Virtue signalling“ – Versionsunterschied

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Version vom 12. Februar 2020, 22:21 Uhr

Virtue signalling (amerikanisches Englisch: virtue signaling) bezeichnet die angebliche Zur-Schau-Stellung einer eigenen – vermeintlich hochgeschätzten – moralischen Einstellung.

Verwendung

Der englische Begriff virtue signalling ist seit spätestens 2004 im Gebrauch. Größere Bekanntheit fand er durch einen Artikel des britischen Journalisten James Bartholomew in der konservativen Zeitschrift The Spectator im April 2015.[1][2] Als Beispiele für virtue signalling wurden die Änderung des Facebook-Profilbildes, um seine Unterstützung für ein bestimmtes Anliegen zu zeigen, die Teilnahme an der ALS Ice Bucket Challenge, öffentlich ausgedrückte „Gedanken und Gebete“ (thoughts and prayers) für Opfer von Katastrophen oder der Ausdruck von Überzeugungen durch Hashtags auf sozialen Medien genannt. Den Kritikern zufolge, die ein virtue signalling behaupten, würden die Absender mit diesen Gesten ihre vermeintliche Tugendhaftigkeit und moralische Überlegenheit zum Ausdruck bringen wollen, um Anerkennung zu gewinnen, ohne wirklich entsprechende Überzeugungen zu haben bzw. in der Praxis danach zu handeln.[3]

Er wurde zum Kampfbegriff amerikanischer Konservativer gegen Liberale und Linke, etwa auf der rechten Nachrichtenwebsite Breitbart.[3]

Kritik an Begriffsverwendung

David Shariatmadari kritisierte 2016 im britischen Guardian den Gebrauch des Schlagworts virtue-signalling. Dies sei eine „Herabsetzung“, die „ihr Haltbarkeitsdatum überschritten“ habe. Es sei eine „hübsche, prägnante Phrase“, noch dazu „sozialwissenschaftlich angehaucht“, mit der man einen Diskussionsgegner oberflächlich aussehen lassen könne, während man selbst den Anschein erwecke, in einen anspruchsvollen Diskurs eingeweiht zu sein. Der Vorwurf des virtue-signalling würde aber das Kind mit dem Bade ausschütten: Bloß weil jemand eine in gewissen Kreisen angesehene Meinung vertrete, dürfe man nicht darauf schließen, dass er dies nur aus Eitelkeit tue.[2] Auch der neoliberale Ökonom Sam Bowman vom Adam Smith Institute wies den Gebrauch des Ausdrucks virtue signalling zurück. Er sei ein beliebter, aber „dummer Begriff, der die Konzepte missbraucht, die er anführt, er fördert bequemes Denken und er ist scheinheilig.“[4]

Auch Jane Coaston nahm in der New York Times zum Begriff Stellung. Das Problem an „virtue signaling“, wörtlich übersetzt „Tugend-Signalisierung“, sei nicht das Signalisieren, jeder signalisiere jederzeit über alle möglichen Dinge. Die Kritik an einem „virtue signaling“ würde die Tugend selbst betreffen und sie würden selber signalisieren, pragmatisch mit schmerzhaften Tatsachen umgehen zu können.[5] So auch der Professor für Philosophie Neil Levy, übersetzt vom Tagesspiegel: „Die Ironie dieses Vorwurfs liegt darin, dass man, umgekehrt, die Kritik am offensiven Zurschaustellen von Moral wiederum als Fall von offensivem Zurschaustellen von Moral sehen könnte – nur eben für ein anderes Publikum.“[6]

Übersetzung

Nach Auffassung von Markus Schär in der NZZ von Anfang Februar 2020 gebe es noch keine gängige Entsprechung im Deutschen.[7] So fragte auch Harald Martenstein im Zeit-Magazin von Juni 2018, „Wie könnte man das übersetzen? "Tugendsignalisierung" geht wohl kaum. Demonstrative Gutheitsbekundung?“[8]

Als deutsche Entsprechung wurde wiederholt das Wort „Tugendprotzerei“ verwendet.[9][10][6][11] Es findet sich auch wiederholt „Tugendprahlerei“.[12][9], vereinzelt auch „Tugendmeldung“.[13]

Signalling in der Evolutionsbiologie

Weiblicher und männlicher Pfau; Beispiel für Signalling in der Biologie

Unter dem Begriff Signaling (amerikanisches Englisch, deutsch ‚Signale aussenden‘) wird bestimmtes Tierverhalten behandelt. Bekannte Beispiele sind die Präsentation der Schwanzfedern beim männlichen Pfau oder des Geweihs beim männlichen Elch. Der Begriff Signaling wurde in dieser Bedeutung auch auf moralische Werte beim Menschen übertragen, lange bevor es den Ausdruck virtue signalling gab. Das Zur-Schau-Stellen eigener moralischer Werte biete Information für andere und ermögliche Einfluss auf die sexuelle Selektion.[14][15][16]

Siehe auch

Literatur zu "virtue signalling"

Einzelnachweise

  1. James Bartholomew: The awful rise of 'virtue signalling'. In: The Spectator. 18. April 2015, abgerufen am 7. Januar 2020.
  2. a b David Shariatmadari: 'Virtue-signalling' – the putdown that has passed its sell-by date. In: The Guardian, 20. Januar 2016.
  3. a b Mark Peters: Virtue signaling and other inane platitudes. In: Boston Globe, 24. Dezember 2015.
  4. Sam Bowman: Stop saying 'virtue signalling'. Adam Smith Institute, 27. Mai 2016.
  5. ‘Virtue Signaling’ Isn’t the Problem. Not Believing One Another Is. In: nytimes.de, 8. August 2020, abgerufen am 12. Februar 2020.
  6. a b Neil Levy: Philosophie-Professor erklärt das Gute am Gutmenschentum. In: Der Tagesspiegel, 2. Februar 2020 (archivierte Version vom 27. Februar 2020). Englisches Original: Is virtue signalling a perversion of morality? In Aeon Ideas, 29. November 2019.
  7. Markus Schär: Nicht tugendhaft sein, sondern tugendhaft scheinen: Warum das «virtue signaling» der Menschheit nicht unbedingt hilft, aber zum Menschsein gehört. In: Neue Zürcher Zeitung. 5. Februar 2020, Abgerufen am 11. Februar 2020.
  8. Harald Martenstein: Über bequeme Tugenden. In: Zeit. Nr. 26, 2018, Abgerufen am 12. Februar 2020.
  9. a b Bernhard Löhri: Sachzwänge und deutsche Tugendprotzerei. In: Die Presse, 24. November 2015.
  10. Dominik Geppert: Die Europäische Union ohne Großbritannien: Wie es zum Brexit kam und was daraus folgt, in: Jürgen Rüttgers, Frank Decker (Hrsg): Europas Ende, Europas Anfang. Neue Perspektiven für die Europäische Union, Frankfurt a. Main 2017, S. 117–130, hier S. 126, Vorschau Google Books.
  11. Michael Bolzli: Wirtschaftspsychologe: «Coca-Cola wirkt unglaubwürdig». In: Nau, 28. Januar 2020.
  12. Jochen Buchsteiner: „Die Deutschen wirken sehr unsympathisch“. In: FAZ. 22. September 2015, Abgerufen am 12. Februar 2020.
  13. Lydia Lange: Weltanschauung, Sprache, Symbole und Moral. In: Sollen Wollen und Lassen Sollen. Springer, Wiesbaden 2019, S. 54, doi:10.1007/978-3-658-23371-6_3 (google.com).
  14. Walter Sinnott-Armstrong (Hrsg): Moral Psychology. The Evolution of Morality: Adaptations and Innateness. MIT Press, 2008, ISBN 978-0-262-19561-4, S. 209–268, Vorschau Google Books.
  15. Geoffrey F. Miller: Sexual Selection for moral Virtues. In: The Quarterly Review of Biology. 82. Jahrgang, Nr. 2, Juni 2007, ISSN 0033-5770, S. 97–125, doi:10.1086/517857 (englisch, psychologytoday.com [PDF]).
  16. Neil Levy: Tugendprotzerei kann nützlich sein. In: Der Tagesspiegel, 27. Januar 2020. Englisches Original: Is virtue signalling a perversion of morality? In Aeon Ideas, 29. November 2019.