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Donnerstag, 1. August 2024

Great Women #385: Alice Urbach

Wieder ist ein Quadrat - das sechzehnte - mit Fotos von 24 Frauen gefüllt. 384 Frauen habe ich inzwischen in meinem Blog porträtiert, seit ich die Anregung von Barbara Bee vor fast zehn Jahren aufgegriffen habe. Heute kommt die 385. Frau dran, eine österreichische Jüdin, deren geistiges Eigentum der Niedertracht, Habgier & Gewissenlosigkeit der Nazis und ihrer Nachgeborenen zum Opfer gefallen ist. Die Rede ist von Alice Urbach.

Alice Urbach kommt am 5. Februar 1886 als Alice Mayer in Wien in der österreichischen Doppelmonarchie in einer angesehenen & wohlhabenden Familie zur Welt. Ihr Vater Sigmund Mayer, im Pressburger Ghetto 1831 als Sohn eines Textilgroßhändlers geboren, selbst Kaufmann im Orient-Export mit Firmenhauptsitz in Alexandria, aber auch Kommunalpolitiker & Autor, ist zum Zeitpunkt ihrer Geburt schon 55 Jahre alt. 
Sigmund Mayer

Mayer, so seine spätere Urenkelin in ihrem Buch über die Großmutter, habe das Ghetto gehasst, weil er und seine Geschwister dort so gut wie nie lachen konnten und immer in Angst gelebt haben ( vergleiche auch mit diesem Post ). Schon vor seiner Geburt, 1848, ist es zu pogromartigen Ausschreitungen gegen die Pressburger Juden gekommen, und das  Ghetto verwüstet worden. Sigmund Mayer wird später in seiner Autobiografie sehr eindrücklich die Ereignisse in Pressburg und seine weiteren Schwierigkeiten in Wien darstellen.

Seine Ambitionen als junger Mann, Anwalt zu werden, hat er nach einer Infektion mit zeitweiliger Erblindung aufgeben müssen und sich schließlich im Familientextilgeschäft mit Erfolg engagiert.

Ab 1894 ist er in der "Österreichischen Israelitischen Union" als aktiver Kämpfer gegen den wachsenden Antisemitismus in der K.u.K. Monarchie maßgeblich aktiv. Vor dem ersten Weltkrieg liefert er sich Rededuelle mit dem antisemitischen Wiener Bürgermeister Karl Lueger, mit dem er zunächst als Konservativer gemeinsame ökonomische Einstellungen geteilt hat.

Mit Alices Mutter Pauline Gutmann, 1850 in Wien geboren, ist Sigmund Mayer in zweiter Ehe verheiratet. Mit ihr zusammen bekommt er nach fünf Kindern aus der ersten, geschiedenen Ehe drei weitere: Felix (*1884), Alice und Helene (* 1894). 
Der zweite Nordbahnhof von 1865 in der Leopoldstadt  -
für Zuwanderer das Tor zur Stadt

Alice wächst zunächst in der jüdisch geprägten Wiener Leopoldstadt in der Oberen Augartenstraße auf. Vor der Jahrhundertwende wird man nach Döbling ins angesehene Cottage-Viertel ziehen, der schönsten Wohngegend der Donaumetropole.

Das Mädchen gilt als hübsches Kind, hat aber nicht das Potential bzw. besondere Begabungen, um ein Wunderkind zu werden - das Ziel vieler jüdischer Eltern, die deshalb all ihren Kindern, egal ob Junge oder Mädchen, eine sehr gute Bildung zukommen lassen ( viele meiner Frauenporträts zeugen davon ). Zwar träumt Alice selbst von Höherem, muss aber erkennen, dass ihre Halbgeschwister und die kleine Schwester einfach intelligenter sind. Sie redet sich ihren Status in der Familienhierarchie damit schön, dass sie halt faul gewesen sei.

Den Vater bewundert und fürchtet sie, ist er eine sehr imposante Persönlichkeit trotz seines kleinen Wuchses. Mit seinen Kindern spricht er nur bei den Mahlzeiten, und die dürfen nur auf seine Fragen antworten. Die Mutter erfährt das Kind als echte Dame, die die Küche einer versierten Köchin überlässt. In diesem Raum fühlt Alice sich wiederum wohl & aufgehoben und sie träumt davon, dass sie einmal so gut wird kochen können, dass es dem Vater, einem Gourmet, ein Lächeln entlocken wird. 
Mit ihrer Schwester Helene
(ohne Jahr)

Auch sonst entspricht sie nicht dem Klischee des "süßen Mädels", welches für ihre Generation in Wien so maßgebend ist. Geboren in eine Textilhändlerdynastie gibt es keinen Mangel an schönen Kleidern und ihre "'Mehlspeisenfigur' mit üppigem Dekolleté" entspricht dem damaligen Schönheitsideal. 

Allerdings führt das ebenfalls vorherrschende rigide Moralkonzept auch bei ihr zu großer Angst vor der Sexualität. Die Erfahrungen ihrer älteren Halbschwestern mit ihren Ehemännern sind nicht gerade verlockend & verheißungsvoll. Alice würde gerne einer Ehe entgehen und Lehrling in einer der berühmten Wiener Konfiserien werden.

Doch Mädchen sind dort nicht zugelassen. Immerhin kann sie mit achtzehn eine exklusive, private Kochschule in der Nähe ihres Hauses besuchen. Ihre Künste probiert sie zu den Einladungen ihrer Eltern aus. Doch mit 26 Jahren ist ihre Schonfrist vorbei, droht sie doch nach damaliger Anschauung ein "spätes Mädchen" zu werden. Dem Vater kommt als Heiratsaspirant ein Dr. Maximilian Urban gerade recht, zehn Jahre älter als sie, und Alice fügt sich aus reiner Gefälligkeit ihren Eltern. Im Dezember 1912 wird sie in der Synagoge getraut.

Dass den Ehemann aus angesehener Familie ein "Schadchen", der jüdische Heiratsvermittler, aufgetrieben hat, ist durchaus wahrscheinlich. Aber nicht nur ein solcher, auch der künftige Ehemann kann an einer derart vermittelten Partie gut verdienen - Alice bringt als Mitgift immerhin 80 000 Kronen in die Ehe. 

Im September des darauffolgenden Jahres schenkt sie ihrem Sohn Otto Robert das Leben, November 1917 kommt Karl Friedrich zur Welt. Schon nicht ganz drei Jahre später, am 1. April 1920 stirbt Maximilian Urbach, 44jährig, nach kurzem Leiden "an einer Gehirngrippe", wie es verschleiernd in der Todesanzeige heißt.

In einer inoffiziellen Fassung ihrer Lebenserinnerungen wird Alice 1977 zu ihrer Hochzeit schreiben:

"... als ich mich zum Festessen hinsetzte, hatte ich nur einen Gedanken: Oh Gott, was habe ich getan!"  ( Quelle hier )

"Mit Max verheiratet zu sein war nicht nur eine sexuelle Enttäuschung, er stellte sich auch als großer sozialer Abstieg heraus", konstatiert ihre Enkelin Jahrzehnte später. Urbach ist nicht nur ein Fremdgänger, sondern auch ein Spieler gewesen. Mit ihm hat Alice das angenehme Döblinger Familienzuhause gegen eine Wohnung im Arbeiterviertel Ottakring tauschen müssen. Dort lernt sie die "schrecklichen Verhältnisse"  der Arbeiterschaft kennen, die unhygienischen Wohnverhältnisse, in der die "Motten", wie die Tuberkulose in Wien genannt wird ( siehe auch dieser und dieser Post ), grassieren, die Konflikte & Schlägereien unter den Bewohnern.

Der Erste Weltkrieg hat das ohnehin nicht wirklich erfreuliche Eheleben der Urbachs dann noch weiter belastet, und Alice fragt sich: 

"... wie konnte sich ein jüdischerMann so schlecht benehmen? Ich schämte mich entsetzlich, eine so schlechte Wahl getroffen zu haben. Wem hätte ich es auch erklären können? Meine Eltern waren alt, und man sprach nicht über Dinge, die sich im Schlafzimmer abspielten."

Ihre zweite Schwangerschaft kann sie sich unter diesen Umständen gar nicht erklären. Weil sie Angst vor einem durch Alkohol geschädigten Kind hat, rät ihr Mann ihr zur Abtreibung. Sie entscheidet sich anders. Aber eine Scheidung mag Alice mit einem Säugling auch nicht ins Auge fassen. 

Nach dem Zusammenbruch des Habsburger Reiches am Ende des 1. Weltkrieges bricht auch alles andere zusammen  - die Versorgung mit Lebensmitteln, Elektrizität und Heizmaterial wird knapp. Urbach verspielt, bevor er stirbt, noch den Erlös eines Diamantarmbandes seiner Ehefrau.

Es ist nachvollziehbar, dass Alice seinen Tod zunächst als Befreiung erlebt. Doch dann muss sie realisieren, dass sie wirtschaftlich vor dem Nichts steht. Den Vater will sie nicht behelligen, denn der hat ja ausreichend in ihre Ehe investiert, ist nun alt & gebrechlich und stirbt dann auch schon knapp sieben Monate nach seinem Schwiegersohn, die Mutter im Jahr darauf ( sie erhalten ein monumentales Grab auf dem Döblinger Friedhof ). Das väterliche Testament bedenkt Alice, anders als ihre Geschwister, nur mit dem Pflichtteil: Der Vater hat sie wohl nie geliebt. Das wird der 34jährigen Witwe klar.

Eine Stütze als Vormund der kleinen Söhne ist zunächst der Schwager Ignaz Urbach, der aber im Juli 1924 unter ungeklärten Umständen nach Zahlungsschwierigkeiten seiner Bank ums Leben kommt.

Alice kann untervermieten, Alice kann für ihre jüngere, in sehr viel reputierlicheren Verhältnissen lebende Schwester, Dr. Helene Eissler, bei deren Abendeinladungen kochen bzw. ihre Bridgepartys mit Kreationen wie den "Bridgebissen" versorgen. Einige Damen dieser Gesellschaften zeigen sich schließlich an Alices Kochkünsten interessiert. Und so entwickelt sich allmählich die Idee von einer eigenen Kochschule.

In einem Laden für Herde in der Inneren Stadt spricht Alice den Besitzer auf eine Nutzung seiner Testküche an. Das klappt! Montags & freitags ab 15 Uhr gibt sie nun Unterricht in Zuckerbäckerei. Die Mund-Zu-Mund-Propaganda verschafft ihr alsbald viele Schülerinnen, auch die Fähigkeit der jungen Frau, jede Weibsperson anzusprechen, die ihr vor den "elegantesten Wiener Delikatessengeschäfte(n)" in die Arme läuft.

Das Konzept geht auf, die Nachfrage steigt, so dass Alice bald einen zweiten Raum anmieten muss. Doch dann tritt ein, was der Wiener Publizisten Friedrich Torberg beobachtet hat: "In Wien gibt es Sacher und Widersacher": Die Behörden werden auf Alice und ihr nicht genehmigtes Gewerbe aufmerksam. 

Zum Glück ist die Ehefrau des zweiten Bürgermeisters eine zufriedene Schülerin und verhilft ihr zu einem Gewerbeschein. Jetzt steht der Kochschule in der Goldeggasse in Wieden nichts mehr im Wege. Ein illustres Publikum lässt sich bald von Alice in der Wiener Küche einweisen. Auch ihre 22 Jahre ältere Halbschwester Sidonie fördert sie. 1925 publizieren sie sogar gemeinsam "Das Kochbuch für Feinschmecker" beim jüdischen Verlag Moritz Perles. Alice hält auch Vorträge in der ganzen Stadt, z.B. über die Schnellküche für berufstätige Frauen, die Presse bringt Artikel, ein immer internationaleres Publikum findet sich ein, und Alice muss gar auf Englisch & Französisch unterrichten. Ihre internationalen Schüler*innen bringen sie auf die Idee, einen Lieferservice zu initiieren. Ab 1932 bringt sie komplette Menüs ins Haus oder ins Büro. 

Um die beiden Söhne kümmert sich derweil Sidonie & eine Kinderfrau. Das ist auch nötig, denn der alleinerziehenden, gut beschäftigten Mutter läuft der ältere Sohn schulisch immer mehr aus dem Ruder. 1932 bricht er die Schule sogar ab und geht für anderthalb Jahre nach England, um sich zum Techniker ausbilden zu lassen. Schweren Herzens lässt Alice ihn ziehen, als er dann 1934 auch noch weiter, nun in die Vereinigten Staaten, aufbricht. Karl hingegen legt wie erwartet das Abitur ab und beginnt Medizin zu studieren.

1935 erscheint ihr zweites Kochbuch "So kocht man ihn Wien!", fünfhundert Seiten stark und alles enthaltend, was Alice seit ihrem fünften Lebensjahr übers Kochen & Haushaltsführung gelernt hat. Über das Zustandekommen dieses Werkes wird der Nachfolger des Verlegers später seine ganz eigene Geschichte erzählen, die erheblich und zu ihren Ungunsten von dem abweicht, was Alice Urban erlebt hat, denn sie ist zum damaligen Zeitpunkt keine Neuentdeckung des Verlages, sondern eine angesehene Wiener Größe in Kochkreisen. Das Buch wird ein Bestseller & gut rezensiert und ist keinesfalls der Ladenhüter, als das es der Verleger nach dem Krieg zu verkaufen sucht.

Die politische Lage in Österreich hat sich mittlerweile sehr bedrohlich entwickelt & ist höchst antisemitisch geprägt. Alice kommt zu dem Schluss, dass sie etwas ändern muss an ihrem Leben, bevor es zu spät ist. Sie gibt Wohnung und Kochschule in der Goldeggasse auf und reist im Februar 1937, nunmehr 51 Jahre alt, ab nach England. Der Sohn Karl quartiert sich derweil bei einem Freund ein.

Doch ein Neuanfang in London will ihr nicht recht gelingen, und schon einen Monat später kehrt Alice nach Wien zurück - ein echtes Debakel! Sie kann in der Schreyvogelgasse bei ihrer Freundin Paula Sieber, von Beruf Kinobetreiberin, unterkommen, die in ähnlichem Alter, ebenfalls alleinerziehend und von Männern desillusioniert ist. Da das aber keine Lösung auf Dauer ist, verdingt Alice sich als Diätköchin in einem Sanatorium eines jüdischen Arztes in Hietzing. Zwecks Nebenverdienst gibt sie wieder Kurse und unterhält einen Lieferservice.

Juden müssen nach dem "Anschluss" Straßen schrubben

Dann, im März 1938, der "Anschluss" Österreichs an das hitlersche Deutsche Reich! Sohn Otto, wieder in den Staaten, ahnt, was auf seine Mutter und seinen Bruder zukommen wird, welchen Hassorgien Juden ausgesetzt sein werden. Doch die Möglichkeiten, sie zu sich zu holen, sind nicht gerade aussichtsreich.

Alice verliert alsbald ihre Festanstellung, weil ihr Arbeitgeber flieht, Karl wird der Universität verwiesen, und sie  kommt wieder bei Paula Sieber unter. Sie versucht, ebenso wie ihr Bruder Felix & ihre Schwestern Sidonie & Helene, aus Österreich herauszukommen. Eine Jagd nach Stempeln beginnt... Otto kümmert sich von den Vereinigten Staaten aus um ein Affidavit, ebenso eine befreundete amerikanische Familie. 

Im Oktober 1938 gelingt Alice die Ausreise nach England, Sohn & Geschwister muss sie zurücklassen. Im Vermögensverzeichnis, das sie zwangsweise ausfüllen muss, gibt sie die Urheberrechte für ihr Buch nicht an, warum, bleibt unklar. 

Romane von jüdischen Autor*innen werden nun auch in Österreich verbannt. Doch bekannte Sachbücher, wie z.B. Kommentare zum Bürgerlichen Gesetzbuch ( heute noch aktuell! ) oder Knauers Gesundheitslexikon werden "arisiert", das heißt, die Sachbücher bekamen "arische" Autorennamen und werden so "geraubt". Auch Alices Kochbuch widerfährt das: 

"Nach dem Anschluss Österreichs sah ich mich genötigt, für das Kochbuch einen neuen Verfasser zu suchen, da Alice Urbach Jüdin war und das Kochbuch sonst nicht mehr hätte vertrieben werden können", wird der Verleger Hermann Jungck 1974 lapidar feststellen.

Die wichtigste Streichung betrifft Alices Vorwort. Sonst ist das neue Kochbuch eines gewissen Rudolf Rösch, "langjähriger Küchenmeister und Mitarbeiter des Reichsnährstandes", zu 60 Prozent ein Plagiat. Rezepte wie das der "Jaffa-Torte" oder "Rothschild-Omlette" fehlen - zu jüdisch klingend! Röschs Name findet sich übrigens in keinem der zeitgenössischen Wiener Adressbücher und Zeitungsartikeln. Der Verlag, in München angesiedelt, veröffentlicht insgesamt sieben Ausgaben unter dem selbigen Titel & unter diesem Autorennamen bis in die 1960er Jahre hinein.

Kehren wir zurück nach Wien: Dort will Karl Urbach am Tag nach der Reichspogromnacht ein für seine Einwanderung notwendiges Papier bei der jüdischen Auswanderungsbehörde abholen und wird, wie viele andere jüdische Männer, von der Gestapo aufgegriffen, in Viehtransporter verladen und über wechselnde Stationen ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Dort wird der junge Mann brutal gefoltert, aber 1939 auch wieder freigelassen – warum, bleibt unklar, wahrscheinlich hat der Bruder Otto Geld beschaffen können. Nach dieser Inhaftierung verlässt Karl Österreich sofort und gelangt 1939 über Holland in die USA zu Otto. 

Alices Halbschwestern Sidonie und Karoline werden 1941 deportiert und in Treblinka ermordet werden, ihre jüngere Schwester Helene, die Juristin, die als zweite Frau in Österreich in Jura promoviert hat, im Ghetto Lodz. Bruder Felix, dem es zunächst ähnlich wie seinem Neffen Karl ergeht, kann mit seiner Familie noch rechtzeitig in die USA emigrieren. Auch weitere Familienmitglieder werden das Glück nicht haben.

Grantham Castle
Alice findet unterdessen über die Anlaufstelle für jüdische Emigranten im Woburn House ( siehe auch dieser Post ) dank der Tatsache, dass die Arbeitserlaubnis für Dienstboten - domestic permits - relativ locker ist, da Personalmangel herrscht, auf einem Landsitz zwei Autostunden von London entfernt bei einer neureichen Erbin eines Kosmetikunternehmens eine Stelle als Köchin. 

Das menschliche Klima auf Grantham Castle lässt zu wünschen übrig, denn die exzentrische Hausherrin lässt Alice spüren, dass ihre Lebensläufe in total entgegengesetzte Richtungen verlaufen sind: Bei Alice von der höheren Tochter zur Dienstbotin, bei Violet van der Elst von der Waschfrau zur Millionärin. Die entlässt dann im Januar 1939 die fähige Konditorin, konterkariert die mit ihrem Können ihre Versuche abzunehmen.

Alice findet bald was Neues bei der Schwägerin des britischen Außenministers Anthony Eden, wird dann aber von einer Londoner Arztfamilie abgeworben. 

Jüdische Mädchen aus Polen kommen
1939 im Hafen von London an
1940 dann etwas ganz anderes: Ganz im Sinne der jüdischen Gemeinde in England möchte Alice Urbach ihre Möglichkeiten & ihr Können darauf verwenden, denen zu helfen, die noch unglücklicher im Exil sind als sie selbst. Als vom Woburn House eine Anfrage kommt, ob sie Heimleiterin für ein von einem jüdischen Juwelier aus Newcastle privat gegründetes Kinderheim in der Nähe der Stadt werden könnte, übernimmt sie die Aufgabe, obwohl sie dafür wenig qualifiziert ist. Dort sollen "unbegleitete Jugendliche", in ihrem Fall lauter Mädchen, betreut werden, die von ihren Eltern vor den Nazis in Sicherheit gebracht worden sind ( Großbritannien lässt, anders als die Staaten, Kinder ohne Visum ins Land ).

Es ist schon eine verrückte Idee, denn Alice bringt nichts mit außer ihren Kochkünsten! Immerhin kann sie durchsetzen, dass ihre Freundin Paula Sieber, die nach dem Novemberpogrom ebenfalls aus Wien geflüchtet ist, als zweite Betreuerin eingestellt wird. Niemand ahnt, dass die beiden patenten Frauen sieben Jahre lang diese Aufgabe ausfüllen müssen. Zunächst geht man unter den Organisatoren nämlich davon aus, dass die Eltern der Kinder bald nachkommen würden.

Herausgefordert werden die beiden Frauen, sehen sie sich doch lauter verängstigten und unglücklichen Mädchen gegenüber; die jüngeren weinen Tag & Nacht, die größeren sprechen kaum ein Wort, stehen unter Schock. Trotz Kriegsausbruches organisieren Alice & Paula alsbald eine Geburtstagsparty für eine frisch angekommene Zehnjährige, mit allem Drum & Dran. 

Die Panik, dass die Nazis auch an der englischen Küste anlanden könnten, ist kaum im Zaun zu halten. Sie halten die Mädchen dennoch an, die englische Schule zu besuchen, gute Manieren wie die Engländer einzuhalten und nicht zu verwahrlosen, was Kleidung & Äußeres anbelangt. Sie achten auf die Gesundheit der Mädchen, bemühen sich um Hygiene ( man denke nur an die üblichen Läuseplagen! ) und sorgen für ein besonders gutes Frühstück als Grundlage für den Tag. Alice ist inspiriert von den Erfahrungen Anna Freuds ( siehe auch dieser Post ), die in Wien Schülerin in ihrer Kochschule gewesen ist und nun im Exil Kinder im Londoner East End um sich sammelt & betreut.

Mit Paula Sieber (rechts)
(1940er Jahre)
Da Newcastle als Industriestadt Ziel der deutschen Luftwaffe wird, zieht das Heim in eine weniger gefährdete Region im Lake District, an den Windermere See. Mit jedem Kriegsjahr wird den Kindern klar, dass sie ihre Eltern nicht mehr wiedersehen werden. Das bringt weitere psychische Probleme mit sich, auf die die beiden Nicht-Fach-Frauen erstaunlich einfühlsam & angemessen reagieren. Von manchen Situationen sind sie allerdings auch überfordert.

1944 geschieht etwas Unerwartetes: Ein Mann mit amerikanischer Uniform taucht am Kinderheim auf: Otto, den Alice seit neun Jahren nicht mehr gesehen hat! Alice nimmt diesen Auftritt als Zeichen, dass der Krieg gegen Nazideutschland vor einer Wende steht. Otto als Pilot ist Teil der eine halbe Million umfassenden Armee, die einen Angriff an der Küste der Normandie plant.

Mit dem Kriegsende kommt nicht nur Freude auf: Alice & Paula wird klar, dass sie kein Kinderheim, sondern ein Waisenhaus geleitet haben. Nach und nach erreichen sie Nachrichten über den Verbleib der Eltern & Verwandten ihrer Schützlinge. Manche Mädchen können zu entfernten Verwandten, andere wollen bleiben und ihren "Elternersatz" behalten. Das Heim wird auch nicht sofort abgewickelt, sondern Durchgangsstation für Kinder aus anderen Unterkünften. Doch Alice will, anders als ihre Freundin, jetzt schnell zu ihren Lieben in den Vereinigten Staaten.

Am 16. Oktober 1946 besteigt sie das Schiff in Southampton. Sie ist jetzt sechzig Jahre alt. Erschöpft kommt sie in New York an, mühsam lächelnd und kleidungsmäßig total abgerissen. Das fällt ihrer Schwägerin, die sie in Empfang nimmt, sofort auf, wird doch von je in der textilaffinen Familie Mayer besonders auf gute Kleidung geachtet. Alice zieht es dann weiter nach Chicago, wo ihr Sohn Karl studiert und ihr einen Job als Diätberaterin in einem großen Hotel verschafft. Doch Alice fühlt sich in den USA dankbar & gleichzeitig unglücklich.

Mit Sohn Otto
(1949)
1949 reist sie nach Wien, auch um ihren Sohn Otto und seine junge Frau Wera Friedberg, eine Schauspielerin, zu sehen, aber vor allem auch um das alte Wien wiederzufinden. Dazu streift sie durch die ihr bekannten Straßen & Grätzel. Dabei stößt sie in einer Wiener Buchhandlung auf die Rösch-Ausgabe und weiß sofort, dass es ihr Werk ist. Für sie steht diese Entdeckung stellvertretend für all das Unrecht und die Erniedrigungen der letzten Jahre.

Sie sucht den Verleger in der Schweiz auf, um ihn zur Rede zu stellen, ohne Erfolg, geht der doch ganz schnell auf Konfrontationskurs und bestreitet, dass Alice noch Rechte auf ihr Buch hat. Wenn sie Geld für einen Anwalt gehabt hätte - Nerven hat sie für eine solche Auseinandersetzung nicht.

In den 1950er Jahren zieht sie nach New York. Sie hofft auf eine Veröffentlichung ihres Buches ins Amerikanische, muss sie aber begraben, weil neben einem anderen, bereits erschienenen Buch über die Wiener Küche kein Interesse an einem weiteren Exemplar besteht. Alice versucht nun durch Verdrängung Abstand von der Geschichte der jüdischen Österreicher zu gewinnen. Eine Methode ist auch, sich mit vielen Menschen zu umgeben. Sie feiert rauschende Partys in ihrer Wohnung, die sie sich eigentlich nicht leisten kann. Die inzwischen Siebzigjährige wendet sich an den Österreichischen Hilfsfond, um Unterstützung zu erhalten.

1969 folgt sie Karl, inzwischen verheiratet und Leiter eines Krankenhauses, nach San Francisco, wo sie in einem Altersheim lebt. Mit ihren 83 Jahren wird sogar in San Francisco in einer Kochschule angestellt. Mit 95 Jahren kocht sie in amerikanischen Fernsehsendungen und spricht in Interviews immer wieder von ihrem Buch, das man ihr gestohlen habe. Noch 1980 unternimmt sie einen neuen Anlauf von den USA aus, um an ihre Urheberechte zu kommen. Der Verlag schweigt weiterhin bzw. antwortet nicht auf die 18 Briefe, die sie an den Verleger Hermann Jungck richtet. Schließlich teilt der Verlag mit, es gebe keine Unterlagen aus der Zeit mehr.

1978

Am 26. Juli 1983 stirbt Alice Urbach mit 97 Jahren in Mill Valley, Kalifornien, USA. Im Totenschein steht als Todesursache: Artheosklerose & Depressionen. Ihren Körper hat sie vorher schon der medizinischen Fakultät vermacht.

Ihre Enkelin, die Historikerin Karina Urbach, veröffentlicht 2020 "Das Buch Alice. Wie die Nazis das Kochbuch meiner Großmutter raubten". Nur wenige Tage nach seinem Erscheinen lässt sich der Reinhardt-Verlag doch noch zu einer Stellungnahme gegenüber dem "Spiegel" herab und bezeichnet das "damalige Verhalten des Verlages heute als moralisch nicht vertretbar". Erst jetzt erhalten ihre Enkelinnen für "So kocht man in Wien von Alice Urbach" die Rechte zurück, die im Gegenzug auf jedwede Entschädigung verzichten. Zudem druckt der Verlag das Koch- und Haushaltsbuch in einer limitierten, nicht verkäuflichen Auflage von hundert Exemplaren nach.

2021 macht eine Doku & Reportage von Andrea Oster für Arte und das ZDF noch einmal auf den Skandal rund um das Kochbuch der Alice Urbach aufmerksam. So habe ich auch von ihr erfahren, und es ist ein "gefundenes Fressen" für eine, die als Kind mit dieser Küche aufgewachsen ist. "Viennese Dumplings" (Semmelknödel) gehören bis heute zu meinen Lieblingsspeisen...

                                                                                

Ab jetzt gibt es unter jedem Frauenpost am Donnerstag eine Rubrik, in der an die Frauen erinnert wird, die in der betreffenden Woche - bzw. diesmal zwei Wochen - geboren bzw. gestorben sind und über die ich schon geschrieben habe. Heute sind das...



Dienstag, 30. Juli 2024

12tel Blick Juli 2024

 Das Foto vom Terrassentisch,  
geplant für den Samstag - Spätnachmittag,
fiel erst einmal ins Wasser.
( Lust, im Regen zu meinem zweiten Blick zu gehen,
hatte ich plötzlich auch nicht mehr... )


Zuhause schnell ein Foto schießen -
dafür brauchte ich keinen Regenschirm aufzuspannen
& die Füße blieben trocken.

Am Sonntag habe ich ihn dann aber auch noch ein zweites Mal fotografiert:




( Wer findet die Unterschiede? )

Der Juli ist bei mir violett - lila- purpurn.

Der Blick auf die Kreuzung
dann doch wieder bei Sonnenschein
( weil ich ja aus Zucker bin ):


Das war ein Zufallstreffer: Ich war gerade aus anderen Gründen unterwegs....

Abschließend wieder die Übersichten:































Ich freue mich schon auf die Fotos der anderen Teilnehmer*innen im Juli, 
die Eva Fuchs heute wieder auf ihrem Blog sammeln wird.

                                                                                                 

Sonntag, 28. Juli 2024

Mein Freund, der Baum: Die Mispel

Im Mittelalter gehörten sie zum Alltag der Menschen, doch mittlerweile sind die kleinen harten Früchte, die erst im Spätherbst reifen, nahezu in Vergessenheit geraten. Doch sehr sympathisch & passend, dass ich ein besonders schönes Exemplar bzw. ein "Doppel" an der Kirche St. Maria im Kapitol in der Kölner Altstadt vor zwei Wochen entdeckt habe. Da war klar, dass ich diesen Kleinbaum hier vorstellen werde. 

 

Die Mispel Mespilus germanica ( engl. Medlar ), Echte Mispel oder Gemeine Mispel bzw. Steinapfel ist eine Pflanzenart in der Familie der Rosengewächse Rosaceae. Wikipedia kennt noch eine stattliche Reihe von lustigen Namen wie Mispelche, Asperl, Aschperln, Hespelein, Dürgen, Dörrlitzen, Dürrlitzen; Hundsärsch und in der Innerschweiz Näschpli.

Ihre Herkunft ist nicht klar, wahrscheinlich kommt sie aus Vorderasien, obwohl ihr lateinischer Name "germanica" etwas anderes suggeriert. Fossilfunde lassen darauf schließen, dass die Mispel bereits im Tertiär im Bereich des Kaukasus zu finden gewesen ist. Im Orient hat man die dann schon vor dreitausend Jahren kultiviert. Tausend Jahre später haben die Römer die Mispel nach West- und Mitteleuropa gebracht. Charakteristische Steinkerne wurden erstmals in römischen Ausgrabungen im Rheinland und in der Wetterau entdeckt. Der Name "Mespilius" ist lateinischen Ursprungs und wurde von Plinius d. Ä. verwendet.



Im Mittelalter bauten Mönche die Mispel in Klostergärten als geschätztes Obst an und kultivierten sie. Sie  befindet sich schon auf den Anweisungen Karls des Großen für die Gärten seiner Hofgüter. Auch im Bepflanzungsplan des Klostergartens von St. Gallen werden sie um 820 erwähnt.

Noch im 19. Jahrhundert stand das Obstgewächs in vielen Bauerngärten  - da passt dieser Baum doch gut an diese Stelle in Köln, neben einer Kirche, die auf römischen Fundamenten steht, in einem biedermeierlichen Garten auf einem alten Klosterterrain! 

Heute dagegen findet man die Mispel meist nur noch in Parks oder an Feldrainen. Angebaut wird sie inzwischen häufiger in den Balkan- und Donauländern sowie Italien und Holland. In größerem Umfang findet man sie auch um den Vierwaldstättersee in der Innerschweiz.

Die Mispel ist verwandt mit den Zwergmispeln Cotoneaster, den Felsenbirnen Amelanchier, den Quitten Cydonia und den Weißdornen Crataegus. Nicht verwechselt werden sollte sie mit der ähnlichen, aber frostempfindlichen Japanischen Wollmispel Eriobotrya japonica, deren gelbe Früchte säuerlich schmecken und als Loquats bei uns angeboten werden. Diese gehört zu einer ganz anderen Pflanzengattung. In Rezepten ist allerdings häufig die Japanische Mispel gemeint.

Die Echte Mispel wächst baum- oder strauchartig, wird bis zu sechs Metern hoch und entwickelt im Alter eine ovale, ausladende bzw. sparrige Krone, die bis zu 7 Meter erreichen kann. Sie wächst sehr dicht, was das Laub aber auch anfällig für Blattkrankheiten machen kann. 

Wilde Mispeln sind - spärlich - mit Dornen bewehrt, Kultursorten nicht. Der Baum wächst in lichten Laubmischwäldern, Hecken, Gebüschen und sogar auf Felshängen und stellt nur geringe Standortansprüche, bevorzugt aber mäßig trockene, steinige oder sandig-lehmige, kalkhaltige Böden. Da  die Mispel wärmeliebend ist, kommt sie vornehmlich in klimatisch begünstigten Gebieten vor. Gerade in den trocken-warmen Teilen Mittel- und Süddeutschlands findet man die Art verwildert vor. Aufgrund ihrer Herkunft gilt die Mispel als relativ trockenresistent und sie übersteht zeitweise Dürreperioden gut. An geschützten Stellen kann sie auch in einer Höhe bis zu sechshundert Metern gedeihen.

Der Kleinbaum bzw. Großstrauch wächst sehr langsam, meist eben mehr breit als hoch und kann dabei einen Stammdurchmesser von zwanzig Zentimetern erreichen. Die etwas raue Borke ist bräunlich-grau und blättert im Alter in kleineren Platten ab. Die Zweige sind graufilzig. Die Mispel ist ein Tiefwurzler mit stark verzweigtem, weitreichendem Wurzelsystem. Eigentlich wird sie nur etwa 30 bis 40 Jahre alt, aber in Süddeutschland stehen Bäume, die seit circa 70 Jahren dort wachsen. 

Aus den spitz eiförmigen Winterknospen entfaltet sich im Frühjahr das später ledrig dunkelgrüne Laub. Die Blätter werden bis zu 15 Zentimeter lang mit einer Blattspreite von 2 - 4 Zentimetern, und sie sind unterseits leicht behaart, der Blattrand ist ganz bis teils gesägt. Von der Form her werden sie beschrieben als eilanzettlich bis verkehrt-eilanzettlich oder elliptisch bis lanzettlich und abgerundet bis rundspitzig oder spitz bis zugespitzt  - die Blätter sind also von recht variablem Aussehen! 

Im Herbst verfärben die sich von der Spitze her gelb mit unregelmäßigen roten und grünen Flecken, wobei der untere Teil länger grün bleibt. 

Die weißen - seltener rosa -  Blüten des Baumes erscheinen spät, von Mai bis Juni nach dem Laubaustrieb am Ende der Kurztriebe, nicht an Langtrieben. Sie ähneln denen der Apfelblüte, sind sehr groß - fünf Zentimeter - und sehr auffällig mit fünf Blütenblättern und der für Rosengewächse typischen doppelten Blütenhülle. Die Blütenblätter sind auf der Außen- und Innenseite behaart. Sie sind wegen der späten Blütezeit kaum spätfrostgefährdet. Selbstbestäubung ist bei den meisten Sorten der Kulturmispel die Regel. 

Die Früchte sind gut zu identifizieren, denn sie haben eine aufklaffende Fruchtspitze, an der man noch die fünf schmalen Kelchblätter erkennen kann. Der volkstümliche Name "Hundsarsch" bezieht sich auf das eigenwillige Aussehen dieser Frucht.

Von der Form her sind die kugelig und teils etwas abgeflacht an der offenen Seite. Die kleineren Früchte der Wildform haben einen Durchmesser von 1,5 bis 3 Zentimetern und eine Länge von 1,6 bis 2,4 Zentimetern, bei Kulturformen beträgt der Durchmesser 3 bis 6,5 Zentimeter, selten 7 bis 8 Zentimeter. Ihre raue Schale färbt sich gelb- bis orangebraun und ist mehr oder weniger behaart. Die Früchte sind stark von einem Stützgewebe durchsetzt, was der Mispel auch den Namen Steinapfel eingebracht hat. 

Botanisch betrachtet ist die Mispel eine Sammelsteinfrucht mit fünf festen Steinkernen.

Reif werden sie im Oktober, November. Ähnlich wie bei den Schlehen benötigen die Früchte die Frosteinwirkung, damit sie weich und süß werden. Vorher sind sie herb bis bitter im Geschmack. Handelt es sich um sogenannte Wilde Mispeln, reichen kurze milde Nachtfröste um -3 Grad Celsius für diesen Prozess nicht aus. Aber auch Überreife kann das harte Fruchtfleisch teigig machen und die Fruchtsäuren abbauen.

Die Früchte können zu Marmelade, Mus oder Obstwein verarbeitet werden. Wegen des hohen Pektingehaltes gelingen Gelees besonders gut. Für Mispelmarmelade werden Mispelmus und der Saft einer Zitrone mit Gelierzucker im Verhältnis 1:1 oder 2:1 gekocht. Mispelmus stellt man her, indem man die Früchte teilt, weich kocht und passiert. Für Gelee müssen die Früchte erst entsaftet werden. Dieser Saft wird dann mit Gelierzucker im Verhältnis 2:1 verkocht. Die Früchte können auch zu Obstbränden oder Likör verarbeitet werden. Mispelbrand mit seinem fruchtig-herben Aroma gilt bei Liebhabern als echte Spezialität. Getrocknet und vermahlen können Mispelfrüchte auch verbacken werden.

In der Volksmedizin kamen die vollreifen Mispelfrüchte wegen ihrer entzündungshemmenden Wirkung zur Linderung von Nieren- und Harnwegsentzündungen zum Einsatz. Schon Hildegard von Bingen hat den Verzehr der Früchte zur Stärkung schwächlicher Kinder empfohlen ( "... weil sie ihr Fleisch wachsen lässt und ihr Blut reinigt..." ), enthalten sie doch viel Vitamin C. Sie schlug vor, die pulverisierte Wurzel, in warmem Wein getrunken, als Mittel gegen Fieber und Schwächeanfälle zu nutzen. 

Außerdem wurden die unreifen Früchte zum Gerben genutzt, enthalten die doch - wie auch die Rinde und die Blätter - Gerbstoffe.

Die Mispel ist ein wenig anfällig für Pilzkrankheiten. Schorf und verschiedene Blattfleckenkrankheiten sind häufig die Folge eines feucht-warmen Sommers. Ebenso kann es zu einem Befall mit Spitzendürre (Monilia) kommen, die dazu führt, dass die Triebe nach der Blüte absterben. 

Pillenwespen, Pelzbienen, Honigbienen und anderen Insektenarten besuchen gern die Blüten der Mispel. Auch die Früchte werden gern von Vögeln wie  Kernbeißer, Amsel und Ringeltaube gefressen. Sie dient allerdings auch zahlreichen Säugetierarten wie Eichhörnchen, Siebenschläfer, Igel, Marder, Dachs und Wildschwein als Nahrungsquelle. Besonders bei Jägern sind die Früchte beliebt als nahrhaftes Tierfutters für Reh- und Schwarzwild. Mispeln eignen sich übrigens auch bestens als Brutgehölz für die heimische Tierwelt.

Das Holz ist sehr hart, zerstreutporig und von feiner Textur. Das Splintholz ist weiß mit leicht rosa Tönung, das Kernholz ist bräunlich. Die einzelnen Jahresringe sind sehr gut zu erkennen, was dem Mispelholz ein wunderschönes Aussehen verleiht. Es wird von Drechslern und Kunsttischlern gesucht und gerne verwendet, auch für die inzwischen seltenere Intarsienkunst, für die nur wenige Hölzer geeignet sind. Auch zur Gewinnung von  Holzkohle ist der Baum eingesetzt worden. Im 14. Jahrhundert vermerkt ein  Konrad von Megenberg: "Von des nespelbaums holz macht man gar gout Knütel ze kämpfen und ze vehten".

Die Mispelblüte hat am Niederrhein häufig in Stadtwappen einen Platz bekommen. Dort ist sie unter dem Begriff "Geldrische Rose" als heraldische Variante bekannt und ziert in dreifacher Ausführung das Wappen der Stadt Geldern.

Gemäß einer Sage führten die Vögte von Geldern bzw. der Ort Geldern das Mispel-Motiv ungefähr ab 878, als die Herren Wichard und Lupold von Pont gegen einen feuerspeienden, unter einem Mispelbaum hausenden Drachen kämpften und ihn töteten. Das Röcheln des sterbenden Drachens, als „Gelre!“ überliefert, führte zur Namensgebung der bald an der Stelle gegründeten Stadt Geldern und die Mispel erschien als heraldische Rose dreifach im ältesten Stadtwappen, zu der im Mittelalter der Geldrische Löwe hinzukam. ( Quelle hier )

Seit 1970 symbolisieren drei Wappen-Mispelblüten den Zusammenschluss von Viersen, Dülken und Süchteln (Boisheim). Das Viersener Wappen schmückte sie schon seit 1450, als die Stadt zu Geldern gehört hat. In der Stadt wird auch noch heute ein Mispelgeist gebrannt.

Genug erzählt! Jetzt seid ihr wieder dran, liebe Baumfreund*innen! Das Linktool ist diesmal frei geschaltet bis zum Abend des 24. August.

                                                                           

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