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Deutschland & Österreich

Österreichs Steuerentlastungspaket

Eine Reform als Beweis der Reformunfähigkeit

Reinhold Mitterlehner (links) und Werner Faymann vor den Medien.
Reinhold Mitterlehner (links) und Werner Faymann vor den Medien. (Bild: Reuters)
Österreichs Koalitionsparteien haben sich auf eine Steuer- reform geeinigt. Das Ergebnis ist ein Kompromiss, der niemanden wirklich überzeugt.

Stundenlang wartende Journalisten, Live-Ticker der Online-Medien und Schaltungen der TV-Nachrichtensendungen vor das Bundeskanzleramt in Wien haben den Ereignissen in der Nacht zum Freitag einen würdigen Rahmen verliehen. Denn nichts weniger als die grösste Steuerreform der Zweiten Republik verkündete Bundeskanzler Faymann dort nach Mitternacht. Damit hat sich die grosse Koalition aus Sozialdemokraten (SPÖ) und Volkspartei (ÖVP) nach epischen Debatten auf ihr wichtigstes Vorhaben für die laufende Legislaturperiode geeinigt, eine Entlastung der Bürger bei der Einkommenssteuer um fünf Milliarden Euro. Der ORF reagierte mit Sondersendungen, und die kanzlertreuen Boulevardmedien bejubelten mit Rechenbeispielen, wie viel dem Bürger nun mehr «im Geldbörserl» bleibe.

Das Prinzip Hoffnung

Nüchternere Beobachter reagierten weniger euphorisch. Das Resultat der Verhandlungen ist ein Kompromiss, der die gravierenden Probleme im Steuersystem unberührt lässt und dessen Effekt nach Ansicht vieler Experten rasch verpuffen dürfte. Denn zur Finanzierung der Lohnsteuersenkung setzt die Regierung einerseits auf die Erhöhung diverser anderer Steuern, womit sich die Rechnung relativiert, dass einem Durchschnittsverdiener künftig jährlich rund 1000 Euro mehr bleiben sollen. Über die Hälfte des Pakets wird andererseits nach dem Prinzip Hoffnung aufgebracht. So soll sich ein Teil der Reform über höheren Konsum selbst finanzieren, und fast zwei Milliarden Euro soll die Steuerbetrugsbekämpfung einbringen – eine Zahl, die bezeichnenderweise im Laufe der Verhandlungen mangels anderer Finanzierungsideen stetig gestiegen ist. Vernichtend fiel dazu der Kommentar der bürgerlichen Zeitung «Die Presse» aus, der die Regierung «griechischer Technik» bezichtigt und ihr nicht ohne Grund vorwirft, mit Phantasiezahlen zu operieren.

Skeptisch beurteilen die Reform aber nicht nur zahlreiche Experten, Oppositionsparteien und laut Umfragen ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung. Auch wenn die Gremien der Regierungsparteien der Vorlage am Freitag überaus klar zustimmten, herrscht verbreitet Ernüchterung. Sowohl SPÖ als auch ÖVP hatten in den letzten Monaten mit unerfüllbaren Forderungen die Erwartungshaltung ihrer Klientel in einer Weise geschürt, dass diese nur enttäuscht werden konnte.

Geradezu spektakulär gescheitert sind die SPÖ und Kanzler Faymann in ihrem Ansinnen, mit einer Millionärs- oder zumindest einer Erbschaftssteuer Vermögende stärker zur Kasse zu bitten. Der neue Spitzensteuersatz von 55 Prozent für Einkommen von über einer Million Euro taugt nicht zur Gesichtswahrung, trifft er doch lediglich gut 400 Personen. Die ÖVP muss dagegen trotz ihrem Versprechen, neue Steuern zu verhindern, zahlreiche Abgabenerhöhungen hinnehmen. Den Wirtschaftsflügel der Partei frustriert zudem, dass vom einstigen Ziel, eine Steuersenkung nur über Ausgabenkürzungen zu finanzieren, praktisch nichts übrig ist.

Kompromiss statt Neuwahlen

In einem Jahr mit vier Landtagswahlen scheint für die Regierung im Vordergrund zu stehen, das Dauerthema endlich vom Tisch zu haben. Beide Parteien machten von einer Einigung die Fortsetzung der Koalition abhängig, und angesichts schlechter Umfragewerte zogen sie wenig überraschend einen nicht überzeugenden Kompromiss vorzeitigen Neuwahlen vor. Die Aussicht, dass diese Regierung noch gut drei Jahre im Amt bleibt, sollte jedoch eher beunruhigen, wenn die Steuerreform tatsächlich ihr wichtigstes Projekt war. Denn diese ist ein Beweis mangelnder Reformfähigkeit oder, wie es der ehemalige Finanzminister Hannes Androsch treffend formulierte, alles Mögliche – nur keine Reform.

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