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Surrealistisches Drama in Mazedonien

Ein Sumpf aus Korruption und Machtmissbrauch

Ministerpräsident Nikola Gruevski verneint eine Beteiligung an der Abhöraffäre.
Ministerpräsident Nikola Gruevski verneint eine Beteiligung an der Abhöraffäre. (Bild: Georgi Licovski / epa)
In Mazedonien hat die Opposition eine lange Serie von Abhördokumenten veröffentlicht. Die Bürger wurden durch unbekannte Agenten fast flächendeckend ausspioniert. Misstrauen und Rachegelüste zersetzen die Gesellschaft.

Die Affäre erinnert zunehmend an ein surrealistisches Theaterstück. Immer neue Akteure treten auf, die dank einer flächendeckenden Abhörkampagne zu Wort kommen. Skandalöses, Peinliches und Nebensächliches tritt zutage, und das überforderte Publikum weiss nicht mehr, ob es hin- oder wegschauen soll. Es begann mit einem pathetischen Auftakt Ende Januar. Ministerpräsident Nikola Gruevski liess die Fernsehprogramme unterbrechen und teilte der Nation mit, ein Putschversuch des Oppositionsführers Zoran Zaev sei vereitelt worden. Diesem wurde vorgeworfen, mit Hilfe eines nicht genannten fremden Geheimdienstes Politiker, Beamte und Journalisten bespitzelt zu haben. Mit dem Ziel, so Gruevski, durch Erpressung zu erreichen, was der Opposition seit 2006 in den Wahlen misslang: die Eroberung der Macht.

Diskreditierte Justiz

Die Behörden nahmen Zaev den Pass ab, angebliche Mittäter, unter ihnen der ehemalige Geheimdienstchef, wurden in Untersuchungshaft genommen. Im Februar folgte der zweite Akt. Zaev kündigte an, er werde fortan «eine Bombe nach der andern» platzen lassen. In einer Kaskade von Enthüllungen, inszeniert vor Publikum und Journalisten, wurden Abhörprotokolle und Ausschnitte aus Tonaufnahmen öffentlich gemacht. Sie zeigen ein verheerendes Bild der Herrschaft von Gruevski. Aber sind die Aufnahmen auch echt? Alles kann nicht gefälscht sein, denn einzelne Protagonisten erkennen sich zweifelsfrei in den Dokumenten. Jetzt soll die Justiz im grössten Skandal seit Mazedoniens Unabhängigkeit ermitteln. Es gilt wohl, einen riesigen Sumpf aus Erpressung, Machtmissbrauch und Korruption trockenzulegen.

Das Problem ist nur, dass die Justiz selber durch die Tonaufnahmen schwer diskreditiert erscheint: Da unterhalten sich Justiz- und Innenministerin darüber, wie ein genehmes Urteil des Obersten Gerichts herbeizuführen sei. Als Instrument dient eine willige Funktionärin, die im Wahlgremium für Richter die Fäden zieht. Neben der Justiz liegen die Medien im Visier des mazedonischen «Big Brother». Sowohl regierungskritische Journalisten als auch Gruevski ergebene Medienschaffende wurden abgehört. Auch hier sind die Protagonisten unverblümt: Man hört, wie Minister Sendungen am öffentlichrechtlichen Fernsehen absetzen und unliebsamen Journalisten mit Entlassung drohen. In der zuletzt veröffentlichten Sequenz sieht die Opposition Beweise für die Manipulation von Wahlen. Staatsbeamte werden unter Druck gesetzt, um Stimmen für die Regierenden zu organisieren. Privatfirmen werden erpresst und erkaufen sich darauf das Wohlwollen der Mächtigen.

Alles oder nichts

Zum strafrechtlich Relevanten kommt viel Peinliches hinzu: Vulgäres, Rassistisches gegen die Roma-Bevölkerung und Schmeicheleien nach oben. Erstaunlicherweise gab es bisher keine Enthüllungen aus dem intimen Privatleben der Elite. Wird diese Bombe ganz zuletzt gezündet? Besonders unangenehm für die Regierung sind Telefonate, in denen Minister über ihren Chef lästern. Gruevskis Wirtschaftspolitik sei verrückt, sagt der Finanzminister. Die Innenministerin erwidert, er sei ein verschlagener Typ. Der Oppositionsführer Zaev fordert jetzt die Bildung einer Übergangsregierung, die Neuwahlen organisieren soll. Sie müsse sich aus unbescholtenen Politikern zusammensetzen. Deren Zahl schrumpft wöchentlich. Um den grossen Showdown zu verhindern und Unruhen oder Schlimmerem vorzubeugen, hat sich die EU eingeschaltet. Die Aussenbeauftragte Federica Mogherini bietet Vermittlung zwischen den Parteien an. Mazedonien ist seit zehn Jahren EU-Kandidat, darf aber wegen eines griechischen Vetos die Verhandlungen nicht beginnen. Darin liegt eine Hauptursache für den Rückschritt des Landes, das vor zehn Jahren als Vorzeigemodell eines multiethnischen Staates auf dem Balkan galt.

Manche Beobachter stellen zu Recht infrage, ob eine Mediation der EU der richtige Weg aus der Krise sei. Was Regierung und Opposition trennt, sind nicht mehr politische Differenzen, sondern mögliche Straftaten. Darüber kann nicht verhandelt werden. Es braucht eine rechtliche Untersuchung. Dass sie von Mazedoniens Justiz neutral durchgeführt würde, ist eigentlich undenkbar. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass Gruevski eine schlagkräftige internationale Kommission ins Land lässt. Es geht für ihn jetzt um alles oder nichts.

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