Svoboda | Graniru | BBC Russia | Golosameriki | Facebook

Ok

Outdoor

Wie Bergsteiger soziale Netzwerke nutzen

Tweets direkt aus der Wand

Über Facebook, Twitter und Co. sprechen Bergsteiger ein Publikum an, das sich bisher nicht für das Bergsteigen interessiert hat. So können sie sich unter anderem besser vermarkten. Es entsteht aber auch ein Druck, den es auszuhalten gilt.

Im Januar gelang Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson ein echter Coup. Nicht nur, dass die beiden Amerikaner nach jahrelanger akribischer Vorbereitung die Dawn Wall, eine Route am El Capitan im kalifornischen Yosemite Valley, als Erste frei durchstiegen. Die beiden Kletterer erreichten damit die Öffentlichkeit in einem Masse, wie das vorher mit alpinistischen Erfolgen nur wenigen gelungen war. Nicht bloss die einschlägigen Bergforen berichteten auf ihren Websites darüber. Auch Tageszeitungen und Nachrichtensendungen widmeten dem Vorhaben und seinem erfolgreichen Abschluss zwischen Ukraine-Krieg und IS-Terror kostbare Zeilen und Minuten.

Berichte ohne Zeitverzögerung

Caldwell und Jorgeson schafften es, durch eine interessante Geschichte und tolle Bilder auch Menschen anzusprechen, die sich bisher nicht für das Bergsteigen interessiert hatten. Dafür machten die Kletterer sich die erstklassige Mobilfunkabdeckung am El Capitan und die Verbindung der sozialen Netzwerke zunutze. Caldwell und Jorgeson posteten Selfies und ihre Erlebnisse bei Instagram und Facebook. Bei Twitter konnte das globale Publikum mit den beiden entweder direkt kommunizieren, seine Gedanken in 140 Zeichen in die ganze Welt hinausplappern oder Anfeuerungen auf den Weg bringen. «Durch Diskussionen auf Facebook oder Twitter entsteht zusätzlich eine Dynamik», erklärt André Bühler, Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing. Immer grösser wurde die Schar derer, die Caldwell und Jorgeson durch die Dawn Wall folgten. Sogar der amerikanische Präsident Barack Obama gratulierte den beiden via Twitter.

Ganz neu sind Real-Time-Berichte über das Klettern natürlich nicht. Schon als sich verwegene Bergsteiger daranmachten, die Nordwand des Eigers zum ersten Mal zu durchsteigen, waren auf der Kleinen Scheidegg die Ferngläser in die Wand gerichtet. Bereits damals zeigte sich: Das Bergsteigen kann packende Geschichten erzählen und mit beeindruckenden Bildern auch jene in den Bann ziehen, die selbst nie in den Bergen unterwegs sind.

Mit der Ausbreitung der Social Media haben sich in den vergangenen Jahren jedoch die Möglichkeiten dazu vereinfacht und vervielfacht. Caldwell und Jorgeson spielten perfekt auf dieser Klaviatur. Im Gegensatz zu früheren Generationen konnten sie ungefiltert der Welt detailliert ihren Fortschritt mitteilen und über das Auskunft geben, was sie bewegte.

Ohne Zeitverzögerung – und nicht erst Tage später in einem Interview, Monate später in einem Vortrag oder Jahre später in einem Buch – können Bergsteiger heute von ihren Erlebnissen erzählen. Sie müssen nicht mehr hoffen, dass ein Journalist die Story spannend findet und darüber berichtet. Und sie müssen auch nicht auf einen grossen Sponsor warten, der spektakuläre Touren mit grossem Aufwand begleiten lässt und daraus dann einen Film produziert: Sie machen es jetzt einfach selbst. Während die grossen Expeditionen früher eigens einen Kameramann mitnahmen – der Filmer und Fotograf Norman Dyhrenfurth beispielsweise dokumentierte 1960 die schweizerische Dhaulagiri-Expedition –, machen Bergsteiger heute auch in den extremsten Lagen selbst Aufnahmen. Dazu müssen sie keine Profis sein. Leichte Kameras, nur wenig grösser als eine Zündholzschachtel, lassen Hobbyfilmer Szenen in beeindruckender Bildqualität drehen.

Die direkte Kommunikation mit der Welt kann ein Mehrwert sein. Es fehlt dadurch aber die Zeit, um Zusammenhänge zu verstehen und zu interpretieren, was sich auch in der Dawn Wall zeigte. Was nämlich für Caldwell und Jorgeson selbstverständlich ist, ist es für ihre Follower beileibe nicht. Freeclimbing wurde mit Free-Solo-Klettern verwechselt. Es wurde behauptet, dass vorher noch niemand den El Capitan im freien Stil erklommen habe, was nicht stimmt. Und auf Fotos, die in dem Zusammenhang gezeigt wurden, war statt des El Capitan der Half Dome zu sehen.

Über die blosse Information hinaus noch einen Schritt weitergegangen ist im Herbst Denis Urubko. Der kasachische Höhenbergsteiger bezog die Öffentlichkeit direkt in sein bergsteigerisches Unternehmen ein, als er die Internetgemeinde zu Spenden aufrief. Sein Angebot: «Indem Sie helfen, werden Sie Teil der Expedition.» Der Kasache nutzte das Internet, um zwei Bergsteigern die Teilnahme an seiner Winterexpedition zum K2 zu ermöglichen – mit Crowdfunding, einem Prinzip, das sich am besten als Schwarm- oder Gruppenfinanzierung ins Deutsche übersetzen lässt. Die Bandbreite der Projekte, die so schon finanziert wurden, reicht von Biotech-Startups zu Konzerten, von Bekleidungsherstellern bis zu Filmen und jetzt eben auch alpinistischen Expeditionen. Der Versuch der Wintererstbesteigung scheiterte zwar an den chinesischen Behörden, die Urubko und seinen Mitstreitern im Dezember die Erlaubnis verweigerten. Doch immerhin konnte Urubko von den anvisierten 15 000 Dollar 11 205 Dollar durch das Crowdfunding sammeln.

Druck für Bergsteiger

Via Facebook, Twitter, Youtube und Instagram werden zwar Zielgruppen erreicht, die sich bisher wenig mit dem Bergsteigen auseinandergesetzt haben. Doch ein Selbstläufer ist das nicht. Die Nutzer haben Ansprüche, die sozialen Netzwerke folgen eigenen Regeln. Die Berichterstattung sollte deshalb systematisch und über verschiedene soziale Plattformen erfolgen, meint Sportmarketing-Fachmann Bühler. Ganz deutlich sieht er aber Potenziale. «Bergsteigen mag eine One- oder auch Two-Man-Show sein, hat aber auch einen entscheidenden Vorteil: Der Bergsteiger kann persönlich und unmittelbar während des Ereignisses Tweets versenden und auf Facebook posten, während andere Sportler während ihres Wettkampfes keinen Zugriff auf Social Media haben.» Das verstärkt das Zuschauerinteresse. Das Spannungserleben wird realer.

Die Internetgemeinde will mitfiebern und wird sich in Zukunft immer weniger mit Expeditions-Blogs oder Einträgen auf Homepages zufriedengeben, die mehrere Tage oder sogar eine ganze Woche Revue passieren lassen. So entsteht aber auch ein Druck, den es für die Bergsteiger auszuhalten gilt. Sie müssen die Stärke haben, sich von der Sensationsgier des bergsteigerisch oft unerfahrenen globalen Publikums nicht treiben zu lassen. Für Facebook-Likes ein grösseres Risiko einzugehen, wäre der falsche Weg.

Die Unterstützung und das Interesse können aber auch beflügeln: «Ich fühlte mich fast verpflichtet, weiter zu posten. Es war eine schwierige Gratwanderung. Aber ich fühlte eine überwältigende Unterstützung», erklärte Caldwell. Bei Facebook und Instagram zu posten, sei für ihn zu einem wichtigen Teil der Kletterei in der Dawn Wall geworden.

Kommentare

Loading

Mehr aus Outdoor [х]

Storytelling auf der Expedition

«Social Media sind einfach ein Kanal mehr»