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Debatte

Gastkommentar zur Energiesteuer

Vergesst Energie, optimiert Verkehr

Viele wollen eine ökologische Steuerreform. Die Grünliberalen (GLP) fordern «Energie- statt Mehrwertsteuer», und der Bundesrat bastelt an einem eigenen Konzept. Die Grundidee ist bestechend. Einkommens- und Mehrwertsteuern belasten die Arbeit oder ihre Früchte und damit «Gutes». Ökosteuern hingegen sollen die Umweltbelastung und damit «Böses» besteuern. Das soll die Umwelt schonen und so eine «erste Dividende» bringen, und die steuerliche Entlastung von Arbeit oder Konsum soll eine «zweite Dividende» in Form höherer Leistungsbereitschaft bringen. Das klingt gut, funktioniert aber aus vier Gründen zumeist nicht.

Weltfremde Weltretter

Erstens zielen sowohl die Grünliberalen als auch der Bundesrat auf das globale Klimaproblem und die Ressourcenknappheit. Zu beidem trägt die kleine Schweiz aber nur etwa 1,5 Promille bei. Deshalb nützt eine Schweizer Ökosteuer dem Weltklima nur sehr wenig. Zugleich fallen die Nutzen zum allergrössten Teil im Ausland an. Zweitens bringt eine Schweizer Energiesteuer mit gleichzeitiger Senkung der Einkommens- oder Konsumsteuern keine Entlastung von Leistung. Denn selbst wenn wir deutlich weniger Energie konsumieren, sinken dadurch die weltweite Energienachfrage und die Energiepreise kaum. Eine Schweizer Energiesteuer würde deshalb ausschliesslich von den Schweizer Energienachfragern bezahlt, also den Unternehmen und Konsumenten. Die GLP-Ökosteuerreform würde den Faktor Arbeit durch tiefere Einkommens- oder Konsumsteuern entlasten, aber ihn gleichzeitig wieder in der Form höherer Preise und tieferer Löhne um den gleichen Betrag belasten.

Drittens schafft eine allgemeine Energiesteuer unlösbare Probleme bei der Besteuerung der grauen Energie. Wenn die Schweizer Produzenten hohe Energiesteuern zur Rettung des Weltklimas zahlen müssen, wird der Wettbewerb mit den Ländern mit tieferen Energiesteuern verzerrt. Deshalb müssten die Importe und Exporte entsprechend ihrem Anteil an grauer Energie, also der für ihre Herstellung verwendeten Energie, besteuert bzw. entlastet werden. Eine solche Abrechnerei und Besteuerung von Energieinhalten an der Grenze ist eine Horrorvorstellung. Sie wäre viel aufwendiger und beliebiger als die Mehrwertsteuererhebung. Viertens haben ökologische Steuerreformvorschläge oft eine versteckte leistungsfeindliche Umverteilungskomponente. Viele wollen einen Teil der Steuererträge pro Kopf an die Bevölkerung zurückerstatten. Da aber der individuelle Energiekonsum sehr stark mit dem Einkommen korreliert, bewirkt jede Erhöhung der Energiesteuern ohne gleichzeitige Senkung der Einkommens- oder Konsumsteuersätze eine Mehrbelastung von Leistung.

Ordnung schaffen im eigenen Haus

Folglich sind all die ökologischen Steuerreformvorschläge, die auf die globalen Umweltprobleme zielen, für kleine offene Volkswirtschaften wie die Schweiz ökologisch praktisch nutzlos und wirtschaftlich höchst schädlich. All das heisst aber nicht, dass ökologische Steuerreformen nie funktionieren. Ganz im Gegenteil: Ökologische Steuerreformen können unsere Wohlfahrt in ungeahntem Ausmass steigern, wenn sie zwei Grundsätze beachten: Sie müssen erstens auf nationale und lokale Umweltprobleme zielen, nicht auf globale. Die Umweltsteuern sind dann ein effizienter und gerechter Preis für die Benützung der Schweizer Umwelt, der so wie die anderen realen Produktionskosten an der Grenze keinesfalls abgerechnet werden soll. Zweitens müssen die Einnahmen aus den Umweltsteuern verwendet werden, um das bisherige System der Steuern und Subventionen effizienter zu gestalten. Es geht weniger um eine generelle Senkung der Steuerbelastung als um die Schaffung eines möglichst effizienten und wenig verzerrenden Steuersystems. Die geradezu idealen Bedingungen für eine wirksame ökologische Steuerreform bietet der Verkehrsbereich der Schweiz mit seiner riesigen und völlig unsinnigen Subventionierung des privaten und des öffentlichen Verkehrs. Das Reformprogramm besteht aus drei Elementen: ► Erstens muss der Motorfahrzeugverkehr über ein effizientes Road-Pricing-System alle seine ungedeckten externen Kosten – die vom Bund geschätzten Schäden an Umwelt und Menschen von gut 8 Milliarden Franken sowie Staukosten von wohl etwa 2 Milliarden Franken jährlich – tragen. ► Zweitens sollten alle ÖV-Subventionen von heute ebenfalls rund 8 Milliarden Franken jährlich gestrichen werden. Denn wenn der private Verkehr alle seine Kosten trägt, gibt es einfach keinen Grund mehr für ÖV-Subventionen. Vielmehr sollte dann auch der öV seine Umweltkosten von richtig gerechnet weit mehr als einer Milliarde Franken zahlen. ► Drittens können mit der so erreichten Entlastung der staatlichen Budgets von 16 bis 18 Milliarden Franken all die anstehenden Steuerreformen und allgemeine Steuersenkungen finanziert werden. Mit einer solchen Reform würde die Schweiz zum staufreien Umwelt- und Bürgerparadies.

Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg i. Ü. und Forschungsdirektor von Crema – Center for Research in Economics, Management, and the Arts.

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