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Vor der Wahl in Israel

Letzte Rettungsversuche Netanyahus

Anhänger Netanyahus bei der Abschlusskundgebung seiner Partei in Tel Aviv.
Anhänger Netanyahus bei der Abschlusskundgebung seiner Partei in Tel Aviv. (Bild: Reuters)
In Tel Aviv haben Regierungsanhänger eine letzte Grosskundgebung abgehalten. Ministerpräsident Netanyahu warnte vor der Gefahr einer Linksregierung.

Kampfeslust muss ausstrahlen, wer ums Überleben kämpft. Der israelische Ministerpräsident Netanyahu kämpft ums Überleben, doch was er am Sonntagabend auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv ablieferte, war lahm und verzagt. In einem eher kurzen Auftritt hinter kugelsicherem Glas, in dem er wie immer versuchte, so staatsmännisch wie möglich zu wirken, warnte er vor der Gefahr einer linksliberalen Regierung für die Sicherheit des Landes und bat seine Anhänger, sich von den Linken nicht provozieren zu lassen. Im Übrigen teilte er mit, er habe Moshe Kahlon , dem Vorsitzenden der sozial-konservativen Partei Kulanu, das Amt des Finanzministers und Naftali Bennett, dem Chef der Partei Jüdisches Heim, das Verteidigungsministerium angeboten. Begeisterungsstürme löste das keine aus.

Es singt Mister Bennett

Die Menge, die sich an diesem Abend auf dem Rabin-Platz zusammengefunden hatte, war noch bunter, noch heterogener, mindestens so fröhlich, aber nicht ganz so laut wie vor Wochenfrist die linksliberale Opposition. Orthodoxe aller Schattierungen verkündeten ihre Dogmen, vor allem, dass sie nicht zum Wehrdienst gezwungen werden sollten. Erzkonservative erzählten von den liberalen Teufeln, die Familie, Staat und Gesellschaft zersetzen. Siedler waren in Massen aus dem Westjordanland gekommen – nicht weil sie Netanyahu liebten (er hat den Siedlungsbau verlangsamt), sondern weil sie wissen, dass ohne ihn ihre Anliegen brachliegen. Vaterland, Judentum und Zionismus waren die Schlagworte, und unzählige Schwarzgewandete bläuten dem Korrespondenten ein, es sei Gott, Gott persönlich gewissermassen, der ihnen das Recht gebe, Eretz Israel zu besiedeln. Naftali Bennett warb flammend für einen «jüdischen Staat» und griff sogar zur Gitarre , um das «Goldene Jerusalem» zu besingen. Wie bei Tony Bennett klang's nicht, doch die Menge sang ergriffen mit.

Es war immerhin einer der wenigen Momente, in denen in diesem Wahlkampf nicht geklagt wurde. Dies ist die formale Klammer dieses Urnengangs: Alles beschwert sich, pausenlos. Über die Arglist des Gegners, seinen Geschmack, seine Vorlieben, seine Familie und seine unfaire Art, die Medien zu bezirzen. Die Opposition beweint, dass Netanyahu immer nur von der Sicherheit spreche, statt auf ihr Thema, das Soziale, einzugehen; Netanyahu wirft der Opposition vor, sich von fremden Regierungen und Geschäftsleuten mit Millionen von Dollars helfen zu lassen und sich schnöde über die intellektuellen Defizite seiner Anhänger lustig zu machen. Fast schon genüsslich «antwortete» Netanyahu auf die Vorbehalte, die der Künstler Yair Garbuz am Meeting vor Wochenfrist geäussert hatte, und verteidigte leidenschaftlich die Menschen, die Amulette küssen, jüdische Traditionen bewahren und an die Einheit Jerusalems glauben.

Der Hochmut der Klugen

Netanyahu traf damit einen wichtigen Konflikt dieser Wahl – und irrte sich vermutlich doch. Tatsächlich kennt der Unmut der Intellektuellen, Künstler und Bessergestellten über die Treue der Sephardim, vieler «Russen», vieler Religiöser und auch vieler Armer zu Netanyahu keine Grenzen. Unablässig werden die Verführbarkeit der Dummen, Ungebildeten und die Verführungskunst des Rattenfängers Netanyahu beklagt. So einfach aber ist Politik auch in Israel nicht. Die «kleinen» Leute spüren den Hochmut der Besserwisser, und sie wählen Netanyahu grad zum Trotz – oder haben das bisher getan. Nun allerdings ändert sich das Bild. 77 Prozent fanden Netanyahu als Regierungschef noch «geeignet», als er vor drei Monaten, mutwillig fast, Yair Lapid und Tzipi Livni aus der Regierung warf. Seither hat seine Popularität rapide abgenommen. Die letzten Umfragen sehen das «zionistische» Lager mit 24 Mandaten in Führung und den Likud Netanyahus mit 21 klar geschlagen. Eine linksliberale Mehrheit, lange Zeit etwas, worüber man allenfalls lachte, erscheint nun plötzlich möglich.

Gewiss, ohne die Hilfe der Araber, deren Einheitsliste mittlerweile famose 13 Prozent prognostiziert werden, dürfte es Yitzhak Herzog, dem Chef der Arbeitspartei, schwerfallen, eine Regierung zu bilden. Wie er beispielsweise die Führung der sozialistischen Meretz-Partei dazu bringen will, mit Politikern wie Bennett oder dem unleidlichen Lieberman an einem Tisch zu sitzen, wissen die Götter. Noch immer ist Netanyahus Position stark, er hat die meisten Koalitionsoptionen. Doch Parteien-Allianzen können schnell wachsen in Israel, Bündnisse können über Nacht zerfallen, man sollte nichts ausschliessen. Yair Lapid etwa macht einen schwungvollen Wahlkampf und wird zu einem wichtigen Gesprächspartner für jeden Sieger werden.

Niemand ist unentbehrlich

Netanyahu hat in diesem Wahlkampf vor allem nach rechts geschaut, hat mit Bennett, Lieberman, den Religiösen und den Siedlern geflirtet – und ist damit auf die Nase gefallen. Nun, in letzter Minute, scheint er das realisiert zu haben: deshalb das Angebot an Kahlon in Tel Aviv, deshalb seine unablässigen Versuche, mit einer regelrechten Medien-Kampagne die Wähler der Mitte zurückzuholen. Wenn nicht alles täuscht, ist Israel doch weit gemässigter, als der ewig polarisierende Netanyahu angenommen hat, und vermutlich hatte der Ministerpräsident bis vor kurzem just deshalb so gute Ratings, weil er mit Gemässigten wie Lapid und Livni regierte. Nun muss er über die Bücher. Und er muss kämpfen. Verliert er am Dienstag hoch, könnten auch seine Tage als Likud-Chef gezählt sein. Die Königsmörder in seiner Partei greifen bereits nach dem Dolch und machen darauf aufmerksam, dass niemand unentbehrlich ist, ein Verlierer am allerwenigsten.

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