In den Kaiserbädern auf Usedom an der Ostsee Die Sonneninsel Deutschlands
Herrliche Abendstimmung herrscht am kilometerlangen, breiten Sandstrand an der Ostsee. Ein weiter Horizont in gelb-orangen Tönen, die Farben spiegeln sich im Wasser der sich zurückziehenden, silber-schwarz schimmernden Meereswellen. Das Rauschen, eine kühle Brise, kaum Meeresgeruch, sonst nichts. 200 Meter landeinwärts brechen die letzten Sonnenstrahlen durch das Schilf am Ufer des kleinen Schloonsees bei Bansin. Auf der Terrasse geniessen die meist deutschen Touristen das Nachtessen – Meer und Seen in nächster Nähe.
Usedom, die zweitgrösste Insel Deutschlands, hat auf kleinstem Raum viel zu bieten. Von der Ostsee zu den Seen, vom lebendigen Badetourismus zum abgeschiedenen Naturschutzgebiet, von der Bäderarchitektur zum reetgedeckten Haus sind die Wege kurz und sogar per Velo einfach zu machen.
150 Jahre alter Badetourismus
Hauptattraktion ist der 40 Kilometer lange Sandstrand. Feinster Sand, bis weit über 50 Meter breit. Dazu so viele Sonnenstunden wie kaum an einem anderen Ort in Deutschland. Kein Wunder also, dass der Badetourismus hier über 150 Jahre alt ist. Der Geldadel aus Berlin, Industrielle und der Kaiser entdeckten damals die Insel; vor allem den kleinen Fischerort Heringsdorf, der neben Bansin und Ahlbeck heute als Kaiserbad bekannt ist, inoffiziell auch als «Badewanne Berlins». Diese Dörfer sind heute noch das Zentrum des Badetourismus. Stundenlang kann man dem Meeressaum entlangspazieren – bis nach Polen. Dass man die Landesgrenze überschreitet, merkt man nicht, höchstens, dass die an der Ostsee typischen kastenförmigen Strandkörbe durch niedrige Stoffbahnen ersetzt werden, um den Wind, der fast immer spürbar ist, abzuhalten.
Weil das Wasser kaum je mehr als 20 Grad Celsius erreicht, vergnügt man sich auch anderweitig: Aus dem Sand wachsen Burgen und Krokodile, deren Panzer mit Muscheln verziert werden. Oder man spielt Mühle mit zwei Arten Muscheln im Sand. Muscheln gibt es in allen Formen, Grössen und Farben. Im Muschelmuseum in Heringsdorf sind rund 3000 Exemplare ausgestellt. Oder man sucht nach Bernstein, der vor allem nach aufgewühltem Seegang mit Seegras angeschwemmt wird. Überall ist es sauber, friedlich und geordnet. Textilstrand, FKK und Hundestrand: Alle haben ihren eigenen Bereich.
Die Sandstrände der Kaiserbäder sind von Dünen und Küstenschutzwäldern begrenzt. Hotelkomplexe, wie man sie von Mittelmeerdestinationen kennt, findet man nicht. Dafür haben die Kaiserbäder eine spezielle Charakteristik zu bieten, die unter dem Begriff «Bäderarchitektur» zusammengefasst wird. Dazu gehören alle Bauten, wie Häuser, Seebrücken, die in irgendeiner Form mit dem Baden zu tun haben. Hans-Ulrich Bauer, Autor verschiedener Bücher, kann auf einem Villenbummel den Gästen die Augen für die reiche Architektur öffnen. Entlang der Heringsdorfer Promenade zieht sich eine Reihe wunderschön restaurierter Häuser. Die eidottergelbe Villa Oechsler etwa wurde 1883 im klassizistischen Stil erbaut. Zwischen Säulen und dem Giebel hat es ein feines Mosaik mit Muranoglas.
Auffallend sind die grosszügigen Parkanlagen der Villen. Die Architekten wollten eine Einheit von Natur und Haus erreichen. «Ist sie nicht schön wie ein Schwan; ohne Zierrat?», schwärmt Hans-Ulrich Bauer von der Villa Oppenheim, die wie viele andere hier im Palladio-Stil erbaut ist und an das Weisse Haus in Washington erinnert. Ganz anders der Stil der Wolgaster Holzhäuser, die viele Schmuckelemente enthalten. Es waren damals die ersten Fertighäuser der Welt. Erker, Türme, Verzierung wurden aus dem Katalog bestellt. Weniger gern sprechen die ehemaligen DDR-Bürger über die Geschichte, die nach der Bäderarchitektur kam: 1933 Arisierung des «Judenbads» Heringsdorf und Enteignungen der Juden, Nazigrössen, die hier Ferien verbringen, später Beherbergung von Flüchtlingen und nach 1945 beliebter Ferienort für die Arbeiter der DDR. Wenige Plattenbauten zeugen noch von dieser Vergangenheit. Aufgebrochene Strassen, verfallene Kirchen und Überalterung in den Dörfern sind ein Hinweis dafür, dass es auf der Insel, die keine Industrie hat, heute an Einkommen fehlt.
Entdeckungen im Velosattel
Die Insel ist nicht für Ausflüge mit dem Auto geeignet. Dafür ist das Velo ein beliebtes Verkehrsmittel. Bis nach Peenemünde, wo 1942 die erste Rakete, eine V2, abgeschossen wurde, kann man entlang des Meers auf Velowegen fahren. Abkürzungen sind dank der parallel verlaufenden Zugstrecke möglich. Wer sein Velo nicht nur für den gut ausgebauten Strandweg nutzen will, erreicht schnell die unberührte Natur des Hinterlands. Der «Feininger-Radweg» führt in die Usedomer Schweiz, durch eine hügelige, bewaldete Landschaft mit grossen, extensiv bewirtschaften Flächen. Er führt an Orte des Wirkens von Malern, die sich durch Licht und Farbe der Ostseeküste beeinflussen liessen.
Deftige pommersche Küche
Heringsdorf erhielt seinen Namen von den Fischen, die in der Ostsee gefangen wurden. Früher war es ein «Arme-Leute-Essen», heute zählt der Fisch zu den teuren Delikatessen, da er rar geworden ist. Berufsfischer gibt es hier kaum noch. Im rustikalen Restaurant «Fischkopp» in Bansin soll noch der Sohn Zander, Barsch und Schnäpel fangen, die sein Vater den Gästen zubereitet. Auf jeden Fall weiss der Koch, wie man mit Fisch umgeht. In der «Kulm-Eck» in Heringsdorf veredelt Brian Seifert, der einige Saisons im Engadin gekocht hat, das Essen mit Wildkräutern von der Insel. Er serviert den Zander mit gerösteter Leberwurst, Schmorgurke und Dillblüten-Tüfte (Kartoffeln). Sonst ist die pommersche Küche deftig, Fischbrötchen sind allgegenwärtig. Die deutsche Kuchenkultur lässt sich im kunterbunten Garten «Zur Naschkatze» in Krummin geniessen. Auf die Frage, was die Hausspezialität «Froschkuchen» sei, meint die Frau in der hier üblichen, eher unterkühlten Freundlichkeit: «Wie macht ein Frosch?»
Anreise: Direktflüge nach Heringsdorf ab Zürich; Informationen zur Insel Usedom