Politik, so sagt Volker Kauder gerne, beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Beginnt, wohlgemerkt, denn es gibt ja schon im uns bekannten Teil des Weltalls so viel Wirklichkeit, dass man als Otto Normalbetrachter aus dem Betrachten gar nicht mehr herauskommt, wenn man einmal damit angefangen hat. Wer dann zu Lebzeiten auch noch Politik machen will, muss sich einen kleinen Teil der Wirklichkeit heraussuchen, am besten einen, der für das große Ganze steht. Den gibt es auch und gerade in Deutschland. Wir meinen nicht das aktuelle In-Lokal in Berlin-Mitte. Wir meinen den Schrebergarten.
Autor: Berthold Kohler, Herausgeber.
An keinem anderen Ort offenbart sich das jeweilige Selbstverständnis der Deutschen im Wandel der Zeiten so offen und ehrlich wie in den Kleingartenkolonien. Sie sind ein Spiegel der deutschen Seele und ein Musterbeispiel für die ungebrochene Anziehungskraft bürgerlicher Lebensentwürfe. Die scheint jetzt sogar Gesellschaftskreise erfasst zu haben, die niemals auf einer Hollywood-Schaukel sitzen und jedes sich zwischen den Primeln zeigende Unkraut mit Agent Orange entlauben wollten. Um frei werdende Parzellen wird in Deutschland mittlerweile so gekämpft wie anderswo nur um ganze Halbinseln. Angesichts dieses Drangs wundert uns doch sehr, dass es noch keine Zeitschrift gibt mit dem Titel „Schreberlust“ oder „Im Kleingarten der Lüste“. Denn selbst die Achtundsechziger sind nach einem langen Marsch durch die Institutionen endlich im Datschen-Elysium angekommen. Dort leben sie uns jetzt als Laubenpieper im Schatten ihrer Hanfpflanzen vor, wie beschaulich und friedlich es in der ganzen Republik, ach was: der ganzen Welt zugehen könnte, wenn sich nur alle an die Neufassung von Rousseaus Gesellschaftsvertrag (unter besonderer Berücksichtigung von Rabatten und Radieschen) hielten, also an das Bundeskleingartengesetz.
Somit ist auch klar, dass man nur dann halbwegs von einer Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit den gemischtgeschlechtlichen Ehen in Deutschland reden kann, wenn diese auch in den Laubenkolonien gewährleistet ist. Das, dem Justizminister sei Dank, ist nun der Fall! Der hat vielen gleichgeschlechtlichen Verbindungen einen Herzenswunsch erfüllt: Stirbt ein Kleingärtner, dann muss der Lebenspartner künftig nicht mehr seine sieben Gartenzwerge packen, sondern darf auf der Pa(a)rzelle bleiben. Die könnte jetzt sogar zur Keimzelle einer neuen Gesellschaftspolitik werden. Warum sind CDU und CSU da eigentlich immer noch so verstockt? Kleinbürgerlicher als im Strebergarten geht es doch gar nicht! Der Union bietet sich nun die einmalige Chance, auch ihre restlichen alten Überzeugungen auf den Komposthaufen zu werfen und nochmals neue Wähler mit der Losung zu gewinnen: Familie ist, wo ein Schrebergarten ist! Danach müssten dann freilich noch ein paar andere überkommene Werturteile geändert werden. Man sieht ja, dass nicht alles schlecht ist am deutschen Kolonialismus.