100 Tage nach G20 Die Polizei braucht Mut
Vor 100 Tagen eskalierte beim G20-Gipfel die Gewalt auf Hamburgs Straßen. Davon hat sich die Stadt noch nicht erholt.
Auch 100 Tage nach dem G20-Gipfel schwären in Hamburg Wunden. Randalierer warfen damals Steine auf Polizisten, legten Brände, zerstörten Schaufenster. Als hehres Fanal gegen Trump & Co. galt bereits, den Kleinwagen von Rentnern in ein rauchendes Wrack zu verwandeln.
Was bleibt, ist ein Gefühl von Ohnmacht. Denn noch immer ist unklar, warum die Polizei daran scheiterte, neben den Gästen auch die Stadt zu schützen. Es ist das Urvertrauen in den Rechtsstaat, das an der Elbe Schäden erlitten hat.
Gehwegplatten und Molotowcocktails
Auf Videoclips im Netz ist zu sehen, wie am 7. Juli morgens vermummte Horden ungestört durch Altona zogen - obwohl die angrenzenden Wachen in fußläufiger Nähe voll besetzt waren. Man habe auf Hundertschaften der Bereitschaftspolizei warten wollen, die ohnehin im Einsatz waren, hieß es später. Das habe gedauert.
Am Abend jenes Tages, die Lage in der Sternschanze eskalierte, griff die Polizei zwei Stunden nicht ein, weil sie einen Hinterhalt fürchtete. Unbekannte hätten sich auf Hausdächern postiert, mit Gehwegplatten und Molotowcocktails. Erst Spezialkräfte konnten die Lage klären. Da waren längst Geschäfte geplündert, und auf den Straßen herrschte Anarchie.
In der Bürgerschaft, dem Parlament des Stadtstaates, hat sich im August ein Sonderausschuss formiert, der die G20-Vorfälle untersucht. Die Erkenntnisse halten sich bisher in Grenzen.
Entscheidende Fragen sind offen. Was bedeutete der Ukas im Einsatzbefehl, wonach der Schutz der Gäste höchste Priorität hatte? Wie konnte sich die Lage in der Schanze über Stunden hochschaukeln? Warum konnte die Polizei bis heute weder sichergestellte Gehwegplatten noch Molotowcocktails als Beweismittel vorlegen?
Dass Beamte in Uniform, oft junge Mütter und Väter, vor entfesselter Gewalt zurückschrecken, ist menschlich verständlich. Zugleich kann es mit dieser Erklärung nicht sein Bewenden haben. Immerhin waren insgesamt 31.000 Polizisten im G20-Einsatz, Experten zufolge das Maximum für eine solche Großlage.
Die Polizei muss klarmachen, wie sie in Zukunft mit vergleichbaren Situationen umgehen will. Dazu gehört die Bereitschaft, Fehler einzugestehen, auch wenn das schwerfällt, dazu gehört Mut. Und es schadet nicht, auf die eigene Glaubwürdigkeit zu achten. Wenn man Angaben korrigieren muss, ist das ärgerlich.
So hieß es jüngst, es seien 8000 Polizisten mehr im Einsatz gewesen als zuvor verkündet. Und während des Einsatzes twitterte die Pressestelle, Gummigeschosse würden nicht eingesetzt. Später hieß es, das sächsische SEK habe das durchaus getan.
Der Staat hat das Monopol, Gewalt anzuwenden. Im Gegenzug gewährt er seinen Bürgern Schutz und verhindert Selbstjustiz. Diesen Deal hat die Polizei beim G20-Gipfel nicht eingelöst. Das darf nicht wieder geschehen.
Wer den Notruf wählt, muss sich darauf verlassen können, dass eine Streife kommt. Und zwar sofort. Auch wenn es Polizisten gibt, denen manchmal der Mut fehlt.