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Urteil im Vergewaltigungsprozess "Keine Strafe kann das wiedergutmachen"

Wegen der Vergewaltigung einer Studentin auf der Bonner Siegaue ist Eric X. zu elfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Richter und Opferanwältin betonten die schweren Folgen der Tat.

Von Christian Parth, Bonn


Aufmerksam folgt Eric X. den Ausführungen seines Übersetzers, als Richter Marc Eumann um kurz nach 12 Uhr das Urteil verkündet. Der 31-jährige X. ist wie an den vergangenen Prozesstagen an Händen und Füßen gefesselt. Weil er als unberechenbar gilt, sind die Handschellen zusätzlich an einem schwarzen Gürtel fixiert, der um seine Taille gebunden ist.

Wegen Vergewaltigung und räuberischer Erpressung, beides in besonders schwerem Fall, muss der Ghanaer elf Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. "Mein Mandant hat das Urteil mit Fassung aufgenommen", sagt Pflichtverteidiger Martin Mörsdorf anschließend und wirkt dabei entnervt. Denn Eric X., was nach dem Prozessverlauf kaum verwundert, will das Urteil nicht hinnehmen und in eine juristisch wohl aussichtslose Revision gehen. Er bestreitet die Tat noch immer.

Eine Stunde lang begründet der Vorsitzende die Entscheidung der 10. Großen Strafkammer am Bonner Landgericht - ruhig und präzise. Was das Studentenpaar aus Freiburg in der Nacht vom ersten auf den zweiten April dieses Jahres auf der Bonner Siegaue habe durchmachen müssen, sei ein "Horrorszenario" gewesen, das das Leben der beiden bis heute belaste und noch einer langwierigen Aufarbeitung bedürfe.

Bis heute das Studium nicht wieder aufgenommen

"Die ersten vier Wochen nach der Tat waren die Hölle", berichtet Eumann über die Geschädigten, die im Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt hatten. Panikattacken, Albträume, Angstzustände. Stimmungsschwankungen bis hin zu Suizidgedanken, auch bedingt durch die Nebenwirkungen der Medikamente, die das Vergewaltigungsopfer als Prophylaxe etwa gegen HIV und Hepatitis C einnehmen musste. Beide hätten ihre Studien bis heute nicht fortsetzen können. "Der ganze Lebenslauf ist in Abbruch geraten", sagt Eumann.

Ohne unnötig die Intimsphäre der Opfer zu verletzen, zeichnet der Vorsitzende noch einmal den Tathergang nach: Kurz nach Mitternacht taucht X. am Zelt des Pärchens auf, das auf den Wiesen an der Sieg campiert. "Wie Butter" zerschneidet er mit seiner 80 Zentimeter langen Astsäge, die er wenige Stunden zuvor geklaut hatte, die Haut des Zelts und redet aggressiv auf die beiden ein. Dabei fuchtelt er mit der Säge und macht immer wieder Stichbewegungen in Richtung der Frau. "Sie saßen da, wie Tiere im Käfig, eingeengt in der Falle, hatten Todesangst", sagt Eumann.

Das Pärchen händigt X. Bargeld aus, um die sechs Euro, und eine Bluetooth-Box. Der 27 Jahre alte Student will schon jetzt heimlich den Polizeinotruf wählen, doch sein Handy befindet sich im Flugmodus. "Come out bitch. I wanna fuck you", sagt Eric X. schließlich und bedroht die Frau erneut mit der sichelförmigen Säge. Richter Eumann versucht immer wieder, die aggressive Stimme des Täters nachzuahmen, ganz so, als wolle er den Anwesenden deutlich machen, in welch verzweifelter Lage sich die Opfer befanden. "Lass uns am Leben", flehten die beiden.

"Es hat keinen Sinn, ich gehe jetzt raus", habe die 23-Jährige schließlich zu ihrem Freund gesagt. Er solle im Zelt bleiben und versuchen, die Polizei zu verständigen. Als X. plötzlich wieder zetert, weil er mitbekommt, dass der Freund mit der Polizei telefoniert, beruhigt sie, beinahe übermenschlich, ihren Peiniger.

"Wir haben überlebt"

Nach der Vergewaltigung flüchtet X. Das Pärchen rennt Richtung Straße und trifft endlich auf einen Streifenwagen, den die Zentrale geschickt hatte. "Erst dann wird ihnen klar: 'Wir haben überlebt'", schildert Eumann, macht eine kleine Pause, atmet durch und wiederholt den Gedanken der Opfer: "Wir haben überlebt."

Überführt wurde X., der bis zur Tat in einer Flüchtlingseinrichtung in St. Augustin untergebracht war, vor allem durch DNA-Spuren. Mit dem Strafmaß bleibt das Gericht allerdings unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die 13 Jahre verlangt hat. Das Gericht habe abzuwägen gehabt, was für und was gegen den Angeklagten spreche, erklärt Eumann. Abgesehen von der Tat selbst und den seelischen Folgen für die Opfer sei dem Angeklagten vor allem sein Verhalten vor Gericht "auf die Füße gefallen". Schon am ersten Prozesstag hatte X. sein Opfer als Prostituierte verhöhnt.

Zudem habe der Angeklagte jede Gelegenheit, trotz der erdrückenden Beweislast ein Geständnis abzulegen, verstreichen lassen, sagt der Richter. Der psychiatrische Gutachter attestierte dem abgelehnten Asylbewerber, der eigenen Angaben zufolge aus Ghana geflüchtet war, weil er dort im Streit angeblich seinen Schwager getötet hatte, eine Mischung aus Borderline und Narzissmus. Dennoch sei er voll schuldfähig. Er habe während der Tat Einsicht- und Steuerungsfähigkeit gezeigt. "Er wusste, dass das falsch ist", ist Eumann sicher.

Andererseits sei X. nicht vorbestraft, als Ausländer und Ersttäter "besonders haftempfindlich", zudem sei die Tat nicht geplant, sondern spontan erfolgt. Deshalb sei weder die Höchststrafe von 15 Jahren noch die Forderung der Staatsanwaltschaft in Betracht gekommen. Die Nebenkläger kommentieren das Urteil anschließend nur knapp. "Es ist eine Sanktion. Aber keine Strafe, kein Geld der Welt kann das wiedergutmachen", sagt Gudrun Roth, die Anwältin der Studentin.

Eric X. wird mindestens die Hälfte der Strafe in Deutschland verbüßen müssen, anschließend droht ihm die Abschiebung.

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