Elterncouch Mist! Ich ertrage meine Kinder grad nicht
Manche wollen sechs, andere lieber gar keins: Wie viele Kinder wir haben wollen, muss jeder selbst entscheiden. Ich habe immer von einer großen Familie geträumt. Dann kam die Elternzeit.
Theodor Ziemßen schreibt auf der Elterncouch im Wechsel mit Juno Vai und Jonas Ratz.
Vor einigen Wochen telefonierte ich mit meinem Vater. Ich hatte gerade den ersten Monat meiner Elternzeit hinter mir und erzählte ihm, wie anstrengend ich den Job als Vater fände. Und wie sehr ich mich manchmal an meinen Schreibtisch im Verlag zurücksehnte. "Was glaubst du, warum ich zwanzig Jahre durchgearbeitet habe, als ihr klein wart", antwortete er.
Das war, nun ja, hart.
Klar, er wollte mich trösten, mir sagen, dass ich mit diesem Gefühl nicht allein bin. Was bei mir ankam, war, dass er meine Schwester und mich nicht ausgehalten hat, dass er über Jahre vor uns zur Arbeit geflohen ist. Unter der Woche ins Büro, an den Wochenenden auf Baustellen, auf denen er ausgeholfen hat. In meiner Erinnerung war er fast nie da. Nur abends. Dann legte er sich nach dem Essen erschöpft auf das Sofa, knipste den Fernseher an und schlief ein.
Ich dachte daran, wie ich mich immer freue, wenn ich ein wenig Zeit ohne Kinder habe. War ich gerade dabei, wie mein Vater zu werden?
Vier Kinder. Klingt doch prima, oder?
Früher habe ich immer gedacht, dass ich mal eine große Familie haben würde. Drei Kinder, lieber vier. Mama, Papa und vier Kinder - klingt doch prima.
Viel mehr habe ich mir nicht vorgestellt. Keine Szenen wie aus Werbespots, in denen wir lachend zusammen am Frühstückstisch sitzen oder ausgelassen durch einen Park rennen. Ich hatte überhaupt keine Idee, wie es wäre, eine so große Familie zu sein. Irgendwie wusste ich, dass ich dann wahnsinnig glücklich wäre. Aber das ist ja klar. Was sollte es auch sonst bedeuten, als wahnsinniges Glück, eine Familie zu sein?
Therese und ich haben Willem (14 Monate) und Benjamin (wird diese Woche 5) - Mama, Papa und zwei Kinder. Zwei Jungs, die ich manchmal so sehr liebe, dass ich es kaum fassen kann. Trotzdem: Aufnahmen aus unserem Alltag wären für die Werbung kaum zu gebrauchen. Die beiden sind mitunter irrsinnig anstrengend - starrsinnig und launisch, laut und gnadenlos. Naja, so sind halt Kinder, könnte man sagen. Oft gelingt mir das auch. Aber nicht so oft, wie ich es mir wünschen würde.
Naja, so sind Eltern halt
Wenn man sich auf das Vater-sein bewerben müsste, würde ich den Job vermutlich nicht bekommen. Ich bin zu gern allein, habe zu viele Interessen, denen ich nicht gemeinsam mit den Kindern nachgehen kann und bin leicht von Unordnung jeder Art aus der Ruhe zu bringen. Und wenn mir der Kinderirrsinn zu viel wird, werde ich starrsinnig und launisch, manchmal sogar laut und gnadenlos.
Naja, so sind Eltern halt. Das hab ich irgendwie noch nie jemanden sagen hören.
Das soll keine Ausrede sein, mich nicht um Benjamin und Willem zu kümmern oder gar Therese die ganze Verantwortung aufzuhalsen. Auch kein Grund dafür, dass ich doch lieber keine Kinder hätte. Die beiden gehören zu dem Besten, was mir passiert ist. Aber drei oder gar vier solche Anarchos? Noch mehr Geschrei, noch mehr Streit, noch mehr Wünsche und Bedürfnisse. Und vor allem: Noch mal zwölf Monate mit einem Baby, das in Therese und mir kaum mehr sieht als zwei Bedürfnisbefriediger, das unser Leben, unsere Pläne und Ideen für ein Jahr auf Pause schaltet? Nee, danke.
Elternzeit mit Baby-Handgranate
Cool wäre ein Persönlichkeitstest, mit dem Eltern in Spe ermitteln können, wie viele Kinder sie haben sollten. Bei mir würde vermutlich so etwas wie 1,37 rauskommen. Jetzt sind es zwei. Und schon vor der Elternzeit hatte ich eine diffuse Angst, dass ich es irgendwie nicht hinkriege. Aber ich dachte auch: Wenn du so viel Respekt vor diesen drei Monaten hast, liegt in dieser Zeit bestimmt auch eine Selbsterkenntnis verborgen, die deinen Blick auf dein Leben verändern wird. Lag sie ja auch. Und hat sie. Nur eben leider nicht so, wie ich dachte.
Kennen sie diese Cartoons, in denen in der Wiege kein niedliches Baby, sondern eine Handgranate liegt? So fühlt es sich für mich oft an. Diesen Gedanken, dass ich nur eine Kleinigkeit falsch machen muss und alles sich in Chaos auflöst, konnte ich schon mit nur einem Kind nie ganz aus dem Kopf bekommen. Zwei Kinder sind für mich, als müsste ich mit Handgranaten jonglieren. Während ich Mittagessen koche, die Wäsche sortiere und dafür sorge, dass Willem sich nicht vom Sofa in den Tod stürzt.
Eine Zeit lang habe ich es trotzdem ganz okay hinbekommen. Na ja, selbst an den guten Tagen war ich abends vollkommen erledigt. Aber es ging einigermaßen. Mein Trick war ein Mantra: "Nichts planen, nichts wollen". Und so lange ich nichts erledigte, niemanden traf, nichts Kompliziertes mit den Kindern unternahm oder gar eigene Ideen verfolgte, ging alles ziemlich gut. Das Problem war nur: Ein Alltag, in dem man vor lauter Angst, das Baby könnte schlecht draufkommen, alles Unvorhersehbare ausklammert, ist auf die Dauer total frustrierend.
Bei mir hat es fünf Wochen gedauert, bis ich eines Abends Therese in Tränen aufgelöst erklärte, dass ich das alles nicht kann. Dass ich wisse, dass meine drei Monate gegen ihre elf ein Spaziergang sein müssen, dass ich sie liebe und bewundere, dass sie vermutlich der bessere Mensch sei und ich sowieso der schlechteste Vater der Welt. Dass ich Angst hätte, die Kinder bald zu hassen und es vermutlich das Beste sei, wenn ich die Elternzeit abbräche.
Was half - und was besser half
"Von Außen sieht es sehr gut aus", sagte sie. Ich würde das alles doch ganz prima machen. Sogar besser als sie. Schließlich würde ich mich nicht nur rührend um die Kinder kümmern, sondern sogar noch den Haushalt einigermaßen hinbekommen. Ich schluchzte, dass ich das nur täte, um mich davor zu drücken, mit dem Baby zu spielen. Sie lachte, nahm mich in den Arm und sagte, so hätte sie sich in ihrer Elternzeit auch oft gefühlt. Und sie sei irre froh, endlich wieder arbeiten zu können. Das half. Zumindest für einen Moment.
Was besser half, war der Tag, ab dem Willem in der Kita eingewöhnt und fünf Stunden täglich nicht Zuhause war.
Jetzt sitze ich wieder in meinem Büro. Und von meinem Schreibtisch aus betrachtet, waren die drei Monate ein tolles Geschenk. Willem und ich sind uns viel nähergekommen. So nahe sogar, dass ich mich manchmal aus lauter Vernarrtheit mit vollgesabbertem Käse aus schmutzigen Babyfingern füttern lasse. Auch Benjamin und ich sind über die Elternzeit ein ziemlich gutes Team geworden. Er ist die meiste Zeit sehr verständnisvoll und freundlich zu Willem und mir. Und ich komme an die oberen Schränke.
Liebe Leserinnen und Leser, sind Sie auch manchmal vollkommen von ihren Kindern überfordert? Oder haben Sie schon vier Kinder, hätten am liebsten zwei weitere und möchten mir verraten, wie Sie das hinbekommen? Ich freue mich auf Ihre Zuschriften!
- Illustration: Michael Meißner
Vater von Benjamin (4) und Willem (0)
Liebstes Kinderbuch: "Pu der Bär", das Original. Aber immer, wenn ich daraus vorlesen will, sagt Benjamin "Das andere 'Pu der Bär'" - und holt ein hässliches Winnie-Puuh-Buch von Disney raus, das er mal von meiner Mutter bekommen hat.
Nervigstes Kinderspielzeug: Mein kaputter ferngesteuerter Hubschrauber. Weil ich versprochen habe, ihn wieder zum Laufen zu bringen.
Erziehungsstil: Immer versuchen, fair, freundlich und verlässlich zu sein - auch sich selbst gegenüber.
...hat uns wohl allen Flausen in den Kopf gesetzt! Die fröhlichen Pampers-Babies, die glückliche RAMA-bzw. Knorr- Familie...kein Wunder, dass echte Eltern mit echten Kindern da manchmal an sich zweifeln! Ich freue mich über die realistischen Beiträge der Elterncouch. Das Schöne ist ja auch: Ohne Erwartungsdruck an sich selbst kann man die schönen Momente einfach genießen und sich nicht einbilden, das müsse 24/7 Standard sein.
Schon mal was davon gehört? Helikoptereltern? Dass man seine Kinder liebt, ist eigentlich normal, dass man sich dafür aufgibt, sicher nicht. Das habe ich durch sehr harte Schule lernen müssen. Seit ich eine gewisse innere Distanz zu meinem Sohn entwickelt habe und auch mal zwischendurch auf biologisch nicht einwandfreie Fertiggerichte zurückgreife und vor allem ihn als Perönlichkeit und nicht als mein Projekt betrachte, läuft's mit uns richtig gut, nicht super, aber zutiefst ausgeglichen.
...davon sollte sich JEDES Elternteil schnell verabschieden, denn niemand kann das. Frustration ist da völlig normal, ich glaube, wer das noch nicht erlebt hat, verfügt über keine ausreichende Selbstreflektion, oder ist tatsächlich perfekt. Ich kenne allerdings niemanden, dem das bisher gelungen ist. Für Selbstmitleid ist allerdings auch kein Platz, Probleme erkennen und an der Lösung arbeiten, dann wird das auch was. Jedes Alter hat davon Neue, ich ( Vater von 9 und 12) freue mich gerade auf die Pubertät. Wird sicher super.
Ich liebe meine Mädchen und auch ich war in der Kleinkindzeit oft aufgebraucht und sehnte mich nach ungestörtem Alleinesein. Im Rückblick überwiegten natürlich die tollen Erfahrungen und die fordernden Jahre waren auch irgendwann rum. Nicht alle Eltern erleben es so, wie im Artikel beschrieben, aber ich gehörte zu dieser Sorte.
... hat es gebraucht, um die Helikopter-Keule rauszuholen. Dabei ist der Artikel so schön ehrlich und zeigt eben gerade, dass Helikopter eigentlich gar nicht geht... weil man dabei selber völlig am draufgehen wäre.
Klar ist es zwischendurch anstrengend wenn die Kinder was wollen und Bedürfnisse haben und man sich ständig um andere Lebewesen kümmern muss anstatt nur um sich selbst. Schade finde ich es dass der Autor die freiwilligkeit seiner Arbeit nicht erkennt und aus dieser Tatsache keine Kraft schöpfen kann. Wer ausser Papi/Mami kann sich so gut um seinen liebsten Schatz kümmern? KEINER! AuS diesem Grund sollte man es gerne machen und immer WOLLEN. Und wenn man erschöpft ist muss man an die schönen Momente denken für die es sich gelohnt hat! Ein Lächeln. Ein Lacher. Ein Glucksen. Eine zärtliche Berührung. Eine lustiger Moment. Das Projekt "Kleinkind" ist so schnell vorbei dass man jede Minute auskosten muss! !!
... gab es die Nazi-Keule, heute ist es die Helikopter-Keule. Mir geht es genauso wie im Artikel beschrieben, meine Arbeit empfinde ich als weniger anstrengend als einen Tag zu Hause mit zwei kleinen Kindern. Ist wohl normal, geht jedenfalls meinem gesamten Bekanntenkreis so. Das Streben nach ein wenig Ruhe lässt sich bei uns immer schön auf Projekt-Treffen beobachten: Es sind vier Väter von Kleinkindern dabei, und während die anderen abends nach dem Essen im Restaurant wild diskutieren, sitzt diese kleine Gruppe meist stillschweigend mit einem Bier in der Hand draussen vor der Tür, um 15 Minuten Ruhe zu genießen.
Für so viel ehrlichkeit. Mama & Papa sein ist ein Knochenjob. Und der beste der Welt.
Naja, das Dasein als Eltern bei anderen zu beobachten ist die eine Seite, es selbst mitzuerleben die andere Seite. Nicht missverstehen, ich liebe meine Kinder über alles und freue mich jeden Tag auf die beiden, aber es ist trotz allem unglaublich anstrengend, auch wenn ich merke wie es Monat für Monat leichter wird (die beiden sind jetzt 2 und 3). Schlafmangel mag man kennen, wenn man dann aber über Jahre hinweg nicht einmal durch- oder gar ausschlafen kann, bekommt das Wort eine eine andere Dimension, ich weiß gar nicht mehr wie viele Nächte ich mir mit den Kindern um die Ohren geschlagen habe, weil ein Kind um 02:00 ausgeschlafen hatte. Oder ab 01:00 nachts das wegen einer Mittelohrentzündung schreiende Kind zu betüdeln, um dann um 6:00 des Berufs wegen zum Flughafen zu fahren, um 20:00 wieder nach Hause zu kommen und die nächste Nacht wieder das Gleiche zu erleben. Man merkt dann irgendwann, wie es einen auch psychisch angreift, was in dem Artikel ja auch nett beschrieben wurde. Wie gesagt, für nichts auf der Welt würde ich die beiden hergeben, ungemein anstrengend ist das Leben dennoch. Ich kann sehr gut verstehen, wenn man sich gegen Kinder entscheidet, denn natürlich gibt man mit Kindern sehr viel seiner persönlichen Freiheit auf.
alles genauso bei uns...wiedermal schön zu lesen! Wir machen auch alles alleine - also eigentlich ich - mein Mann arbeitet im 3 Schicht System und schläft zu Hause die meiste Zeit. So gesehen habe ich fast 3 Kinder statt 2, wenn man so will.