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Die gemanagte Region Jennifer Gerend Geburt einer Region Sicherlich hätte es Moderationswände, bunte Karteikarten und runde Tische in einem Rathaussaal gegeben. Teilnehmende wären zu ihren lokalen Bedürfnissen befragt und anschließend noch mit ein paar Wordclouds per Handy animiert worden. Trotz der Pandemieumstände kam die Region Rangau in Mittelfranken während einer abendlichen Auftaktveranstaltung am 25.11.2021 zur Welt – per Zoom eben. Die frisch gebackene Region Rangau besteht aus einer Lokalen Aktionsgruppe (LAG) mit 20 Mitgliedskommunen. Die Region will auf das LEADER-Förderprogramm zugreifen, wovon bereits 61 % der ländlichen Bevölkerung in der Europäischen Union (EU) profitieren (European Network for Rural Development 2018). Der LEADERAnsatz unterstützt lokale Gemeinschaften in ländlichen Räumen und fördert eine sektorübergreifende endogene Regionalentwicklung. Spürbar bei der ZoomVeranstaltung der neuen LEADER-Region war ein Interesse, die Herausforderungen der Region gemeinsam angehen zu wollen; immerhin gehörten die drei bereits bestehenden kommunalen Allianzen zu der neu gegründeten LAG. Ob durch LEADER, Landesmittel für Regionalmanagement oder Integrierte Ländliche Entwicklung gefördert: Ein eigener Beruf ist an die Beschäftigung mit Regionen gebunden. Regionalmanager:innen arbeiten mit breiten Netzwerken von Akteur:innen (z.B. im Landkreis, Verein, einer GmbH oder im Naturpark) aus einer Kombination von Konzeptarbeit und Projektumsetzung. Ein regionalerer Beruf ist kaum vorstellbar; darum die berechtigte Frage: Was verstehen Regionalmanager:innen unter dem Begriff Region? Wenn Regionen als Konstrukte (Paasi & Metzger 2017, S. 4) betrachtet werden, sind Regionalmanager:innen wesentlich an eben dieser Konstruktion beteiligt. Das Ziel dieses Beitrags ist, zu verstehen, wie Regionen von Regionalmanager:innen (mit)gemacht werden und welche Instrumente (z.B. Fördermittelinstrumente) dafür genutzt werden – also: Wie machen bzw. regionalisieren die Regionalmanager:innen? Der Beitrag beginnt mit einem Überblick zu dem Beruf Regionalmanager:in und dessen Entstehung. Danach wird Regionalmanagement in seinen Bestandteilen getrennt betrachtet: Region und Management. So folgen Überlegungen 92 Jennifer Gerend zum Begriff Region aus Sicht des Regionalmanagements und dazu, was es bedeutet, eine Region zu managen. Da in Regionalmanagements und ihren Projekten auf verschiedene Fördermittel zurückgegriffen wird, sind diese essenziellen Förderinstrumente unter dem Teil Die Region fördern beleuchtet. Schließlich sollen die Erkenntnisse gesammelt ein Bild davon ergeben, wie Regionalmanager:innen ihre Regionen gestalten und inwiefern das zu unserem Verständnis von Region beiträgt. Dieser Beitrag beruht auf Literatur zum Regionalmanagement sowie auf Interviews, die dafür gesondert geführt wurden. Auf dem Weg zur Erkundung des Begriffs Region wurden einige Fragen an Regionalmanager:innen gestellt, um einen Einblick in ihre regionale Praxis zu gewährleisten. Die Gespräche fanden zwischen November und Dezember 2021 per Videokonferenz statt. Zu den ausgewählten Gesprächspartner:innen: In der Region Hesselberg gestalten Anuschka und Matthias Hörr das LAG- und Regionalmanagement in einem heute als Geschäftsstelle der regionalen Entwicklungsgesellschaft genutzten restaurierten Schlossflügel in der Gemeinde Unterschwaningen in Bayern (ca. 900 Einwohner:innen). Im Landratsamt Kitzingen sind Maja Schmidt und Simone Göbel verantwortlich. Prof. Dr. Markus Lemberger ist im Regionalmanagement des Landratsamts Cham sowie an der Hochschule für angewandtes Management in Bayern tätig. Lemberger ist auch Sprecher des Kompetenznetzwerkes Regionalmanagement Bayern regional. Mit dem Einverständnis der Interviewpartner:innen sind Abschnitte aus diesen Gesprächen hier wiedergegeben. Beruf: Regionalmanager:in Eine Region zu steuern oder sogar neu zu gestalten, indem man ihre heterogenen Teile zusammenpackt – und was eine Region ist und macht (»what a region is and does«), wird in der Regionalforschung heute erheblich anders wahrgenommen als früher (Paasi & Metzger 2017, S. 27). Wie und von wem Regionen aktiv produziert und reproduziert werden, gehört im wesentlichen Teil zu dem Berufsbild Regionalmanager:in (Evers & Kleinfeld 2018; Othengrafen et al. 2021). Hier handelt es sich um eine Dienstleistungsfunktion für Regionen: Regionalmanager:innen sind Ideengebende, Netzwerkende, Beratende, Moderierende, Streitschlichtende und Promotende von regionalen Entwicklungsprozessen und Projekten (Heintel 2018, S. 2024). Regionalmanagement wird als Instrument zur Umsetzung der Landesentwicklung gesehen oder auch als regionale Selbststeuerungsform betrachtet (Strunz 1998). Oft erarbeitet das Regionalmanagement regionale Entwicklungskonzepte gemeinsam mit Unternehmen, Regionalplanung, kommunaler Planung und politischen Entscheidungsträger:innen sowie mit der lokalen Zivilgesellschaft und setzt Projekte um (Othengrafen et al. 2021, S. 139). Für die lange übersehenen »Mul- Die gemanagte Region tilokalen« mit mehreren Lebensmittelpunkten für Arbeit, Bildung und Zuhause sind Regionalmanager:innen ideale regionale Anlaufstellen für eine Beteiligung an regionalen Prozessen (Othengrafen et al. 2021, S. 135ff.). Häufig werden von Regionalmanagements Themenschwerpunkte gemeinsam mit Fachverwaltungen aufgegriffen, insbesondere wenn die Landespolitik bestimmte Prioritäten setzt – zum Beispiel beim Flächensparen und bei der Innenentwicklung (Gerend 2020). Im Gegensatz zu dieser Top-down-Themensetzung ist es gleichwohl möglich, lokale Bedürfnisse und Prioritäten mit Hilfe von Regionalmanagements in einem Bottom-up-Ansatz aufzugreifen. Gerade dann werden für viele Bürger:innen der Beruf und die Aufgaben des Regionalmanagements sichtbar. Insofern lernen viele Bürger:innen das Regionalmanagement durch lokale Projekte kennen. Einige Projektbeispiele aus den Regionen Hesselberg, Kitzinger Land und Cham, die gleichzeitig viel über die regionale Identität und Wünsche der Bürger:innen offenbaren, sind: die wissenschaftliche Aufbereitung eines jüdischen Friedhofs, ein Infozentrum Holz und Energie, die Instandsetzung einer historischen Mühle, ein mobiles MINT-Labor für Kinder, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Dachmarken für regionale Produkte sowie jede Menge Lauschtouren und Angebote für Rad- und Wandertourist:innen. Aus dem Beispiel der drei konkreten Regionen lässt sich lesen, wie die Bürger:innen sich mit einem lokalen Thema oder konkreten Ort beschäftigen, oder aus einer Ressource schöpfen wollen, oder ihre Heimat anders für Tourist:innen präsentieren wollen. Die Region erwächst aus derartigen Projekten und wird als solche wahrgenommen. Regionalmanager:innen sind in vielen Ländern tätig, insbesondere wo Fördermittel (z.B. LEADER in der EU) diese Aufgaben unterstützen. In Deutschland und Österreich kann Regionalmanagement generell auf Erfahrungen seit den 1990er Jahren zurückblicken (Heintel 2018; Strunz 1998). Großen Bedarf für Regionalmanager:innen stellte Strunz bereits 1998 ohne Zweifel fest: »Für die Umsetzung von landes- und regionalplanerischen Zielen werden Regionalmanager benötigt« (Strunz 1998, S. 437). Aber wer sollte professionell als Regionalmanager:in tätig sein? Damals wurde viel diskutiert, inwiefern Regionalplaner:innen am besten für die Regionalmanagement-Stellen geeignet sind. Während damals bereits viele Raumplaner:innen im Regionalmanagement tätig waren, hat sich der Beruf Regionalmanager:in seitdem fachlich eigenständig weiterentwickelt. Regionalmanagement ist heute längst ein souveräner Studiengang, ein Forschungsbereich, eine Plattform zur Aushandlung von regionalen Interessen, ein Netzwerk und ein etablierter Beruf. Meist arbeiten Regionalmanager:innen in der Praxis mit bescheidenen Ressourcen und mit wenigen Mitarbeitenden. So müssen sie etwas von Allem können. Was unterscheidet die berufliche Ausbildung im Regionalmanagement von jener in der Raumplanung oder anderen nahen Arbeitsfeldern? An der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, in Deutschlands kleinstem Hochschulort, starten jähr- 93 94 Jennifer Gerend lich zwischen 20 und 25 neue Masterstudierende im Studiengang Regionalmanagement, einem von wenigen vergleichbaren Studiengängen in Deutschland. Bis zum Abschluss erlernen die Studierenden Theoretisches und Praktisches: regionales Wertschöpfungsmanagement, Erstellen von thematischen Karten in GIS, Newslettergestaltung mit InDesign, Moderation von Veranstaltungen, Stakeholdermanagement, Strategien für die Innenentwicklung und nicht zuletzt die Gestaltung von regionalen Entwicklungskonzepten. Sie erwerben die notwendigen Kompetenzen, um Regionen zu entwickeln und zu gestalten. Regionalmanager:innen zum Begriff Region Da die Gründung solcher Regionen eng mit ihrem Management in Verbindung steht, lässt sich eine gewisse Huhn-oder-Ei-Frage stellen: Existierte die Region vor dem Regionalmanagement? Und wie ist eine Region von Regionalmanager:innen zu verstehen? Im Landkreis Kitzingen spricht das Regionalmanagement vom Kitzinger Land: »Eine Region kann die Landkreisebene umfassen, aber muss nicht«, erklärt die langjährige Regionalmanagerin Schmidt. »Es kann auch ein Naturraum sein, oder eine Metropolregion, oder eine Zusammengehörigkeit der Kommunen […] in einem gewissen Ausmaß«, erläutert sie. Obwohl es politische Grenzen für Förderanträge und Dokumentation gibt, werden solche Territorien von den Regionalmanager:innen selten überbewertet; vielmehr sind ihre Regionen durch die Netzwerke, menschliche Interaktionen und unterschiedliche Zusammengehörigkeit geprägt. Ganz nach Paasi und Ferdoush (Paasi et al. 2022, S. 2) sind Territorien und Grenzen dynamische Ideen, die davon abhängig existieren, was wir in der Praxis daraus machen. Mit jedem Projekt oder Netzwerktreffen eines Regionalmanagements existiert ebenso die Region. Auch die Region Hesselberg hält sich bei ihrem Zusammenschluss nicht an administrative oder politische Grenzziehungen. Neben dem – wenn auch teilweise weiten – Blick auf den Hesselberg wird die Region vor allem von einem gemeinsamen Ziel geprägt: Herausforderungen, die für eine einzelne Gemeinde zu groß sind, »als Gemeinschaft zu bewältigen«, so Anuschka und Matthias Hörr. Für Lemberger in der Region Cham gehören die administrativen Grenzen auch eher wenig zum eigentlichen Verständnis des Begriffs. Für ihn ist die Region »eine aus natürlichen Ketten entwickelte Landschaft, die sich durch persönliche Netzwerke bildet. Das ist für mich das eigentlich Entscheidende. Die Gebietsabgrenzungen haben wir zwar, die politischen Gebietsabgrenzungen müssen wir auch haben, aber ich stelle über die Jahre fest, dass sie irrelevant für die natürlichen Beziehungen der Menschen sind. Vielleicht auch eine Besonderheit in der Die gemanagte Region Region, wo ich im Bayerischen Wald bin, da gibt’s eine historische Verbindung in diesem Landkreis mit vielen unterschiedlichen Traditionen, Netzwerken, Sprachen und Dialekten… unsere Region hat viele Teilkohorten […] Die politische Region ist eher ein Kontext«. Es zählen demnach die Netzwerke und menschlichen Interaktionen. Existiert dann die Region eigentlich erst durch das Praktizieren verschiedener Maßnahmen wirklich als Region? Was sagen Regionalmanager:innen dazu, ob die Region vor dem Regionalmanagement existierte? »Als Region schon, aber viele Projekte nicht«, sagt Göbel zur Region Kitzinger Land. Weiter erläutert sie: »Da hat das Regionalmanagement wirklich die Region vorangebracht […] sie ist eine Marke geworden, auch durch LEADER. Das wurde viel in Evaluierungen genannt.« Schmidt schließt sich an: »Die Region war verwaltungsorientiert […] Vorher waren viele Einzelmaßnahmen da. Wir haben die Themen wie Tourismus und Marketing entwickelt, auch durch LEADER. Es gab vorher gewisse Ansätze, aber es hat einen größeren Aufschwung gegeben, als diese [Regionalmanagement-]Stellen eingerichtet worden sind. Ein Zusammenwachsen«. Als die Regionalmanagerin Schmidt vor 18 Jahren anfing, hörte sie sowohl von einigen Bürgermeister:innen aus dem Steigerwald als auch aus dem Maintal, dass es bei der jeweils anderen Seite besser liefe: »Jetzt hört man das eigentlich überhaupt nicht mehr«, berichtet Schmidt. Was aus der Region Cham vor dem Regionalmanagement existierte, erklärt Lemberger: »Wir sind ein relativ altes Regionalmanagement – seit 1993. Vorher war das eine politische Gebietskörperschaft. Wir haben angefangen, Regionalentwicklung anders zu denken als nur verwaltungstechnisch. Ich bin seit 20 Jahren dabei. Das Thema Regionalentwicklung ist bei uns gesetzt neben den klassischen Pflichtaufgaben der kommunalen Verwaltung«. Mittlerweile gibt es den Beruf Regionalmanager:in schon seit über 20 Jahren, der impliziert, dass solche dynamischen Vorstellungen von Region auch tatsächlich zu managen sind. Jedoch hat der Bestandteil Management im Begriff Regionalmanagement auch unterschiedliche potenzielle Bedeutungen für den Beruf. Diese werden im folgenden Abschnitt beleuchtet. 95 96 Jennifer Gerend Eine Region managen Der Aspekt Management hat für die Regionalmanager:innen weniger mit der alltäglichen institutionellen oder funktionellen Führung einer Region (Wäre das überhaupt möglich?) zu tun, sondern mehr mit Management als ziel- oder leitbildgerichtete Tätigkeit nach Drucker (1999, S. 545), in der sich Regionen für Zukunftsaufgaben vorbereiten und Chancen rechtzeitig erkannt werden. Sehen die Regionalmanager:innen sich denn als die Führung einer Region? In der Region Hesselberg versteht Anuschka Hörr Management im Zusammenhang mit Regionalmanagement primär als »Anlaufstelle« und »Impulsgeber«. Schmidt vom Kitzinger Land sagt: »Man versucht so gut wie möglich, mit den oftmals knappen Ressourcen Impulse und Themen in die Region zu geben«, wobei es für sie ebenfalls Phasen von intensivem Projektmanagement gibt. Das Projektmanagement kommt wiederum einer der ursprünglichen Ideen für Regionalmanagement nach, nämlich dem Bedarf an Umsetzungskräften für landesplanerische Projekte (Strunz 1998, S. 4357). Die Äußerungen der Regionalmanager:innen zeigen aber, wie das Management der Region sich weiterentwickelt hat. Lemberger in Cham sieht Management als »Schaffen von Strategieentwicklung, Zukunftsentwicklung und Gelegenheiten, […] eine Plattform für mehr Gelegenheiten, als sonst zustande kommen würden.« Die Regionalmanager:innen sehen sich als Manager:innen interessanterweise nicht wirklich in einer Führungsfunktion, sondern sorgen dafür, Ziele zu erreichen, die wichtigen Themen anzugehen und einen Mehrwert für Regionen zu schaffen. Othengrafen et al. (2021, S. 135) bestätigen ebenso, Regionalmanagement verfolge das Ziel, eine nachhaltige Entwicklung in Anbetracht der sozialen, ökonomischen und raumstrukturellen Situation von Regionen zu »beeinflussen«. Ein autoritärer Führungsstil ist hier fehl am Platz. Laut Matthias Hörr gibt es innerhalb des Berufs jedoch Führungsrollen: »Manche Regionalmanager, die schon lange dabei sind, kennen die Spielregeln unheimlich gut. Sie können ihr Standing nutzen, auch Revolutionäres anzustoßen.« Wie gehen Regionalmanager:innen mit negativen Entwicklungen oder Rückschlägen um? Lemberger aus Cham redet offen über die Auswirkung von nationalund landespolitischen Entwicklungen auf grenzüberschreitende Projekte: »Negative Entwicklungen haben wir viele gehabt, beispielsweise die politische Entwicklung. Wir hatten viele grenzüberschreitende Projekte wie Interreg mit Tschechien. Die politische Unsicherheit und die Parteilandschaft haben uns etwas zurückgeworfen. Auch das gehört aber dazu… Es gibt auch manchmal kommunale Projekte, die betreiben wir weiter, obwohl es nicht mehr so zielführend ist – ein Pferd, das geritten ist. Das stört mich mehr als irgendwelche negativen Entwick- Die gemanagte Region lungen. Es ist sehr schwierig, zu sagen: ›OK, das war nichts, lass uns etwas Anderes machen«. Da eine gewisse Abhängigkeit von der lokalen Politik durch ihre Vorstände sowie die Netzwerkarbeit zum Regionalmanagement gehören, sind politische Entwicklungen mehrmals als Herausforderung erwähnt worden. Gemeinderatsmitglieder kommen aus sehr heterogenen beruflichen und familiären Umfeldern. Regionalmanager:innen als Fachkräfte hätten oft ihre eigenen Sichtweisen zu situationsbedingt richtiger Vorgehensweise oder zu den Maßnahmen, die notwendig seien, sagt Schmidt: »In Teilen würden wir bei manchen Themenfeldern einen anderen Handlungsbedarf sehen, aber wenn die Politik das anders beurteilt, dann können wir das zunächst nicht ändern. Die Verantwortung liegt im politischen Raum.« Dennoch können Regionalmanager:innen »Impulsgeber« sein, betont Schmidt. Ihre Kollegin Göbel schließt sich an: »Man muss abwägen zwischen der Begeisterung, die man als Regionalmanagerin für die Aufgaben und Themen hat, und den Möglichkeiten und Ressourcen, die vorhanden sind.« Immerhin sollte man bedenken, dass viele solcher regionalen politischen Allianzen ursprünglich aus dem gemeinsamen Interesse an Fördermitteln entstanden sind. Zum Beispiel erklärt Regionalmanagerin Anuschka Hörr: »Obwohl die Region Hesselberg sich vor 22 Jahren zusammengeschlossen hat, um Fördermittel zu beantragen, sind die gemeinsamen Ziele und zwei Jahrzehnte interkommunaler Zusammenarbeit für uns heute identitätsstiftend.« Die Region fördern Regionalmanagement wird seit Jahren durch verschiedene Förderprogramme und auf mehreren Ebenen unterstützt; somit bestätigt sich der politische Wille für die Praxis und deren Sinnhaftigkeit – darunter das bekannte europäische Förderprogramm LEADER sowie Förderinstrumente des Bundes und der Länder zur Stärkung des ländlichen Raumes. Konzepte, Maßnahmen und Projekte des Regionalmanagements werden oft durch eine komplexe Konstellation an Fördermitteln finanziert. Die integrierte ländliche Entwicklung (ILE) wird in Deutschland sowohl über den EU-Fonds Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) als auch über die nationale Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) gefördert. Die Ausgestaltung der ELER-Förderung erfolgt nach dem neuen Nationalen Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland (unter Koordination des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft). Der Strategieplan wird in den Ländern umgesetzt. Auch die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) fördert Regionalmanagements. 97 98 Jennifer Gerend Ziel der integrierten ländlichen Entwicklung ist, regionale Entwicklungsprozesse anzustoßen, zu organisieren, zu begleiten und gezielt mit Projekten auszugestalten (Dehne & Neubauer 2018). Folgende Themenfelder gehören im Wesentlichen dazu: Ländliche Entwicklungskonzepte, Dorfentwicklungsmaßnahmen, Bodenordnung und Grundversorgung (vgl. BMEL 2020). Die integrierte ländliche Entwicklung gibt den Regionen mehr Eigenverantwortung (Dehne & Neubauer 2018, S. 1058). Dabei bildet das Regionalmanagement »den entscheidenden Knotenpunkt, da es die ländlichen Entwicklungsprozesse initiiert, fördert, koordiniert und betreut« (Dehne & Neubauer 2018, S. 1056). In Bayern läuft die ILE-Förderung über die Ämter für ländliche Entwicklung (ALE), die ein breites Dienstleistungsangebot in der ländlichen Entwicklung für Dörfer, Landschaften und Regionen aufzeigt. Darüber hinaus unterstützt der Freistaat Bayern auf Grundlage der Förderrichtlinie Landesentwicklung die Umsetzung von Projekten des Regionalmanagements und Regionalmarketings sowie Regionale Initiativen für Militär- und Konversionsstandorte. So existiert dort ein fast flächendeckendes Netzwerk von Regionalmanagements. Die Metropolregionen Nürnberg und München erhalten zusätzliche Fördermittel. Insofern umfasst das Regionalmanagement ländliche Entwicklung sowie Stadt-UmlandKooperation. In anderen Bundesländern sowie in manchen Nachbarländern ist Regionalmanagement häufig bei den Naturparks angesiedelt, was strukturell einige Vorteile, aber auch Nachteile mit sich bringt. Weber (2013, S. 312) behauptet: »Regionalmanagement durch Naturparke ist ein sinnvolles Ziel, kann jedoch schnell zur Überforderung werden, wenn die Parke nicht mit ausreichenden Kompetenzen sowie Handlungsressourcen ausgestattet und institutionelle Regeln nicht zu Gunsten der Parke geändert werden.« Die Art der Förderung kann folglich strukturellen Einfluss auf Regionalmanagement haben. Nach Jahren der überwiegenden Anwendung von Top-downAnsätzen aus der Politik und Förderinstrumenten der ländlichen Entwicklung, setzte die EU zu Beginn der 1990er Jahre mit dem LEADER-Ansatz die Idee einer gebietsbezogenen und selbstbestimmten Entwicklung um (Dehne & Neubauer 2018, S. 1053). Das Einsatzgebiet einer LEADER-LAG, einem sehr verbreiteten Ansatz für Regionalmanagement, muss laut der Europäischen Union eine subregionale Gebietseinheit mit in der Regel 10.000 bis 150.000 Einwohner:innen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 sein (Europäische Kommission 2022). Eine Lokale Aktionsgruppe (LAG) setzt sich, nach einem vorgegebenen Verhältnis, aus privaten und öffentlichen Stakeholdern zusammen. Die EU-Förderung vereinfacht das grenzüberschreitende Regionalmanagement insofern, als die LAGs nach dem gleichen Ansatz arbeiten – jedoch muss jede LAG die jeweiligen Fördergelder im eigenen Land beantragen. Seit 2020 arbeitet ein Regionalmanager beispielsweise an der Deutsch-Luxemburgischen Die gemanagte Region Grenze für eine Kooperation aus der LAG Miselerland (Luxemburg) und LAG Moselfranken (Rheinland-Pfalz). Eine transnationale Steuerungsgruppe koordiniert die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und deren Regionalmanager kümmert sich um die Umsetzung des gemeinsamen Entwicklungskonzepts Oberes Moseltal (EOM) (Miselerland Moselfranken). Noch darüber hinaus läuft eine langjährige grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Grenzregion Deutschland-Luxemburg-Frankreich-Belgien-Niederlande, unterstützt durch die EU-Interreg-Fördermittel europäische territoriale Zusammenarbeit. Nach zahlreichen Vorstudien und Raumanalysen wurden 2019 bis 2020 in einem mehrsprachigen Beteiligungsprozess eine Zukunftsvision sowie eine grenzüberschreitende operative Strategie als grundlegende Bestandteile des Regionalen Entwicklungskonzepts der Großregion (REKGR) erarbeitet und von den zuständigen Fachminister:innen der internationalen Teilregionen beschlossen (Cesar et al. 2021). Durch die obengenannte mögliche Förderkonstellation kommt es häufig zu verschachtelten Regionen innerhalb von Regionen. Innerhalb der Region Hesselberg befinden sich beispielsweise vier ILE-Regionen. Man könnte meinen, dass es hierbei nur darum ginge, so viele Fördermittel wie möglich zu akquirieren. Doch tatsächlich bilden sich durch den Förderanlass oft starke interkommunale Allianzen. Die ILE-Region Altmühl-Mönchswald setzt sich aus den Städten Ornbau, Merkendorf und Wolframs-Eschenbach zusammen, und die Ortsbürgermeister:innen treffen sich monatlich. Der Termin hat sehr hohe Priorität und wird selten verpasst. Die ILE-Regionen werden häufig durch externe Umsetzungsbegleitung unterstützt. Doch manche ILE-Regionen haben den mutigen Schritt getan, Mitarbeiter:innen sogar unbefristet einzustellen, völlig ungeachtet der unsicheren Förderlandschaft. Ein solches Ereignis mag zwar klein klingen und wird kaum extern wahrgenommen, aber ist das nicht ein wichtiges Zeichen von einer wahren dauerhaften Region? Darüber hinaus sind in den letzten Jahren einige neue thematische regionalisierende Ansätze dazugekommen, wie etwa Bildungsregionen, Ökomodellregionen, MINT-Regionen und Gesundheitsregionen. Regionalmanager:innen arbeiten mit neu gewählten Ortsbürgermeister:innen sowie langjährigen lokalen Akteur:innen zusammen, die in gewissem Maß strukturell vorgegeben sind (z.B. LEADERLAGs) und auch oftmals gesellschaftliche Ungleichheiten widerspiegeln (z.B. Gender und Diversität durch lokale Wahlergebnisse, die sich somit in der Zusammensetzung von Gremien niederschlagen). Auch das ist Teil des Regionalmanagements. Die Region Hesselberg ist eine Modellregion des bundesweiten Aktionsprogramms Kommune – Frauen in die Politik. Dazu führt Anuschka Hörr aus: »Gemeinden und Regionen werden erheblich durch politische Gremien gestaltet. Der Frauenanteil in den Gemeinderäten in unserer Region liegt unter 18 Prozent. Fehlende Vielfalt behindert Kreativität, Diskurs und Fortschritt in den Gemeinden und damit auch in der Region«. 99 100 Jennifer Gerend Die Förderkulisse und die politischen Grenzen scheinen zwar entscheidende Treiber und Strukturgeber für Regionalmanagement zu sein, aber die Regionalmanager:innen sind sich der Grenzen des Einflusses der Förderung bewusst. Für Schmidt, die Regionalmanagerin Kitzinger Land, ist »nicht nur das Geld allein der Mehrwert«, vielmehr sind die Netzwerke bedeutend. Für Anuschka Hörr ist ihr Regionalmanagement »ein Zusammenschluss von mehreren Kommunen, um mehr Schlagkraft zu haben – was auch Förderung heißen kann«. Fazit und Ausblick Auch wenn einige Vorarbeiten und bürokratische Anträge im Voraus laufen, kommen meist neue Regionen in offenen, recht partizipativen Auftaktveranstaltungen zur Welt. Die Regionalmanager:innen erarbeiten regionale Entwicklungskonzepte, setzen lokale Projekte um, bringen wichtige gesellschaftliche Themen in ihre Regionen und stehen als Anlaufstellen für dynamische Herausforderungen zur Verfügung. Dies tun sie im Hinblick auf politische Rahmenbedingungen und gegebene Ressourcen. Ist ihre Arbeit auch einmal erledigt? Ist eine Region irgendwann zu Ende gemanagt? Darauf haben die Regionalmanager:innen im Einklang geantwortet. »Nein«, sagt Anuschka Hörr, »klares Nein; es ist eine Daueraufgabe. Die Herausforderungen sind nicht lösbar im klassischen Sinne. Es tauchen immer neue Probleme auf.« Für Lemberger in Cham lautet die Antwort ebenso: »Nein, […] Management ist immer ein Kreislauf.« Im Kitzinger Land sagt Göbel: »Nein, das glaube ich nicht, weil immer neue Trends und Themen aufkommen. Dinge passieren. Flächensparen, Innenentwicklung, Barrierefreiheit […] diese Themen werden auch nie abgeschlossen sein. Ich glaube, eine Region ist nie ›ausgemanagt‹.« Dazu nickt ihre Kollegin Maja Schmidt: »Das sehe ich auch so.« Als Regionalmanager:in tätig zu sein, bedeutet also, beruflich stets in Kreisläufen zu arbeiten, die richtigen Impulse zu geben und regionale Prozesse zu moderieren. Regionalmanager:innen besitzen sehr wichtige Rollen in Regionen – sogar als »Knotenpunkt« der ländlichen Entwicklung (Dehne & Neubauer 2018, S. 1056) – sehen sich aber selten in der autoritären Führung. Ihre Regionen sind – zumindest für Fördermittelantragsbeschreibungen – Landkreise, Naturräume, Gemeinden mit einer gemeinsamen Aussicht auf einen Berg oder andere Konstellationen von gleichgesinnten Kommunen in einem gewissen Ausmaß. Aber die Praxis im Alltag mit ihren Projekten, Personal, Jour-fixe-Terminen der Bürgermeister:innen und Netzwerktreffen ist die eigentliche Region, und sie wird im Wesentlichen von den Regionalmanager:innen gestaltet und begleitet. Denn Regionalmanagement ist – wie in diesem Beitrag gezeigt wurde – eine Kommunikations- und Kooperationsaufgabe. Doch aus diesem immateriellen Verständnis von Region wachsen materielle Zeichen. Die vielen Projekte, die um- Die gemanagte Region gesetzt werden, machen die Region sichtbar. Immer mehr Regionen sehen deshalb Regionalmanagement sogar als Teil der sozialen Infrastruktur eines Raumes an, wie auch immer der Kooperationsraum definiert wird. Ein Regionalmanagement soll vor allem die ländliche Regionalentwicklung fördern, indem es vorhandene Ressourcen bündelt, Prozesse koordiniert und Synergien (zum Beispiel zwischen Fachverwaltungen, Gebietskörperschaften, regionalen Unternehmen und Akteur:innen der Zivilgesellschaft) sucht. Deshalb agiert das Regionalmanagement elegant und charmant zwischen diesen verschiedenen Welten. Literatur Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (2020). Erfolgsgeschichten ländlicher Entwicklungen. 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