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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Bochum: Engelsburger Straße

Stillgelegt: 1973
Status: Gleisrelikte noch vorhanden (Stand: September 2023)

[01] Engelsburger Straße/Ecke In der Senke
Januar 2006  © Tramtracks

Am 17. November 1973 kappte die Bogestra zwei Linienäste ihrer Straßenbahn – den einen nach Kornharpen, den anderen nach Eppendorf und Oberdahlhausen. Von der letztgenannten Strecke findet sich noch ein relativ langes Gleisstück in der Engelsburger Straße, nördlich der Brücke über die Eisenbahn. 60 Jahre lang war die Tram hier von der Innenstadt in den südwestlichen Vorort gerollt.

Insgesamt drei Häuserzeilen der Siedlung Engelsburg stehen unter Denkmalschutz: Der Bochumer Verein hatte sie zwischen 1910 und 1914 für Beamte der nahegelenen Zeche Engelsburg errichtet. Die Häuser zeugen nicht nur von einem Baustil, der Wert auf vielfältig gestaltete Fassaden legte, sondern auch von dem Wohlstand, den die Kohleförderung dem Ruhrgebiet brachte. In genau dieser Zeit wurde auch die Straßenbahnstrecke gebaut. Das damals ja auch noch recht junge Verkehrsmittel stand ebenfalls für Fortschritt und den Aufbruch in eine bessere Zeit.

[02] Engelsburger Straße zwischen In der Senke und Essener Straße
Januar 2006  © Tramtracks
[03] Engelsburger Straße zwischen In der Senke und Essener Straße
Januar 2006  © Tramtracks

Mehr als vier Jahrzehnte nach der Stilllegung waren immerhin noch fast 500 Meter Strecke zu besichtigen. Sie war doppelgleisig bis kurz vor der einmündenden Straße In der Senke ausgebaut. Bis zur Endstelle in Oberdahlhausen an der Scharpenseelstraße waren noch drei Ausweichen verteilt, ausreichend für einen 20-Minuten-Takt.

Dafür, dass die Schienen schon so lange nicht mehr benutzt worden waren, wirkten sie in erstaunlich gutem Zustand. Nur an wenigen Stellen war nach immerhin gut 32 Jahren meterweise Gleis entfernt bzw. mit Asphalt überdeckt.

[04] Doppelgleisige Kreuzung mit der Engelsburger Zechenbahn
Januar 2006  © Tramtracks

Ebenfalls noch erhalten war die Kreuzung mit dem Anschlussgleis, das von der ehemaligen Zeche Engelsburg unter der Essener Straße hindurch auf die Güterbahntrasse zum Bahnhof Bochum Nord führte. Hinter dem Prellbock endet die nach wie vor betriebsfähige Zufahrt zur Umspannanlage des Bochumer Vereins. Regelmäßigen Verkehr gibt es auf diesen Schienen keinen mehr. Der Gleisplan von 1955 weist den Abschnitt um diese Schienenkreuzung übrigens noch eingleisig aus.

[05] Engelsburger Straße mit dem 2005 eröffneten Straßenbahn-Betriebshof der Bogestra
Januar 2006  © Tramtracks

Auf dem früheren Zechengelände hat die Bogestra in großem Stil gebaut. Der Betriebshof Engelsburg, dessen Verwaltungstrakt auf dem Foto oben zu sehen ist, wurde am 18. September 2005 mit einem Tag der offenen Tür offiziell eingeweiht (die erste Ausfahrt war bereits am 1. August erfolgt). Hier sind die Haupt- und Ausbildungswerkstatt, der Bauhof sowie die betriebstechnische Verwaltung konzentriert. Auch der Bochumer Straßenbahn-Fuhrpark ist dort inzwischen beheimatet, wodurch die Standorte in Gerthe, Hamme und an der Universitätsstraße überflüssig geworden sind.

Auf der Straßenseite gegenüber präsentieren sich die Wohnhäuser der Zechensiedlung in schmuckem Zustand. Kohle wurde nebenan schon seit 1735 gefördert. Anfangs genügte ein Stollen, der gar nicht tief ins Erdreich führte, um das schwarze Gold einzusammeln. Knapp ein Jahrhundert später begann dann die Förderung im sogenannten Tiefschacht. Nachdem der Bochumer Verein als Stahlproduzent 1889 die Zeche Engelsburg erworben hatte, erreichte die Förderung industrielle Ausmaße.

[06] Engelsburger Straße zwischen In der Senke und Essener Straße
Januar 2006  © Tramtracks

Im September 1961 wurde die letzte Steinkohle auf der Engelsburg gefördert. Danach lag das mehr als 100.000 Quadratmeter weite Gelände über Jahrzehnte brach, bis die Bogestra im Januar 2002 mit dem Bau ihres neuen Betriebshofs begann. Die Gebäude wurden traditionsbewusst mit Klinkern der Sorte "Zechenbrand" verkleidet.

Am nördlichen Ende der Engelsburger Straße lag ein weiterer Gleiswechsel. Übrigens: Auf dem Abschnitt südlich der Eisenbahnbrücke sind keine Schienenreste mehr zu erkennen. Lediglich die etwas eigenartig in der Mitte der Ruhrstraße gelegene Bushaltestelle Lönsberg ließ noch vermuten, dass es sich um einen ehemaligen Bahnsteig der Tram handelte.

[07] Nördliches Ende der Engelsburger Straße mit der Einmündung in die Essener Straße
Januar 2006  © Tramtracks
[08] Engelsburger Straße in Höhe der gleichnamigen Bushaltestelle
Januar 2006  © Tramtracks

Ohne Strom keine Straßenbahn. Die Umspannstation an der Engelsburger und Essener Straße, die von den Stadtwerken Bochum von 2013 bis 2015 modernisiert worden ist, versorgt in den Stadtteilen Engelsburg, Hamme und Westenfeld zahlreiche Unternehmen und rund 15.000 private Haushalte mit Elektrizität. Solche Umspannwerke sind die Zwischenstationen zwischen den 110-Kilovolt-Hochleitungen und wandeln die Spannung auf 10 Kilovolt herunter. Von dort gelangt der Strom zu den Verteilerkästen, die die einzelnen Quartiere versorgen.

Energieunternehmen spielten bei der Entwicklung der Straßenbahn eine wichtige Rolle. Bei der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG (Bogestra) stiegen die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) 1907 ein und hielten zunächst 25 Prozent der Aktien. Anfangs erzeugten die Straßenbahnbetriebe ihren Strom selbst in eigenen Kraftstationen. So besaß das erste Bochumer Depot an der Vödestaße (1894-1928 in Betrieb, heute die Freifläche an der Herner Straße vor dem Bergbaumuseum) eine solche "Krafterzeugungsstätte". Durch den Aufbau einer leistungsfähigen öffentlichen Stromversorgung wurden solche meist mit Kohle betriebenen Generatorenhäuser schließlich überflüssig.

[09] Blick auf die Umspannstation Bochum zwischen den Häusern Engelsburger Straße 166 und 168
Mai 2007  © Tramtracks

Im Frühjahr 2007 wurde die Engelsburger Straße zur Großbaustelle. Der Grund: Die Stadtwerke Bochum verlegten eine Wassertransportleitung zwischen Eisenbahnbrücke und Essener Straße. Dabei wurde das stadteinwärts führende Gleis entfernt, wie man an dem neuen Asphaltstreifen sehen konnte.

Auch die Kreuzung von Straßen- und Zechenbahn wurde entfernt. Auf eine grundlegende Sanierung der Straße verzichtete die Stadt aber erst einmal.

Nach Abschluss der Kanalarbeiten war von der Strecke größtenteils nur noch ein Gleis erhalten. In Höhe des Durchgangs zur Umspannstation wurde es zudem von einer sogenannten Querungshilfe für Fußgänger unterbrochen.

[10] Engelsburger Straße in Höhe der gleichnamigen Bushaltestelle
Mai 2007  © Tramtracks
[11] Engelsburger Straße in Höhe des Durchgangs zum Umspannwerk
September 2013  © Tramtracks
[12] Engelsburger Straße zwischen In der Senke und Essener Straße
September 2013  © Tramtracks
[13] Engelsburger Straße/Ecke In der Senke
September 2013  © Tramtracks

Der Asphaltbelag mag zwar für Anwohner angenehmer sein, weil der Autoverkehr vor ihrer Haustür etwas weniger Lärm verursacht. Das alte Kopfsteinpflaster passte freilich schön zu der historischen Architektur.

Der aktuelle Zustand mit dem noch sichtbaren Trassenrelikt dürfte aber auch irgendwann Geschichte sein. Auf 80 Metern Länge wurde bereits der südliche Abschnitt zwischen In der Senke und Parkband West neu asphaltiert. Anders gesagt: Der Schienenstrang wurde dort entfernt.

[14] Engelsburger Straße in Höhe Parkband West
September 2023  © Tramtracks
[15] Engelsburger Straße zwischen Parkband West und Essener Straße
September 2023  © Tramtracks
[16] Engelsburger Straße zwischen Parkband West und Essener Straße
September 2023  © Tramtracks

Eigentlich sollte auch der nördliche Teil der Engelsburger Straße bereits umgebaut sein, doch die Arbeiten wurden "aufgrund komplexer Entfwässerungsmaßnahmen" erst einmal verschoben. Die Bogestra wollte aber prüfen, ob sie das Gleis, das sich zurzeit noch entlang des Grundstücks des Betriebshofs Engelsburg (in Höhe der Hausnummern 162 bis 184) befindet, in den Jahren 2023/24 ausbauen kann.

Immerhin fünf Jahrzehnte werden die Schienen dann nach ihrer Stilllegung dort an dieses Kapitel Bochumer Nahverkehrsgeschichte erinnert haben.

Auf dem Stadtplan markiert ist die Stelle, an der die Gleisrelikte auf der Engelsburger Straße in Höhe Parkband West enden. Die Fundstelle ist mit den Straßenbahnlinien 305 und 310 sowie mit der Buslinie 345 (Haltestelle "Engelsburger Straße") zu erreichen.

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Dieter Höltge: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 4: Ruhrgebiet. Freiburg 1994 (S. 41, 64)
  • Jürgen Wischnewski: Vor dreißig Jahren: Adieu Linie 16. In: Auf Draht 3/2003 (S. 2-10)
  • Andreas Halwer: Die Straßenbahnbetriebshöfe der Bogestra in Bochum. In: Auf Draht 2/2005 (S. 22)
  • Andreas Halwer: Zeitreise durchs Bogetra-Land. Band 1. Hövelhof 2016 (S. 15-16, 27)
  • Michael Schenk: Straßenbahnen im östlichen Ruhrgebiet. Erfurt 2004 (S. 46)