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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Bochum: Harpener Hellweg

Stillgelegt: 1973
Status: Gleisrelikte noch vorhanden (Stand: September 2022)

[01] Harpener Hellweg in Höhe der Haltestelle Kornharpener Straße
November 2017  © Tramtracks

Eine schnelle ÖPNV-Anbindung an die Bochumer City hat Kirchharpen vor mehr als vier Jahrzehnten eingebüßt. Entlang des Harpener Hellwegs verkehren heute nur noch die Buslinien 336 und 339, die mit gewaltigem Umweg die Innenstadt ansteuern oder zum Umsteigen in die Straßenbahn an der Rottmannstraße nötigen. Von der direkten Tramverbindung, die seit 1973 Geschichte ist, zeugen noch immer einige Gleisreste, so etwa an der Laurentiuskirche, wo der eigene Bahnkörper endete. Von dort aus Richtung Osten führte die Strecke eingleisig durch den Ortsteil bis zur Endstelle in Höhe Alte Werner Straße.

[02] Zugeparkte ehemalige Haltestelle Laurentiusstraße
November 2017  © Tramtracks
[03] Harpener Hellweg in Höhe Laurentiusstraße
November 2017  © Tramtracks

Die ehemalige Haltestelle Laurentiusstraße ist als Verkehrsinsel auf dem Harpener Hellweg noch gut zu erkennen. Dort hat sich das Parken in der Gleiszone mittlerweile eingebürgert. Insbesondere viele Lkw nutzen die Fläche als Standplatz. Obwohl das Parken hier nicht offiziell erlaubt ist, duldet die Stadt diese Praxis. Durch die Haltestelleninseln ist der Gleisbereich auch klar von den Fahrspuren abgegrenzt.

Mit dem zum 8. Mai 1967 in Kraft getretenen Jahresfahrplan der Bogestra steuerten die Bahnen erstmals die Haltestelle Laurentiusstraße an. Sie ersetzte den zuvor genutzten Halt am Schleipweg, der gut 100 Meter weiter stadteinwärts lag. Heute sind die Haltestelleninseln brachliegender Straßenraum: Die Buslinien, die der Route der Straßenbahn folgen, machen am Fahrbahnrand Station. In Höhe Laurentiusstraße liegen noch rund 80 Meter Doppelgleis.

[04] Harpener Hellweg in Höhe der Autobahnbrücke westlich der A43-Unterführung
November 2017  © Tramtracks

Entlang des Harpener Hellwegs ist der ehemalige Gleisbereich teilweise zumindest noch durch den neuen, dunkleren Asphalt auszumachen. Die Brücke auf dem Foto oben gehört zum Autobahnkleeblatt (Kreuz Bochum) und trägt die Abfahrt von der A43 auf die A40. Sie markiert zugleich die Grenze zwischen den Stadtteilen Harpen und Grumme.

Und die nächste Unterführung ist nicht weit: In Höhe der einmündenden Straße Geisental sind ca. 150 Meter Gleis bis zur Kornharpener Straße verblieben. Vermutlich wurden sie erst einmal belassen, um an den Auffahrten zur A40 Verkehrsbehinderungen durch die Bauarbeiten zu vermeiden.

[05] Harpener Hellweg/Ecke Geisental
November 2017  © Tramtracks
[06] Harpener Hellweg mit der Auffahrt auf die A40 Richtung Dortmund
November 2017  © Tramtracks

Die Straßenbahn unterquerte die Brücke mit der Autobahn A40. Das war nicht immer so. Das Stück Harpener Hellweg zwischen Castroper Hellweg und Ruhrschnellweg entstand erst 1960/62, als die Dortmunder Straße zur Schnellstraße ausgebaut wurde. Zuvor fuhr die Tram über die Dortmunder Straße selbst, wie der Ruhrschnellweg damals hieß, und fädelte erst in Höhe des heutigen Autobahnkreuzes in den dort beginnenden Harpener Hellweg aus. Das heißt: Auf diesen Gleisen fuhren nur gut ein Jahrzehnt die Straßenbahnen.

Wie lange die Schienen in Höhe Kornharpener Straße noch liegen, ist die Frage. Bereits 2012 und dann nochmal 2015/16 existierten konkrete Pläne, auch diesen Bereich umzugestalten und hier einen Kreisel anzulegen.

[07] Harpener Hellweg in Höhe der Auf-/Abfahrten von der A40
November 2017  © Tramtracks
[08] Harpener Hellweg zwischen A40 und A43
Oktober 2017  © Tramtracks

Richtung Westen wurde im September und Oktober 2017 ein Großteil der Schienen entfernt. Der Gleisbereich wurde ausgekoffert und neu asphaltiert.

Eingestellt wurde die Strecke am 17. November 1973. Die Westdeutsche Allgemeine brachte dies in Verbindung mit dem damals bevorstehenden Ausbau des Harpener Kreuzes, sprich: mit der direkten Anbindung des Sheffieldrings an die A40 – eine Verbindung, die es bis heute nicht gibt. Die Gründe für die Bogestra, sich von dem Außenast zu trennen, waren aber wohl andere.

Die Strecke war im Grunde nur noch ein Rest der Städteverbindung zwischen Bochum und Lütgendortmund. Den Abschnitt östlich von Kirchharpen auf dem Harpener Hellweg und der Limbecker Straße hatte man schon am 30. Juni 1969 aufgegeben, die anschließende Strecke vom Lütgendortmunder Markt zum Bahnhof bereits im Januar 1955.

[09] Harpener Hellweg in Höhe Dellenstraße
Januar 2007  © Tramtracks

Eine Ausweiche in Höhe des Gemeindehauses war 1967 stillgelegt worden. Bis auf einige wenige Halterungen für die Oberleitung waren im weiteren Verlauf keine Relikte mehr zu sehen. Oder zeichnete sich da am linken Fahrbahnrand doch das Gleis unter dem Asphalt ab? Die Lage hätte gepasst: Die Strecke verlief hier eingleisig am nördlichen Rand des Harpener Hellwegs.

Von Mai 2022 bis Juni 2024 gibt es zwischen Maischützenstraße und Laurentiusstraße umfangreiche Kanal- und Straßenbauarbeiten. Bislang sind dabei aber offenbar keine alten Schienen aufgetaucht. Mitte 2022 wurden die Gleise im Bereich der ehemaligen Haltestelle "Laurentiusstraße" ausgebaut. Die Fläche wurde asphaltiert und dem Harpener Hellweg zugeschlagen.

[10] Harpener Hellweg in Höhe Laurentiusstraße
Januar 2007  © Tramtracks
[11] Harpener Hellweg in Höhe Laurentiusstraße
Januar 2007  © Tramtracks

Jahrzehntelang war die Linie 17 auf der Route von Bochum nach Lütgendortmund zu finden. Vom 8. Mai 1967 an war es dann die Linie 16, die mit drei Fahrten pro Stunde und Richtung den Harpener Hellweg befuhr.

Anfang 2007 waren von der Strecke noch größere Teile erhalten: Die Haltestelleninseln in Höhe Laurentiusstraße zeigten sich noch nicht dauerzugeparkt.

[12] Harpener Hellweg in Höhe Schleipweg
Januar 2007  © Tramtracks
[13] Harpener Hellweg zwischen A43 und Schleipweg
Januar 2007  © Tramtracks

Dafür war es schon damals gängige Praxis, die rechte Fahrspuren des Harpener Hellwegs zu belegen. Weiter westlich, wo die Straße schmaler wurde, führte das dann zu der Situation, dass insbesondere Zweiräder auf das Kopfsteinpflaster ausweichen mussten.

Ein Thema, dessen sich die Lokalpresse annahm: Das Befahren der alten Gleiszone sei "nicht nur im Winter unangenehm". Die Aussage, der Zustand sei unhaltbar, sagte einiges über das Anspruchsdenken der motorisierten Seele aus. Ein Patentrezept gab es obendrein: Die Fahrzeuge, die auf den äußeren Spuren des Harpener Hellwegs parkten, sollten dies doch lieber in der Fahrbahnmitte tun.  Die Stadt Bochum hielt von dieser Idee nichts und verwies auf die Straßenverkehrsordnung.

[14] Harpener Hellweg in Höhe Autobahnkreuz Bochum
Januar 2007  © Tramtracks

An der Brücke mit der Abfahrt von der A43 auf die A40 Richtung Essen zeigte sich noch ein weiteres Relikt der Straßenbahn: Am Beton befinden sich noch die Isolierplatten, unter denen der Fahrdraht hing. Die dreigliedrigen Masten, die die Strecke damals noch säumten, dürften früher die Oberleitung getragen haben.

Über die Jahre hinweg tauchten immer mal wieder Überlegungen auf, die Strecke zu reaktivieren, insbesondere um endlich eine schnelle Schienenverbindung zwischen der Bochumer Innenstadt und dem Ruhrpark-Einkaufszentrum zu schaffen. Vom Abzweig am Castroper Hellweg bis zur Laurentiuskirche hätte sich durch Schraffierung leicht eine eigene Gleiszone fast durchgehend abmarkieren lassen.

[15] Harpener Hellweg im Geisental westlich der Autobahn A43
Januar 2007  © Tramtracks
[16] Harpener Hellweg im Geisental westlich der Autobahn A43
Januar 2007  © Tramtracks

Nicht auf der ganzen Länge ließen sich die Schienen wieder befahren. Im Geisental wurde das Gleis bei Bauarbeiten kurz unterbrochen. Die Frage ist ohnehin, ob der Oberbau nach mehr als 40 Jahren noch ausreichend tragfähig wäre. Es gibt einige wenige Fälle, in denen stillgelegte Gleise tatsächlich reaktiviert wurden, so zum Beispiel in Duisburg-Hochfeld, wo dies allerdings auch von Anfang an geplant gewesen war. Oft scheitert solch ein Ansinnen aber an dem mangelhaften Zustand, den das Gleisbett schon vor der Stilllegung aufgewiesen hatte.

Der Bochumer Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr diskutierte im März 2006 eine oberirdische Führung über den Harpener Hellweg bis zur Maischützenstraße und von dort durch einen Tunnel zum Ruhrpark als Verlängerung der Linie 306. Zurzeit sind die Planungen trotz hohen Nutzwerts jedoch ad acta gelegt. Die Kosten für den Neubau waren mit 47 Millionen Euro angesetzt.

[17] Harpener Hellweg zwischen A40 und A43
Januar 2007  © Tramtracks
[18] Harpener Hellweg zwischen A40 und A43
Januar 2007  © Tramtracks

Der öffentliche Nahverkehr hatte in der Nachkriegszeit nach den Jahren des Wiederaufbaus Gewinne für die Kommunen abgeworfen. Die Bogestra konnte von 1954 bis 1960 Dividenden ausschütten. Doch steigende Kosten und der Rückgang der Fahrgastzahlen brachten den Betrieb allmählich in wirtschaftliche Schieflage. Seit 1966 schreibt die Bogestra Verluste. Nahverkehr ist seitdem kein profitables Geschäft mehr, sondern Daseinsfürsorge der Kommune für ihre Bewohner.

In der Straßenbahn nach Lütgendortmund machte sich der Kostendruck 1965 dadurch bemerkbar, dass in den Abendstunden ein Ein-Mann-Betrieb eingeführt wurde. Der Fahrer übernahm die Aufgaben des Schaffners. Eine Rationalisierungsmaßnahme, die 1968 auf dieser Linie noch zeitlich ausgedehnt wurde.

[19] Harpener Hellweg mit der vor der A40-Brücke einmündenden Straße Geisental
Januar 2007  © Tramtracks

Zwischen dem Abzweig Castroper Hellweg und dem Ortseingang Harpen ist wenig Fahrgastpotenzial auszumachen. Die Strecke passiert ein Gewerbegebiet. Dort haben sich vor allem Speditionen und Logistikunternehmen angesidelt, denen die Nähe zu den Autobahnen mehr nützt als ein ÖPNV-Anschluss. Der Fahrgastandrang muss schon zu Tram-Zeiten nicht übermäßig hoch gewesen sein. Dass Kirchharpen einen Straßenbahnanschluss erhielt, hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass der Ort entlang der Route nach Lütgendortmund lag.

Wie lange die Schienen noch zwischen Kornharpener Straße und Geisental liegen, ist die Frage. Die Stadt Bochum hat den Rückbau nicht mehr benötigter Straßenbahngleise systematisch geplant, bleibt hier aber noch unkonkret. Denn dieser Abschnitt des Harpener Hellwegs wird in Zusammenhang mit der Entwicklung des Geländes Stahlwerke Ost überplant. Wann es damit tatsächlich losgeht, ist ungewiss, allerdings sicher nicht vor 2025.

[20] Harpener Hellweg/Ecke Kornharpener Straße
Januar 2007  © Tramtracks
[21] Harpener Hellweg/Ecke Kornharpener Straße
Januar 2007  © Tramtracks

Eine kleine Asphaltstudie: Wie viel drückt sich noch von einer Schiene durch den Belag ab? In Höhe der abzweigenden Kornharpener Straße waren Gleise und Pflasterstein neu bedeckt worden.

Und zum Schluss noch ein anderes Relikt: Das Schachbrettmuster und der verblassende Zebrastreifen legen den Verdacht nahe, dass hier auf dem Mittelstreifen früher eine Haltestelle war. Fast im Niemandsland liegt auch heute noch der Busstopp Kornharpener Straße. Bis in die 1990er-Jahre hinein lagen noch Gleise bis in Höhe Castroper Straße.

Ob jemals wieder eine Bahn auf dem Harpener Hellweg rollt, steht in den Sternen und jedenfalls nicht im Infrastrukturbedarfsplan des Landes Nordrhein-Westfalen.

Auf dem Stadtplan markiert ist die ehemalige Haltestelle "Laurentiusstraße" in der Mitte des Harpener Hellwegs. Die Buslinien 336 und 339 befahren die ehemalige Tramroute (mit den Haltestellen "Kornharpener Straße", "Geisental" und "Laurentiusstraße") werktags im 30-Minuten-Takt.

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Jürgen Wischnewski: Vor dreißig Jahren: Adieu Linie 16. In: Auf Draht 3/2003 (S. 2-7)
  • Jürgen Wischnewski: Neue Gleise braucht das Land (Teil 1). In: Auf Draht 2/2006 (S. 2-8)
  • Jürgen Wischnewski: Neue Gleise braucht das Land (Teil 2). In: Auf Draht 1/2007 (S. 16-23)
  • Jürgen Wischnewski: Vor vierzig Jahren: Neu ersetzt Alt. Das Jahr 1969 und Teilumstellung der Straßenbahnlinie 16. In: Auf Draht 1/2009 (S. 13-17)