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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Bochum: Kerkwege

Stillgelegt: 1979
Status: Keine Relikte mehr vorhanden

[01] Kerkwege/Ecke Viktoriastraße
Februar 2006  © Tramtracks

Diese Fundstelle befand sich mitten im Bochumer "Bermudadreieck". Wem das kein Begriff ist: Nach dem Niedergang des Kneipenviertels am Dortmunder Ostwall in den 1980er-Jahren etablierte sich in der Nachbarstadt Bochum eine Ausgehmeile. Nirgendwo sonst im Ruhrgebiet gibt es in derartiger Ballung Cafés, Kneipen, Discos, Restaurants und Kinos. Das Dreieck, begrenzt von der Viktoriastraße im Westen, der Kortumstraße im Osten und dem Südwall im Norden, ist teilweise Fußgängerzone. Bei sommerlichem Wetter bietet die Freiluftgastronomie 3.000 Sitzplätze. Auch wenn die Systembetriebe und Trendgastronomien in den letzten Jahren stark an Zahl zugelegt haben, zeichnet sich das Dreieck nach wie vor durch Vielfalt aus. Denn neben Texmex und Sportsbars gibt es hier auch noch original Ruhrpott-Currywurst und mit der "Pinte" eine winzig-urige Kneipe.

Fünf Minuten Fußweg zum Haupt- und Busbahnhof bedeuten hier Nachtschwärmerei mit ÖPNV-Anschluss für den Heimweg. Aber bevor das Quartier zum gastronomischen Gravitationszentrum der Stadt wurde, fuhr die Straßenbahn dort noch sozusagen vor der Haustür. Die letzten Gleisrelikte, die davon zeugten, lagen auf dem Kerkwege.

[02] Kerkwege/Ecke Viktoriastraße
Februar 2006  © Tramtracks
[03] Kerkwege/Ecke Kortumstraße mit Blick auf die Marienkirche
Februar 2006  © Tramtracks

Woher der Kerkwege seinen Namen hat? Die enge Straße, die die Kortum- mit der Viktoriastraße verbindet, läuft auf die Marienkirche zu. Das Gotteshaus wurde im September 2002 ausgeweiht und dient jetzt als Foyer des Musikforums Ruhr, das als Bochumer Konzerthaus im Oktober 2016 eröffnet wurde. Der Abriss der im neogotischen Stil zwischen 1868 und 1872 errichteten Kirche wurde damit abgewendet.

Der Schienenstrang war neben dem nördlichen Bürgersteig verlegt worden. Das Gleis gehörte zu einer Blockumfahrung, die vom Konrad-Adenauer-Platz die Kortumstraße hoch führte und dann in den Kerkwege mündete. 1973 fuhren die Linien 8 und 18 zwischen Hattingen bzw. Dahlhausen und Recklinghausen planmäßig auf der Viktoriastraße. Zu diesem Zeitpunkt war das Gleis auf Kortumstraße und Kerkwege nur Betriebsstrecke.

An der Ecke Kerkwege/Viktoriastraße konnte über eine Weiche in beide Richtungen abgebogen werden. Angelegt worden war diese Schleife nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Fahrplan aus dem Jahr 1950 nennt die Linien 7 (nach Castrop-Rauxel) und 17 (nach Lütgendortmund), die beide am Bochumer Hauptbahnhof begannen. Dieser befand sich zur damaligen Zeit noch an der Viktoriastraße gegenüber des Konrad-Adenauer-Platzes (früher: Berliner Platz). 1962 benutzte die Verstärkerlinie 27 die Schleife, um dort zu wenden und über Nordring und Castroper Straße zurück Richtung Gerthe zu fahren.

[04] Kerkwege/Ecke Viktoriastraße
Februar 2006  © Tramtracks

Die bereits erwähnte Blockumfahrt dürfte Mitte der 1970er-Jahre aufgegeben worden sein, als in der Kortumstraße der erste Teilabschnitt der Stadtbahn gebaut und die Einkaufsstraße schließlich zur Fußgängerzone umgestaltet wurde (die Herausnahme des Autoverkehrs war sogar schon vor 1950 geplant gewesen). Doch noch bis zum Ende des Straßenbahnbetriebs auf der Viktoriastraße am 26. Mai 1979 soll das Schienenpaar im Kerkwege gelegen haben – als Gleisdreieck. Interessanterweise gibt es anscheinend in der Fachliteratur kein Foto, das den Betrieb im Kerkwege dokumentiert.

Ende Februar 2006 wurde die Straße aufgerissen, die Schienen sind ausgebaut. Ein neuer Abwasserkanal wurde verlegt, die Straßendecke erneuert.

Die Bahnen fahren heutzutage nur noch unterirdisch. Ganz in der Nähe befindet sich der Stadtbahnhof "Bermuda3eck/Musikforum", der früher "Engelbert-Brunnen" hieß. Auch diese Station ist schon historisch interessant, war sie doch die erste, die in Bochum erbaut wurde (ab 1974). Ganz im Design der poppigen Siebziger prägten orangefarbene Fliesen die Optik. Zur Renovierung im Jahr 2004 durften mehrere Künstlergruppen die Tunnelwände in der Bahnsteigzone mit zwei Graffiti-Panoramen neu gestalten.

Auf dem Stadtplan markiert ist die Ecke Kerkwege/Viktoriastraße, wo die Weiche lag.

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Andreas Halwer: Die Entwicklung des Schienennetzes in der Bochumer Innenstadt. In: Auf Draht 1/2006 (S. 8-21)
  • Eckehard Frenz / Wolfgang R. Reimann: Tram-Tour Ruhr. Freiburg 2008 (S. 28)