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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Bochum: Leithe

Stillgelegt: 1932
Status: Keine Gleisrelikte mehr vorhanden

[01] Weststraße zwischen Schul- und Hohensteinstraße
September 2010  © Tramtracks

Etwas aus ihrer Verankerung entflohen zeigte sich diese ehemalige Oberleitungshalterung an der Wand eines Hauses an der Weststraße. Eine ganze Reihe solcher Exemplare sind die letzten Relikte einer Straßenbahnstrecke, die nicht nur schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg aufgegeben worden ist, sondern auch nur relativ kurze Zeit bestand. Die Rede ist von der Verbindung zwischen Wattenscheid und Leithe. Vom Alten Markt führte die Strecke über das heute mit dem Gertrudiscenter bebaute Gelände in die Brinkstraße und dann in die Lyrenstraße. Anschließend folgte die Bahn auf geradem Weg der Weststraße bis in den Ortskern von Leithe.

Eröffnet wurde die Strecke am 10. Oktober 1925. Die Wagen verkehrten zunächst alle halbe Stunde. Das war kein üppiges, aber für damalige Verhältnisse in Außenbezirken keineswegs unübliches Fahrtenangebot. 1927 wies der Fahrplan dann tagsüber einen 20-Minuten-Takt zwischen Leithe und Wattenscheid-Oststraße aus, werktags mit der ersten Abfahrt um 7.36 Uhr und dem letzten Wagen um 23.06 Uhr. Doch die neue Linie L litt weiterhin unter mangelndem Zuspruch, wohl auch weil die gut anderthalb Kilometer Entfernung von Leithe nach Wattenscheid durchaus zu Fuß zu bewältigen war. "Die Bewohner sind das Laufen gewöhnt und müssen erst das Fahren lernen", schrieb damals das Lokalblatt, die Allgemeine Wattenscheider Zeitung.

[02] Weststraße zwischen Schul- und Hohensteinstraße
September 2010  © Tramtracks
[03] Weststraße zwischen Schul- und Hohensteinstraße
September 2010  © Tramtracks
[04] Weststraße/Ecke Jahnstraße
September 2010  © Tramtracks

Um die Verbindung attraktiver zu machen, verlängerte die Westfälische Straßenbahn GmbH ihre Linie im Oktober 1927 am anderen Ende über eine Neubaustrecke bis zum Bahnhof Wattenscheid. Seit 1926 gehörte Leithe zur kreisfreien Stadt Wattenscheid, die damals ca. 63.000 Einwohner hatte.

Auf der Weststraße passierte die Straßenbahn die Zeche Holland (III-VI). Der sechste und letzte Schacht war erst 1921 gebohrt worden. (Die endgültige Stilllegung des Bergwerks erfolgte im Jahr 1988). Kurz vor der Kreuzung Jahnstraße/Hohensteinstraße querte die Tram die Werksbahngleise. Die Straßenbahnstrecke war eingleisig und lag in Straßenmitte – daher auch die noch zahlreich vorhandenen Halterungen für die Oberleitung, die man aufgrund der Gleislage nicht gut an nur einer Mastreihe befestigen konnte. Außerdem war das Abspannen von den Hauswänden günstiger als eine Serie von Masten aufzustellen.

[05] Weststraße/Ecke Kemnastraße
September 2010  © Tramtracks
[06] Weststraße/Ecke Kemnastraße
September 2010  © Tramtracks

Trotz oder gerade wegen der weiterhin wenig befriedigenden Fahrgastzahlen hatte die Westfälische Straßenbahn Pläne mit der Linie L: Von Leithe aus sollte die Strecke nach Kray verlängert werden. Zu diesem Zweck wurde zunächst die Endstelle, die an der Krayer Straße nahe der heute noch existierenden Gastwirtschaft Kampmann lag, zur Katholischen Kirche verlegt. Mitte November 1928 bogen die Bahnen somit aus der Weststraße in die Kemnastraße ein. Und man begann damit, Gleise auf einem eigenen Bahnkörper bis in Höhe Schulte Kemna zu legen. In der dort ansässigen Kornbrennerei entsteht übrigens der überregional bekannte "Weizenjunge", ein klarer Schnaps nach traditioneller westfälischer Rezeptur.

Die Strecke sollte entlang einer noch zu bauenden Schnellstraße sowie der Ottostraße zum Rathaus Kray führen und an der Sparkasse mit der Straßenbahn aus Essen verbunden werden. Dass es dazu nicht kam, lag nicht allein an der Ende der 1920er-Jahre einsetzenden Wirtschaftskrise. Die geplante Strecke überschritt die Wattenscheider Stadtgrenze und führte in die zunächst noch selbstständige Stadt Kray-Leithe, die 1929 von Essen eingemeindet wurde. Aber nicht nur diese kommunale Grenze spielte eine Rolle. Auch die Grenze zwischen zwei Provinzen (bzw. heute zwischen zwei Regierungsbezirken) verkomplizierte die Angelegenheit zusätzlich. Um die diversen Instanzen und Gremien für das Vorhaben zu gewinnen, fehlte dem Betreiber der ganz lange Atem. Auch die Konkurrenz in Form der Bogestra, die bereits eine Straßenbahnlinie durch Kray betrieb, meldete Einspruch an.

[07] Kemnastraße zwischen Leithestraße und Halterner Straße
September 2016  © Markus Schweiß
[08] Kemnastraße zwischen Leithestraße und Halterner Straße
September 2016  © Markus Schweiß

Entlang der Kemnastraße wurde 1928 aber schon mal mit den Arbeiten begonnen: Ein Damm am nördlichen Straßenrand wurde angelegt, und auf dem so geschaffenen Bahnkörper ein erstes Gleis verlegt. Nach Durchbindung der Strecke bis Kray sollte ein zweiter Schienenstrang folgen. Doch so zukunftsweisend diese Baumaßnahme gewesen sein mag, sie blieb unvollendet. Eine Straßenbahn fuhr hier nie. Fast 90 Jahre später war die Geländeformation, die jetzt einen asphaltierten Radweg trägt, noch zu erkennen.

Die Westfälische Straßenbahn war in der Wirtschaftskrise durch die wegbrechenden Einnahmen, aber auch durch mangelnde finanzielle Substanz in existenzielle Nöte geraten. 1931 wurde der Konkurs eröffnet. Die Bogestra übernahm den Betrieb mit dem gut 75 Kilometer Strecke umfassenden Netz. Als Sparmaßnahme stellte sie unrentable Linien ein, so auch am 20. Februar 1932 den Abschnitt von Wattenscheid nach Leithe. Das Problem dieser Strecke war, dass sie ein Torso geblieben war. Das zeigte sich auch daran, dass der private Busunternehmer, der anschließend die Konzession übernahm, die Linie von Wattenscheid über Leithe bis Gelsenkirchen durchband und damit Gewinn einfuhr.

[09] Kemnastraße zwischen Leithestraße und Halterner Straße
© RVR, 1952, Hansa Luftbild GmbH, Aerowest GmbH, Datenlizenz Deutschland - Namensnennung – Version 2.0

Auch auf der Luftaufnahme, die 20 Jahre nach der Streckenstilllegung entstand, ist der designierte Bahnkörper als breiter Streifen nördlich der Kemnastraße zu sehen. Am linken Bildrand sieht man die NS VIIIa, die in Nord-Süd-Richtung nach Gelsenkirchen führende Landstraße. Bis zur Brücke über den Leither Bach reichte offensichtlich die Strecke. Auch heute noch gibt es in diesem ländlich gebliebenen Streifen zwischen Bochum und Essen keine Nahverkehrsverbindung zwischen Leithe und Kray. Lediglich weiter südlich fährt ein Bus von Höntrop nach Steele – übrigens auch eine Strecke, die einmal für die Straßenbahn im Gespräch war.

Auf dem Stadtplan markiert ist die Stelle, an der sich der für den Bahnkörper zwischen Leithe und Kray aufgeschüttete Damm noch ausmachen lässt. Nächste Bushaltestelle: "Leithe Gelsenkirchener Straße" (Linien 365 und 389).

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Ludwig Schönefeld: Die Kommunale. Wuppertal 1985 (S. 90-94)
  • Hans Brandhorst: Vor 75 Jahren: Die Straßenbahn zum Bahnhof Wattenscheid wird eröffnet. In: Auf Draht 1/2002 (S. 15-21)