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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Bottrop: Betriebshof Germaniastraße

Stillgelegt: 1975
Status: Depotgebäude und Gleisrelikte noch vorhanden (Stand: November 2022)

[01] Einfahrt zum ehemaligen Betriebshof an der Germaniastraße
Mai 2019  © Tramtracks

Auch wenn diese Örtlichkeit bei den Bottropern über zweieinhalb Jahrzehnte hinweg als Brauhaus bekannt war – in kupfernen Sudkesseln entsteht dort kein Bier mehr. Der "Bottich" ist inzwischen ebenso Vergangenheit wie die ursprüngliche Bestimmung dieses Gemäuers. Es handelt sich um den am 9. Mai 1909 eröffneten Betriebshof der Recklinghausener Straßenbahnen, des Vorläufers des heute als Vestische firmierenden Verkehrsunternehmens.

Im östlichen Vest war Anfang des 20. Jahrhunderts bereits ein umfangreiches Tramnetz zwischen Buer und Erkenschwick, Herne und Herten gewachsen. Nun sollte es auch mit dem Bau von Straßenbahnstrecken im Westen vorangehen, mit einem separaten Netz, das ein eigenes Depot samt Werkstatt benötigte. Bottrop, das ungefähr im Zentrum dieses Teilnetzes lag, bot sich als Standort an.

 

[02] Einfahrt zum ehemaligen Betriebshof an der Germaniastraße
Mai 2019  © Tramtracks
[03] Gleisfeld und ehemalige Wagenhalle
Mai 2019  © Tramtracks
[04] Gleisfeld und Einfahrt zum ehemaligen Betriebshof
Mai 2019  © Tramtracks

Zeugnisse des Schienenverkehrs, der den Vestischen Straßenbahnen ihren Namen gab, sind heute eine echte Rarität. Doch auf dem ehemaligen Betriebshofgelände liegen gleich jede Menge Gleise – auch wenn sie oft mit Autos zugeparkt sind. Die Schienen erinnern an eine vergangene Epoche, als die Tram das wichtigste innerstädtische Verkehrsmittel darstellte und Autofahren ein Privileg der Reichen war.

Am 28. Mai 1909 ging die 8,5 km lange Strecke von Bottrop nach Gladbeck in Betrieb. Noch im selben Jahr folgten Verlängerungen nach Osterfeld, Rentfort und Horst. Die Wagen für die Linien nach Oberhausen, Gladbeck und Gelsenkirchen wurden alle an der Germaniastraße stationiert. Daran änderte sich auch erst einmal nichts, als sich West- und Ostnetz 1925 am Bahnhof Gladbeck-Ost trafen, denn die Reichsbahn untersagte eine Gleiskreuzung mit der Straßenbahn. Erst 1943 änderte sie ihre Auffassung, so dass es dann zumindest möglich wurde, Fahrzeuge direkt zwischen dem West- und Ostnetz auszutauschen. Zuvor war dies zwar im Prinzip auch möglich gewesen, aber nur mit einem großen Umweg und über die Gleise der Bogestra von Gladbeck über Horst nach Buer. Es war also sinnvoll, dass Bottrop erst einmal alle Möglichkeiten zur Wartung und Reparatur des Wagenparks vorhielt, auch wenn die Vestische von 1921 an größere Reparaturen und die Hauptuntersuchungen in der Hauptwerkstatt Herten bündelte. An der Germaniastraße blieb aber eine Werkstatt für kleinere Arbeiten an den Fahrzeugen bestehen.

[05] Gleisfeld mit Blick auf das ehemalige Maschinenhaus
Mai 2019  © Tramtracks
[06] Einfahrt und ehemaliges Fahrdienstleiterhaus
Mai 2019  © Tramtracks
[07] Gleisfeld und Einfahrt zum ehemaligen Betriebshof
Mai 2019  © Tramtracks

Ursprünglich war laut den Unterlagen aus dem 1908 eingereichten Bauantrag die Wagenhalle für sieben Gleise ausgelegt. Das Depot wurde allerdings recht bald um einen Anbau direkt daneben erweitert, womit fünf ehemalige Freiluftgleise nun auch in der Halle lagen.

Den Zweiten Weltkrieg überstand das Depot ohne schwerere Zerstörungen. Dafür blieben in der Bottroper Zechenregion Bergschäden nicht aus. Und nicht nur auf den Strecken senkte sich der Boden. Besonders der Betriebshof hatte unter den Folgen des in Notzeiten oft ungenehmigt und undokumentiert praktizierten Kohleabbaus zu leiden. Im Jahr 1959 wurde der Boden in der Wagenhalle um 180 Zentimeter tiefer gelegt, nachdem er dort eingesackt war.

Zur Zeit seiner größten Ausdehnung Mitte der 1950er-Jahre reichte das Netz der Vestischen im Westen bis Oberhausen-Sterkrade, zur Zeche Prosper II in Bottrop-Welheim, nach Gelsenkirchen-Horst, Scholven und Buer, nach Gladbeck-Zweckel und Bottrop-Kirchhellen. Doch in den 1960ern schrumpfte die Streckenlänge drastisch, und zwischen 1974 und 1976 wurden die noch verbliebenen Hauptstrecken des Westnetzes stillgelegt. Davon betroffen war auch der Betriebshof Germaniastraße, der zum 1. Juni 1975 geschlossen wurde. In Bottrop verabschiedete sich die Straßenbahn aber erst anderthalb Jahre später, am 27. November 1976, als die Linie 17 vom Pferdemarkt zur Lambertistraße in Gladbeck eingestellt wurde. Die Wagen, die in Bottrop beheimatet waren, zogen erst einmal nach Gelsenkirchen in den Betriebshof Buer-Hassel um.

[08] Gleisfeld und ehemalige Wagenhalle
Mai 2019  © Tramtracks
[09] Einfahrt zum ehemaligen Betriebshof
Mai 2019  © Tramtracks

Die Vestische nutzte das Betriebshofgelände allerdings weiterhin für ihre Busflotte, die fortan die Hauptlast des öffentlichen Nahverkehrs in Bottrop und Umgebung trug. Im Juli 1978 bezog die Vestische mit rund 250 Beschäftigten ein neues Busdepot an der Hiberniastraße in Bottrop-Eigen auf dem Geländer der stillgelegten Zeche Rheinbaben. Im selben Jahr brach dort am Morgen des ersten Weihnachtstags ein Feuer aus, das die neue Abstellhalle und mit rund 60 Bussen knapp ein Viertel des damaligen Fuhrparks vernichtete.

An der Germaniastraße war zwischenzeitlich auch das Straßenverkehrsamt untergebracht. Im Jahr 1991 eröffnete dann im westlichen Teil der alten Wagenhalle mit dem "Bottich" eine urige Gastronomie, die nicht nur ein im Haus gebrautes Urtyp-Pils ausschenkte, sondern auch ein gediegenes Speiserestaurant für bis zu 200 Gäste unterhielt. Im Jahr 2015 hatte sich der rustikale Charme des Brauhauses wohl überlebt, und an seiner Stelle machte eine modernere Gastronomie namens "Factory" auf. Sie ist dort bis heute ansässig, ebenso wie ein Fitness-Center, das den übrigen Teil der Halle belegt. Die "Sport Station" weiß um die Historie des Gebäudes, verspricht es doch auf einem Banner am Eingang "Trainieren wie die Profis – hier im alten Straßenbahndepot".

[10] Ehemaliges Maschinenhaus neben der Wagenhalle
Mai 2019  © Tramtracks
[11] Ehemaliges Fahrdienstleiterhaus an der Ecke Gladbecker Straße/Germaniastraße
Mai 2019  © Tramtracks

Doch neben der Wagenhalle existieren noch zwei weitere bauliche Hinterlassenschaften des Trambetriebs: Erhalten geblieben ist das gelb angestrichene Maschinenhaus, das für die Stromversorgung der "Elektrischen" sorgte. Großkraftwerke waren Anfang des 20. Jahrhunderts noch unbekannt, zumal auch der Bedarf an Strom in privaten Haushalten nach heutigen Maßstäben bescheiden ausfiel. Daher forcierten Kraftwerksbetreiber vielerorts auch Straßenbahnprojekte und schufen auf diese Weise Großabnehmer für die von ihnen produzierte Energie. Neben dem Maschinenhaus, dessen Front weitgehend dem Originalzustand gleicht, befand sich das Wohnhaus für den Leiter des Betriebshofs.

Wohnort und Arbeitsstätte waren in der Gründerzeit auch für die Fahrdienstleiter eins: Das für sie errichtete Gebäude an der Ecke Gladbecker Straße/Germaniastraße wurde zum "Bottroper Brauhaus-Hotel" umgebaut. Der Familienbetrieb bietet seinen Gästen 56 Betten, inzwischen ohne Brauhaus, aber dafür immer noch in gewisser Weise mit Gleisanschluss.

[12] Luftbild des Betriebshofs mit dem noch überdachten Gleisfeld
1990    © Regionalverband Ruhr  CC BY-NC-SA 4.0

Zwei Dinge waren am Bottroper Betriebshof noch besonders: Zum einen wurde um 1930 herum das Gleisvorfeld überdacht, um die dort stehenden Fahrzeuge ebenfalls vor Wind und Wetter zu schützen. Eine Art Carport also für Straßenbahnen, die vor der Wagenhalle parkten. Auf der um 1990 entstandenen Luftaufnahme ist das Dach noch vorhanden. Wenige Jahre danach wurde es abgedeckt – bis heute ist nur noch das Skelett der Dachkonstruktion erhalten.

Zum anderen gab es am nördlichen Rand des Grundstücks ein regelspuriges Eisenbahngleis, das zur benachbarten Zeche Prosper III führte und dann weiter am Bahnhof Bottrop-Süd zum Reichsbahnnetz. Auf diese Weise konnten neue Fahrzeuge, in der Anfangszeit auch Kohle für die Stromerzeugung herbeigeschafft werden. Von diesem Anschlussgleis wie auch von den beiden daneben gelegenen Abstellgleisen der meterspurigen Tram ist nichts mehr zu sehen.

Auf dem Stadtplan markiert ist die Lage der ehemaligen Wagenhalle auf dem Grundstück zwischen Germaniastraße und Rheinstahlstraße. Nur wenige Schritte von der Einfahrt zum Betriebshof entfernt liegt die Bushaltestelle Brauhaus (Linien 259 und SB91).

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Klaus Giesen: Auf Schienen zur Schicht. Bottrop 2016 (S. 2-3, 136-141)
  • Ralph Bernatz / Klaus Giesen: Die Zehn. Mit der Straßenbahn von Ost nach West quer durch das Vest. Herten/Bottrop 2014 (S. 123-124, 128-129)
  • Dieter Höltge: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 4: Ruhrgebiet. Freiburg 1994 (S. 384-389, 399)
  • Ralph Bernatz: Wo Straßenbahnen "schlafen gehen". Die Betriebshöfe der Vestischen und ihrer Vorgängerbetriebe. In: Die Vestische. Straßenbahnmagazin Special Nr. 25. München 2013 (S. 98-99)
  • Wolfgang R. Reimann / Axel Ladleif / Jörg Rudat: Vor Einfahrt: Halt! Hövelhof 2020 (S. 110)