Svoboda | Graniru | BBC Russia | Golosameriki | Facebook
Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Dortmund: Hamburger Straße

Stillgelegt: 2008
Status: Keine Gleisreste mehr vorhanden

[01] Hamburger Straße/Ecke Weißenburger Straße
Mai 2008  © Tramtracks

Im Slalom aus der City: Mit Recht darf man die provisorische Strecke, auf der die Straßenbahn die im Bau befindliche Stadtbahn-Station "Ostentor" umkurvte, als interessant bezeichnen. Erst schwenkte das stadtauswärts führende Gleis auf die Nordseite der Hamburger Straße, querte dann den Mittelstreifen und scherte auf den linken Fahrstreifen ein, um auf ihm die Tunnelrampe zu umfahren und schließlich wieder auf den Bahnkörper in der Mitte einzufädeln. 2003 ging diese Streckenführung in Betrieb und hatte bis zur Einweihung der Ost-West-Tunnelstrecke Bestand.

Der Kontrast könnte kaum krasser sein (Foto unten): Links das repräsentative Portal der neuen unterirdischen Station, dahinter (wo der Van des DSW21-Verkehrsmeisters parkte) der in einfachster Ausführung gehaltene Bahnsteig der bis zum 26. April 2008 bedienten Haltestelle. Der an eine Pappschachtel erinnernde Unterstand wurde bereits abgebaut. Wer sich über die Oberleitung wundert, die zum Straßenrand führte: Der Fahrdraht war jenseits dieser Stelle schon demontiert und dort bis zum endgültigen Abbau vorübergehend befestigt worden.

In den letzten Jahren machte hier die Linie 403 Halt, die zu den Hauptzeiten abwechselnd bis Wickede oder nur nach Brackel fuhr. Insbesondere auf dem Abschnitt bis Körne war das Fahrgastaufkommen so hoch, dass die "kurze" 403 mit N8-Doppeltraktionen bestückt war, während die "lange" meist mit Solo-Wagen fuhr. Beide Versionen dieser Linie hatten einen 10-Minuten-Takt.

 

[02] Östliches Portal der Stadthahn-Station "Ostentor" in der Hamburger Straße
Mai 2008  © Tramtracks
[03] Hamburger Straße mit den Gebäuden von Landgericht und Staatsanwaltschaft
Mai 2008  © Tramtracks
[04] Hamburger Straße mit der ehemaligen Straßenbahn-Haltestelle "Ostentor"
Mai 2008  © Tramtracks
[05] Hamburger Straße mit der Justizvollzugsanstalt "Lübecker Hof"
Mai 2008  © Tramtracks

Die Hamburger Straße steht für Schuld und Sühne: Auf der Südseite befindet sich das Landgericht Dortmund, genauer gesagt: der 1910 errichtete Erweiterungsbau, denn die Hauptgebäude standen und stehen an der parallel verlaufenden Kaiserstraße. In dem modernen Anbau daneben hat die Staatsanwaltschaft ihr Domizil. Das Landgericht mit seinen 23 Zivilkammern urteilt als Erstinstanz über Auseinandersetzungen, die einen Streitwert von 5.000 Euro übersteigen. Allgemein bekannter sind allerdings die 21 Strafkammern, darunter das Schwurgericht, das die Tötungsdelikte verhandelt.

Auf der anderen Straßenseite sitzen Täter und Tatverdächtige ein: In der Justizvollzugsanstalt sind rund 430 Gefangene untergebracht (nur Männer). Von ihnen befinden sich ca. 40 Prozent in Untersuchungshaft. Noch ein paar Zahlen: Wer eine Freiheitsstrafe in Einzelhaft verbüßt, lebt dort in einem Raum von 8,6 Quadratmetern. Ein Haftplatz kostet durchschnittlich 80 Euro pro Tag. Zitat aus dem Leitbild der JVA: "Wir schaffen Möglichkeiten (...), dass die Gefangenen erlernen, ein Leben ohne Straftaten zu führen. Die Dienstleistungen sind kundenorientiert im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben."

[06] Hamburger Straße zwischen Gerichtsstraße und Lippestraße
Mai 2008  © Tramtracks
[07] Hamburger Straße zwischen Gerichtsstraße und Lippestraße
Mai 2008  © Tramtracks
[08] Hamburger Straße/Ecke Gerichtsstraße
Mai 2008  © Tramtracks

Fast 44 Jahre hatte die Straßenbahn ihren Platz in der Hamburger Straße: Am 9. August 1964 ging die Neubaustrecke in Betrieb und ersetzte die alte zweigleisige Trasse durch die Kaiserstraße, denn der anschwellende Autoverkehr wurde dort in der nach dem Krieg nicht aufgeweiteten Einkaufsstraße immer mehr zum Problem. Nebenbei konnte auch die Strecke begradigt werden, denn seit 1953 verlief die Ost-West-Achse durch den Brüderweg und nicht mehr wie ursprünglich über den Ostenhellweg.

[09] Hamburger Straße zwischen Gerichtsstraße und Lippestraße
Mai 2008  © Tramtracks
[10] Hamburger Straße zwischen Gerichtsstraße und Lippestraße
Mai 2008  © Tramtracks
[11] Hamburger Straße zwischen Gerichtsstraße und Lippestraße
Mai 2008  © Tramtracks
[12] Hamburger Straße zwischen Gerichtsstraße und Lippestraße
Mai 2008  © Tramtracks

Durch die Umfahrung der Tunnelrampe war die Straßenbahn gezwungen, mit der Blechlawine mitzuschwimmen. Das konnte leicht zu ein paar Minuten Verspätung führen, wenn sich der Verkehr vor der Kreuzung Weißenburger Straße staute – was zum Feierabend mit schöner Regelmäßigkeit geschah. Ansonsten bot die breite Hamburger Straße mit dem eigenen Bahnkörper gute Voraussetzungen für ein schnelles Vorwärtskommen.

Der Tunnel, dessen langgezogene Rampe vor der neu gebauten Haltestelle "Lippestraße" ausläuft, sollte nicht der letzte sein, der in Dortmund gebaut wurde. Im November 2016 kam der unterirdische Abzweig von der B1 am Vahleweg hinzu, der allerdings vergleichsweise kurz ist. Die lange geplante Verlängerung der U41 von ihrem aktuellen Endpunkt in Hörde am Clarenberg nach Wellinghofen ist dagegen in weite Ferne gerückt.

[13] Hamburger Straße zwischen Gerichtsstraße und Lippestraße
Oktober 2008  © Tramtracks
[14] Hamburger Straße zwischen Gerichtsstraße und Lippestraße
Oktober 2008  © Tramtracks
[15] Hamburger Straße zwischen Gerichtsstraße und Lippestraße
Oktober 2008  © Tramtracks
[16] Hamburger Straße zwischen Gerichtsstraße und Lippestraße
November 2008  © Tramtracks

Nur rund ein halbes Jahr nach der Stilllegung war die Straßenbahnstrecke auf der Hamburger Straße schon weitestgehend abgebaut. Nachdem im Spätsommer 2008 bereits die Gleise im Bereich der ehemaligen oberidischen Haltestelle "Ostentor" bis in Höhe Gerichtsstraße entfernt worden waren, kam im Oktober das restliche Stück bis zur Tunnelrampe an die Reihe – erst die Süd-, dann die Nordseite der Hamburger Straße.

Um die einasphaltierten Schienen herausheben zu können, wurde zunächst der Untergrund etwas "gelockert". Alt war der zu Klumpen zerstoßene Asphalt noch nicht, denn erst vor der Inbetriebnahme der Rampe fünf Jahre zuvor hatte die Straße diese Baustellenumfahrt erhalten.

Auf dem Stadtplan markiert ist der Mund der Tunnelrampe auf der Hamburger Straße, um die herum die Straßenbahnstrecke vom Ostentor bis zur weiterhin oberirdischen Haltestelle Lippestraße verlegt worden war.

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Historischer Verein der Dortmunder Stadtwerke AG: Seit 1881 Straßenbahnen in der Dortmunder Innenstadt. Dortmund 2007 (S. 19, 21)
  • Dieter Höltge: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 4: Ruhrgebiet. Freiburg 1994 (S. 126)