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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Essen: Ottilienstraße

Stillgelegt: 1991
Status: Gleisrelikte noch vorhanden (Stand: April 2023)

[01] Ottilienstraße/Ecke Jägerstraße
Oktober 2019  © Tramtracks

Mit der Inbetriebnahme der Tunnelstrecken durch die Essener City sind einige Kilometer Gleis außer Betrieb gegangen. Manche Bereiche wie der Limbecker Platz haben sich gravierend gewandelt und sind kaum wiederzuerkennen. Andere wiederum wurden mehr oder weniger vergessen, wie diese Gegend westlich des Innenstadtrings: Auf der Ottilienstraße fuhr bis zum 26. September 1991 die Straßenbahn, und hier gab es eine großzügig angelegte Wendeschleife, die auch nach drei Jahrzehnten großteils noch erhalten ist.

Bemerkenswert ist, dass offenbar nur einzelne Kurse in der doppelgleisigen Schleife wendeten. Ein Beispiel: 1982 endete samstags am Nachmittag und frühen Abend jeder zweite Zug der Linie 109 an der Ottilienstraße. Zwischen Limbecker Platz und Steele bot die EVAG einen 10-Minuten-Takt, bis Frohnhausen fuhren die Bahnen nur dreimal pro Stunde.

Neben den Linien 9 und 12, die über die Frohnhauser Straße nach Frohnhausen bzw. Haarzopf führten, gab es in den 1970er-Jahren mehrere Entlastungslinien, die in der Hauptverkehrszeit von der Ottilienstraße aus zusätzliche Kapazität auf die Schiene brachten.

[02] Gleisschleife Ottilienstraße
Oktober 2019  © Tramtracks
[03] Gleisschleife Ottilienstraße
Oktober 2019  © Tramtracks

Seit 1952 hatten die Essener Verkehrsbetriebe an den Endstellen Schleifen angelegt, um ihre neuen vierachsigen Großraumwagen problemlos einsetzen zu können – allesamt Einrichtungsfahrzeuge. Die Wendeschleife an der Ottilienstraße wurde 1961 in Betrieb genommen. Zusammen mit der Anlage in Bergeborbeck war sie die letzte oberirdische Kehrschleife, die in Essen entstand.

Die Szenerie überragt der City Tower Essen, der früher auch als GFKL-Hochhaus bekannt war, benannt nach dem Finanzdienstleister, der von 1999 bis 2014 das Gebäude in Beschlag genommen hatte. Der Büroturm wurde fast zeitgleich mit der Wendeschleife begonnen, benötigte aber etwas länger bis zur Fertigstellung im Jahr 1963. Anfangs war die Iduna-Versicherung dort ansässig, später auch ein Teil der Karstadt-Verwaltung. Nach dem Auszug der GFKL stand das 15 Stockwerke hohe Gebäude leer. Neue Besitzer investierten 30 Millionen Euro in die Sanierung des mit Asbest und PCB belasteten Gebäudes und ließen eine neue Fassade anbringen. Auf dem Dach des 57 Metern hohen Turms zeugt jetzt der Schriftzug "Magna-Tower" vom nächsten Eigentümer, der Hamburger Magna Immobilien AG. Sie hat das Objekt in einen Fonds eingebracht und die 16.000 Quadratmeter Bürofläche in die Vermarktung gegeben. Geworben wird mit dem "Privileg, auf repräsentativen Höhen zu arbeiten". Inzwischen sind unter anderem ein Medizin- und Umweltunternehmen sowie der Versanddienstleister FedEx eingezogen.

[04] Gleisschleife Ottilienstraße
Oktober 2019  © Tramtracks
[05] Gleisschleife Ottilienstraße
Oktober 2019  © Tramtracks
[06] Gleisschleife Ottilienstraße mit der Ausfahrt Richtung Limbecker Platz
Oktober 2019  © Tramtracks
[07] Schleife Ottilienstraße und Gleisverbindung in die Frohnhauser Straße
Oktober 2019  © Tramtracks

An den Rillenschienen der zweigleisigen Schleife ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Viel Erde hat sich im Laufe der Jahre in ihnen festgesetzt.

Neben dem City Tower steht ein Parkhaus, von der aus man einen guten Überblick über die ehemalige Wendeschleife gewinnenn kann. Dort stehen inzwischen auch jede Menge Autos. Der benachbarte Suzuki-Händler stellt dort seine Gebrauchtwagen auf und aus und hat dort seinen Kundenparkplatz – der aber anscheinend auch als Geheimtipp für günstiges Parken bei anderen Kfz-Haltern beliebt ist.

[08] Ottilienstraße/Ecke Jägerstraße
Oktober 2019  © Tramtracks
[09] Ottilienstraße/Ecke Jägerstraße
Oktober 2019  © Tramtracks
[10] Ottilienstraße/Ecke Jägerstraße
Oktober 2019  © Tramtracks

Die Schleife lag nach Norden hin etwas erhöht auf einem Plateau, da das Gelände ein leichtes Gefälle aufweist. Einen Treppenaufgang gab es von der Frohnhauser Straße. Dort ging es zum Pausenraum fürs Fahrpersonal, der sozusagen im Keller des Rondells untergebracht war. Dieser Raum war mit einem Tisch und Stühlen eingerichtet. Außerdem war eine Toilette vorhanden. Einige Jahre nach Aufgabe der Schleife hatten sich Wohnungslose in dem aufgelassenen Pausenraum einen Unterschlupf gesucht, bis der Zugang zugemauert wurde.

Im Inneren der Schleife selbst befand sich eine umzäunte Treppe, die zu einem unterirdischen Traforaum führte. Nach einem Brand dort, bei dem ein Obdachloser ums Leben kam, wurde dieser Zugang zugeschüttet.

[11] Ottilienstraße/Ecke Jägerstraße mit dem zugemauerten Eingang zum Pausenraum
Oktober 2009  © Tramtracks

Auf der Ottilienstraße war die Strecke zweigleisig ausgebaut. Im Westen schloss sich der Limbecker Platz an, wo zeitweise eine viergleisige Haltestellenanlage existierte. Bis April 1971 gab es auch die Möglichkeit, vom Hauptbahnhof über die Hindenburgstraße und unter der Alfred-Herrhausen-Brücke hindurch zum Limbecker Platz zu fahren. Diese Verbindung fiel als allererste in der Essener City dem Tunnelbau für die Stadtbahn zum Opfer.

Eine Gleisverbindung vom Limbecker Platz in die parallel zur Ottilienstraße verlaufende Frohnhauser Straße gab es ebenfalls, so dass aus Frohnhausen oder Haarzopf bei Bedarf am Eingang zur Innenstadt gewendet werden konnte. Zudem lag noch neben der Schleife ein Verbindungsgleis zwischen Frohnhauser Straße und Ottilienstraße, so dass zusammen mit der Schleife diverse Fahr- und Wendemöglichkeiten aus allen Richtungen bestanden. Angesichts der tatsächlichen Nutzung wirkt die ganze Anlage aus heutiger Sicht schon etwas überdimensioniert.

[12] Ottilienstraße zwischen Jägerstraße und Hindenburgstraße
Januar 2006  © Tramtracks
[13] Ottilienstraße/Ecke Jägerstraße
Januar 2006  © Tramtracks
[14] Ottilienstraße/Ecke Jägerstraße
Januar 2006  © Tramtracks
[15] Gleisschleife Ottilienstraße
Januar 2006  © Tramtracks
[16] Gleisschleife Ottilienstraße
Januar 2006  © Tramtracks
[17] Gleisschleife Ottilienstraße
Januar 2006  © Tramtracks
[18] Gleisschleife Ottilienstraße
Januar 2006  © Tramtracks

Anfang des 21. Jahrthunderts kursierten Entwürfe, das Schleifengrundstück neu zu bebauen. Geplant war ein Bürohochhaus mit Zwillingstürmen, die sich 54 bzw. 66 Meter in den Himmel recken sollten, also ungefähr so hoch wie der City Tower bzw. ein wenig höher. Der neue Gebäudekomplex sollte auch Anschluss an das Parkhaus erhalten. Die Planungen wurden Ende 2002 öffentlich, doch offensichtlich wurde das Vorhaben wieder zu den Akten gelegt. Gebaut worden ist bislang jedenfalls noch nichts.

[19] Gleisschleife Ottilienstraße
Januar 2006  © Tramtracks
[20] Ottilienstraße/Ecke Frohnhauser Straße
Januar 2006  © Tramtracks

Seitdem die Straßenbahn nicht mehr über den Limbecker Platz fährt, ist der südwestliche Bereich der Essener Innenstadt nicht mehr direkt vom öffentlichen Nahverkehr erschlossen. Bewohner des dichtbesiedelten Quartiers zwischen Ottilienstraße und Hachestraße müssen trotz zentraler Lage zum Teil bis zu einem Kilometer zur nächsten Haltestelle laufen, bekommen dafür aber am Hauptbahnhof immerhin eine hohe Zahl an Fahrtmöglichkeiten geboten. Die geplante Bahnhofstangente mit einer neuen Straßenbahnstrecke, die über die Hachestraße verlaufen soll, könnte zumindest im Süden des betroffenen Gebiets die Situation wieder verbessern.

Auf dem Stadtplan markiert ist die Position der Gleisschleife zwischen Ottilienstraße, Jägerstraße und Frohnhauser Straße. Die Stadtbahn-Station "Berliner Platz" befindet sich in rund 400 Metern Entfernung.

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Dieter Höltge: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 4: Ruhrgebiet. Freiburg 1994 (S. 260, 262)
  • Essener Verkehrs-AG: Hundert Jahre in Essen auf Draht – Die Straßenbahn. Essen 1993 (S. 73, 161)