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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Essen: Wickenburgstraße

Stillgelegt: 1974/1980
Status: Gleisrelikte noch vorhanden (Stand: Mai 2024)

[01] Wickenburgstraße/Ecke Adelkampstraße
September 2019  © Tramtracks

Die beiden Gleise südlich der Wickenburgbrücke, von denen inzwischen nur noch ein Teil existiert, wurden seit dem 8. April 1980 nicht mehr befahren. Sie gehörten zur Strecke nach Haarzopf, die auserkoren worden war, für den Spurbus umgebaut zu werden. Die Schienen, die in die Adelkampstraße schwenken, werden aber noch genutzt und binden das Meterspurnetz an den Betriebshof Schweriner Straße sowie die dortige Hauptwerkstatt der Ruhrbahn an. In dem knappen halben Jahr, als die Spurbustrasse am Südwestfriedhof gebaut wurde, war die Schweriner Straße vorübergehend die Endstelle für die verkürzte Linie 113. Seit dem 27. September 1980 dienen die Gleise zwischen Riehlpark und Wickenburgbrücke nur noch als Betriebsstrecke.

Der ehemalige Bahnkörper in der Mitte der Wickenburger Straße war ebenfalls als Teststrecke für den Spurbus hergerichtet worden. Dieses Experiment ist 2012 zu Ende gegangen. Inzwischen wurde die Betontrasse abgebrochen und renaturiert.

[02] Wickenburgstraße/Ecke Adelkampstraße
September 2019  © Tramtracks
[03] Wickenburgstraße zwischen Adelkampstraße und Schweriner Straße
September 2019  © Tramtracks

Doch auf der Wickenburg-Kreuzung gab es bis Sommer 2007 noch mehr Relikte aus der Tramzeit, die dann bei der Brückensanierung verschwunden sind. An dieser Stelle überquert die Wickenburgstraße die Autobahn A40, in deren Mittelstreifen nach wie vor die Stadtbahnlinie U18 von Essen nach Mülheim fährt. Ursprünglich kreuzte die Bundesstraße B1 die Wickenburgstraße zu ebener Erde. Aufgrund des nach dem Zweiten Weltkrieg rasch anwachsenden Autoverkehrs hob man einen Trog aus, um die beiden Verkehrsströme zu entflechten.

1965 war die Schlucht für den Ruhrschnellweg von der City bis zur Hamburger Straße zwar fertig, und die Linien 8/18 fuhren wie die Autos "im Keller". Damit die Bahnen der Ost-West-Verbindung aber ihren Anschluss an die kreuzende Nord-Süd-Verbindung behielten, wurden die Gleise mittels Rampen wieder hoch zur Wickenburgstraße geführt. Am 7. April 1974 wurde die Strecke auf der B1 stillgelegt, um sie von 1000 auf 1435 mm umzuspuren und die Straßenbahn in eine Stadtbahn zu verwandeln. Die regelspurige U18, die am 28. Mai 1977 an den Start ging, erhielt eine unterirdische Ausfädelung westlich der Wickenburgstraße zum Betriebshof Schweriner Straße.

[04] Wickenburgstraße in Höhe der Brücke über die A40
Juli 2007  © Tramtracks
[05] Wickenburgstraße in Höhe der Brücke über die A40
Juli 2007  © Tramtracks

Nachdem auf der Wickenburgbrücke die beiden Fahrspuren neu asphaltiert wurden, verschwanden im Juli/August 2007 die Gleise auf dem Bahnkörper in Straßenmitte. Zunächst wurde das stadteinwärts führende Schienenpaar entfernt und dann neu verlegt. Anschließend kam sein Pendant an die Reihe. Während der Bauarbeiten blieb aber ein Gleis stets unter Draht, damit der Betriebshof die ganze Zeit erreichbar war. Dabei setzte die EVAG eine Kletterweiche ein, die sie für 120.000 Euro angeschafft hatte.

Damit verschwanden die Reste des Gleisabzweigs aus der Wickenburgstraße auf die B1, der dem seinerzeit noch komplett meterspurigen Essener Trambetrieb ein Stück Flexibilität bot. Zahlreiche Abbiegemöglichkeiten und Umleitungsoptionen sind durch den nur teilweise erfolgten Umbau des Netzes auf Regelspur entfallen.

[06] Wickenburgstraße in Höhe der Brücke über die A40
Mai 2006  © Tramtracks
[07] Wickenburgstraße in Höhe der Brücke über die A40
Mai 2006  © Tramtracks

In den Anfangsjahren der Straßenbahn war der Bereich der Kruppstraße (Bundesstraße 1) westlich der Wickenburg von Altendorf her angebunden. Von September 1913 an fuhr die Linie 11 auf diesem Weg zur Grenze Heißen, und das war dort, wo bis heute der Betriebshof steht. Im Jargon der Straßenbahner hieß das Depot deswegen auch einfach "Heißen". Rund drei Jahre später, im Juli 1916, wurde dann erst die direkte Route zum Essener Hauptbahnhof eröffnet. Schon damals war es die Linie 18, die hier verkehrte. Seinerzeit war der Betriebshof Schweriner Straße ausschließlich von der Kruppstraße aus erreichbar. Niveaugleich, versteht sich.

[08] Spurbustrasse zwischen Adelkampstraße und Schweriner Straße
Mai 2006  © Tramtracks
[09] Südliches Ende der Spurbustrasse auf der Wickenburgstraße
Mai 2006  © Tramtracks

Der ehemalige Bahnkörper wurde bis Januar 2009 nur stadteinwärts vom Spurbus genutzt. Bergab in Richtung Südwestfriedhof und Haarzopf ging es ganz normal über die Wickenburgstraße. An der nördlichen Einfädelung in die Strecke stand eine rote Sperrtafel. Zwischen den Betonplanken war das Gras auf der westlichen – vom Spurbus nicht genutzten – Trassenhälfte ungehindert in die Höhe gewachsen, auf der anderen Seite war gemäht worden. Nur rund 250 Meter ist diese Trasse kurz. Südlich der Brücke über das Borbecker Mühlenbachtal und die stillgelegte Eisenbahnstrecke von Heißen nach Steele Süd begann ein weiterer, gut viermal so langer Bahnkörper, pardon: Buskörper.

Ob ohne den Spurbus heute noch die Straßenbahn hier fahren würde? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Vor allem die ungünstige eingleisige Durchfahrt der Humboldtstraße hätte Investitionen erfordert, sei es durch zweigleisigen Ausbau, sei es durch eine Neutrassierung auf der schon damals geplanten Durchgangsstraße zur neuen Haarzopfer Mitte (Fulerumer Straße).

[10] Wickenburgstraße/Ecke Adelkampstraße
Mai 2024  © Tramtracks

An der Wickenburg-Kreuzung ist mittlerweile ein weiterer Teil der alten Gleise verschwunden. Übrig ist nun nur noch der Abzweig, der vermutlich bei der nächsten Sanierung der Kurve in die Adelkampstraße auch entfernt werden dürfte.

Ein Wiederaufbau der Straßenbahnstrecke nach Haarzopf steht in Essen jedenfalls derzeit nicht auf der Agenda. Dabei wären die Voraussetzungen eigentlich nicht schlecht: Die neue alte Verbindung könnte an die Betriebsstrecke auf der Mülheimer Straße anschließen. Mit den ehemaligen Bahnkörpern auf der Wickenburgstraße und neben dem Südwestfriedhof steht ausreichend Platz zur Verfügung. Auch die (neue) Fulerumer Straße könnte von der Breite her eine Straßenbahn aufnehmen. Nachdem in Haarzopf selbst viel gebaut wurde, ist das Fahrgastpotenzial gewachsen. Aber abgesehen von den Kosten scheitert die Idee wohl an der mangelnden Tragfähigkeit der derzeitigen Mühlenbachtalbrücke – und am politischen Willen.

Auf dem Stadtplan markiert ist die Stelle, an der auf der Wickenburgstraße in Höhe Adelkampstraße noch Gleise liegen. Die Stadtbahn-Station Wickenburgstraße (LInie U18) liegt in unmittelbarer Nähe.

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Essener Verkehrs-AG: Hundert Jahre in Essen auf Draht – Die Straßenbahn. Essen 1993 (S. 92-97)
  • Dieter Höltge: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 4: Ruhrgebiet. Freiburg 1994 (S. 262-264, 270)