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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Herne: Auf der Wenge

Stillgelegt: ca. 2003
Status: Keine Gleisreste mehr vorhanden

[01] Wendedreieck Auf der Wenge am St.-Jörgen-Platz
Januar 2004  © Tramtracks

Man musste schon ganz genau hinsehen, um festzustellen, dass es sich hier um ein totes Gleis handelte: Der Fahrdraht hing noch, doch die Weichen waren bereits zugeschweißt. Das Wendedreieck am St.-Jörgen-Platz wurde für die von der Bogestra zwischen 1952 und 1956 beschafften Einrichtungsfahrzeuge angelegt. Diese Wagen verfügten zwar nur über einen Fahrerstand, besaßen am Heck allerdings ein behelfsmäßiges Steuerpult, um im Rückwärtsgang ins Kehrgleis einzufahren. Eine umständliche Prozedur, musste der Fahrer bei dem ganzen Wendemanöver doch zweimal den Platz wechseln.

Aufgrund fehlender Wendeschleifen oder eben Gleisdreiecken an den Endstellen waren Einrichter bei der Bogestra eher die Ausnahme als die Regel. Die Linie 6 von Wanne-Eickel über Bochum nach Gerthe bot aber die Möglichkeit, solche Fahrzeuge einzusetzen. Die in den Wirtschaftswunderjahren beschafften Einrichter wurden 1977 bzw. 1982 ausgemustert.

 

[02] Ausfahrt aus dem Wendedreieck auf die Rainerstraße
Mai 2005  © Tramtracks
[03] Wendedreieck Auf der Wenge
Mai 2005  © Tramtracks

Im Jahr 1954 wurde das Wendedreieck angelegt, als auch die Hauptstrecke im Ortskern eine neue Trasse erhielt. Zuvor war sie weiter der Eickeler Straße gefolgt, passierte die Hülsmann-Brauerei und fuhr über den Marktplatz an der Johanneskirche vorbei, um dann wieder auf die Hauptstraße zu treffen. Nun ließ die Bahn den Eickeler Markt rechts liegen und fuhr über die Rainerstraße und Richard-Wagner-Straße, die bei der Gelegenheit auch verbreitert wurden.

Eickel bildete von 1926 bis 1975 die Doppelstadt Wanne-Eickel, die Mitte der Fünfziger mit 100.000 Einwohnern die Schwelle zur Großstadt überschritten hatte. Im Nahverkehr setzte sie aber zunehmend auf den Omnibus. 1955 war für Eickel in dieser Hinsicht ein einschneidendes Jahr, denn am 3. August 1955 schlug die letzte Stunde für die Linie 16, die vom Markt über Königstraße, Bielefelder Straße, Dorstener Straße und Herner Straße zum Bahnhof Wanne-Eickel führte. Fünf Jahre zuvor war schon der von der Kommunalen Straßenbahn-Gesellschaft Landkreis Gelsenkirchen gebaute Betriebshof Eickel an der Hordeler Straße geschlossen worden.

[04] Rainerstraße in Höhe St.-Jörgen-Platz
Mai 2005  © Tramtracks

Das Gleisdreieck Auf der Wenge war zu keiner Zeit regulärer Endpunkt einer Straßenbahnlinie, und es diente auch vergleichsweise selten als Zwischenendstelle. Es gab über die Jahre hinweg immer wieder einzelne Kurse im morgendlichen Berufsverkehr, die hier wendeten. Darüber hinaus wurde das Gleis für Verstärkerfahrten während der Cranger Kirmes genutzt, und natürlich bei Bauarbeiten oder Streckensperrungen.

Das exakte Stilllegungsdatum ist nicht bekannt, aber die letzten Bahnen sind wohl im Laufe des Jahres 2003 in das Dreieck eingefahren.

[05] Rainerstraße in Höhe St.-Jörgen-Platz
Februar 2008  © Tramtracks
[06] Rainerstraße in Höhe St.-Jörgen-Platz
Februar 2008  © Tramtracks

Zwischen 2005 und 2009 wurde die Linie 306 auf Herner Stadtgebiet grundlegend modernisiert und beschleunigt. Dazu gehörten unter anderem die Anlage von Bahnsteigen und das Optimieren von Ampelschaltungen. Auch der noch eingleisge Abschnitt an der Bochumer Stadtgrenze in Höhe des Hannibal-Einkaufzentrums ist dabei durch eine doppelgleisige Strecke ersetzt worden. An vielen Stellen wurden auch die alten Schienen gegen neue ausgetauscht. Das nicht mehr benötigte Wendedreieck im Eickeler Zentrum wurde endgültig demontiert.

Anfang 2008 waren nur noch die Abzweige von der Rainerstraße zum St.-Jörgen-Platz zu sehen, um dann auch bald zu verschwinden. Der Streckenumbau auf dem Abschnitt vom Eickeler Markt zur Eickeler Straße wurde Mitte des Jahres fertiggestellt. Die Haltestelle "Auf der Wenge" hatte nun einen Mittelbahnsteig erhalten.

Der Begriff "Wenge" könnte aus dem Niederdeutschen stammen und hier für eine Grenze zwischen zwei Gemarkungen gestanden haben, in diesem Fall eventuell die Grenze zu Bochum. Dorthin wäre Wanne-Eickel 1975 beinahe im Zuge der Gebietsreform eingemeindet worden, ging dann aber eine kommunale Ehe mit Herne ein. Eine andere Deutung des Straßennamens wäre die "Wange", eine sanft abfallende Graslandschaft, die sich hier vor dem im 19. Jahrhundert durch den Bergbau einsetzenden Siedlungswachstum erstreckte.

Auf dem Stadtplan markiert ist das Gleisende am St.-Jörgen-Platz. Die Straße "Auf der Wenge", die dem Gleisdreieck und der nahegelegenen Haltestelle auf der Rainerstraße (Straßenbahnlinie 306) den Namen gab, liegt rund 50 Meter weiter westlich.

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Dieter Höltge: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 4: Ruhrgebiet. Freiburg 1994 (S. 55, 93)
  • Andreas Halwer: Geschichte der Straßenbahnlinie 6 von Bochum nach Wanne-Eickel. In: Auf Draht 1/2005 (S. 2-12)