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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Krefeld: Hüls

Stillgelegt: Strecke wurde nie in Betrieb genommen
Status: Gleisrelikte noch vorhanden (Stand: September 2023)

[01] Krefelder Straße/Ecke Schulstraße
Oktober 2005  © Tramtracks

Mehrere Jahrzehnte dauerte das Hickhack um eine Verlängerung der Straßenbahnstrecke im Hülser Ortskern an. Die 700 Meter Strecke, für die im Mai und Juni 1992 bereits ein Großteil der Gleise verlegt worden war, sollte dann doch nicht in Betrieb gehen. Das allerletzte Wort dazu ist aber anscheinend noch nicht gesprochen.

Tatsächlich war Hüls schon sehr früh auf der Schiene an das Krefelder Nahverkehrsnetz angebunden. Im Mai 1883 fuhr eine von kleinen Dampfloks gezogene Straßenbahn von Hüls bis zur Drießendorfer Straße, wo Passagiere in die Pferdebahn umsteigen mussten, um in die Krefelder Altstadt weiterzufahren. Im April 1901 wurde die Strecke elektrifiziert und bis zum Staatsbahnhof durchgebunden.

[02] Schulstraße/Ecke Auf dem Graben
Oktober 2005  © Tramtracks
[03] Schaufenster auf der Krefelder Straße
Oktober 2005  © Tramtracks

In Hüls folgte die Strecke der Krefelder Straße bis zum Marktplatz und hatte damit einen zentralen Endpunkt. Im Ortskern verlief sie eingleisig am östlichen Straßenrand und kam deshalb in der Nachkriegszeit zunehmend mit dem Automobilverkehr in Konflikt. Die nicht sonderlich breite Krefelder Straße ist zudem die wichtigste Nord-Süd-Achse, um ins Hülser Zentrum zu gelangen.

Um die Situation zu entschärfen, wurde die Straßenbahn um knapp 400 Meter verkürzt und endete vom 28. Juli 1964 an im Betriebshof Hüls. Mithilfe eines neu geschaffenen Wendedreiecks vor dem Depot konnte man dann auch Einrichtungswagen auf diesem Ast einsetzen. Zuvor musste die Tram in einer Ausweiche auf der Krefelder Straße zwischen Auf dem Graben und Markt wenden.

Diese Verlegung des Endpunkts war für die Straßenbahn und ihre Fahrgäste nicht glücklich, so dass man in den folgenden Jahrzehnten immer wieder überlegte, den Hülser Kern neu zu erschließen. Doch dieses Vorhaben stieß auf zum Teil erbitterten Widerstand.

[04] Auf dem Graben/Ecke Krefelder Straße
Juli 2007  © Tramtracks
[05] Auf dem Graben/Ecke Schulstraße
Juli 2007  © Tramtracks
[06] Auf dem Graben/Ecke Schulstraße
Juli 2007  © Tramtracks

Ende der 1970er-Jahre gab es die Idee, die Straßenbahn am Ortseingang über Ringstraße (Steger Dyk) auf die Trasse der Krefelder Eisenbahn-Gesellschaft zu führen und so den Bahnhof Hüls zu erreichen, der vom Markt auch nur 250 Meter entfernt liegt. Die Straßenbahn sollte dann weiter bis zum Streckenende am Hülserberg fahren, mit einem Abzweig nach Hüls West. Allerdings waren die Eisenbahngleise zu dieser Zeit noch für den Güterverkehr relevant, und seit 1968 fuhr hier auch noch die Museumsbahn "Schluff". Diese Lösung wurde also nicht weiter verfolgt.

Als 1992 mehrere Straßen im Hülser Ortskern zur Erneuerung anstanden, ließ die Stadt Krefeld schon einmal auf Vorrat Schienen verlegen. Doch die Diskussion über die mögliche Streckenführung zog sich in die Länge. Im März 1999 beschlossen der Planungsausschuss des Rates und die Hülser Bezirksvertretung, eine "große Ringlösung" zu realisieren. Vom Betriebshof Hüls sollte die Route über Krefelder Straße, Auf dem Graben, Schulstraße und Kempener Straße zum Bahnhof Hüls führen. Zurück Richtung Krefeld war vorgesehen, die Eisenbahntrasse zu benutzen und dann über die Ringstraße wieder am Schützenhof die Straßenbahnstrecke zu erreichen. Die Stadtwerke sprachen sich als Verkehrsbetrieb gegen diesen Vorschlag aus, weil sie einen Fahrgastrückgang befürchteten. Dennoch wurde im Jahr 2000 das Planfeststellungsverfahren eingeleitet, ohne dass dies in Bauaktivitäten gemündet wäre.

[07] Kempener Straße/Ecke Schulstraße
Juli 2007  © Tramtracks
[08] Schulstraße/Ecke Kempener Straße
Juli 2007  © Tramtracks

Doch immer wieder verzögerte sich das Projekt. 2005 kam eine modifizierte Variante auf den Tisch, die "kleine Ringlösung". Die Strecke sollte von den bestehenden Endpunkt vor dem Depot eingleisig der Krefelder Straße folgen, links in die Straße Auf dem Graben führen und dann rechts in die Schulstraße einbiegen, wo sie zweigleisig würde. In Höhe des Marktes ginge es dann nach links in die Kempener Straße. Bis kurz hinter der Kreuzung waren die Gleise ja schon verlegt. Die Endstation sollte 150 Meter weiter westlich am Hülser Bahnhof liegen, wo zu den Buslinien umgestiegen werden könnte. In Gegenrichtung sollten die Bahnen aber nicht mehr die Eisenbahntrasse nutzen, sondern auf gleichem Weg zurück und dann der Schulstraße auf ganzer Länge folgen, um über die Ringstraße auf die Krefelder Straße zu gelangen. Im März 2010 schließlich empfahl die Hülser Bezirksvertretung dem Ausschuss für Stadtplanung und Stadtsanierung, die Planung offiziell einzuleiten.

Speziell diese kleine Ringvariante war in Politik und Bürgerschaft stark umstritten, da die Schulstraße südlich der Straße Auf dem Graben sehr eng ist und selbst eine eingleisige Strecke schwierig durchzusetzen war. Die SPD-Fraktion wollte kurzfristig noch eine Umplanung – statt eines Rings eine eingleisige Strecke mit Ausweichen. Als Ausgleich für die in der Schulstraße wegfallenden Parkplätze sollte das Gelände des ehemaligen Betriebshofs Hüls als Parkraum genutzt werden. Die Halle sollte laut dieser Planung aber erhalten bleiben. In der Zwischenzeit waren die Schienen auf der Schulstraße schon teilweise unter Asphalt für bessere Zeiten konserviert worden.

[09] Schulstraße/Ecke Kempener Straße
April 2018  © Tramtracks
[10] Kempener Straße/Ecke Tönisberger Straße
April 2018  © Tramtracks

Die neuen Pläne stießen wieder auf Protest. Der deutlich verbesserten Erschließung des Hülser Ortskerns standen Bedenken von Anwohnern gegenüber. Von Parknot über quietschende Bahnen bis zum angeblichen Wertverfall von Immobilien entlang der Strecke haben die Tram-Gegner jedes nur erdenkliche Schreckgespenst an die Wand gemalt.

Die Baukosten sollten sich auf 9,6 Millionen Euro belaufen. Ende 2011 wollte die Stadt Krefeld das Planfeststellungsverfahren anstoßen. Doch ohne Aussicht auf Förderung durch Landesmittel und angesichts des Widerstands in der Hülser Bezirksvertretung legte man das Projekt auf Eis. Im Frühjahr 2012 nahmen CDU und SPD dauerhaft Abstand von der kleinen Ringlösung. Im September 2012 entschied auch der Stadtrat, die Ringlösung endgültig ad acta zu legen und stattdessen das Betriebshofgelände zum Umsteigepunkt für Bus und Straßenbahn umzubauen. Dafür würde die alte Wagenhalle weichen müssen. Passiert ist allerdings erst einmal lange nichts – außer dass die alte Halle im Oktober 2021 wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste.

[11] Schulstraße/Ecke Auf dem Graben
April 2018  © Tramtracks
[12] Schulstraße/Ecke Auf dem Graben
April 2018  © Tramtracks

Im Sommerloch 2017 kam die politisch beerdigte Strecke noch einmal in die Schlagzeilen. Es ging um die noch in den Straßenzügen liegenden Schienen. Im Laufe der Jahre hätten sich viele Zweiradfahrer zum Teil böse verletzt, kolportierte das lokale Anzeigenblatt. Die rostenden, ja, verrotteten, aber dann auch wieder rutschigen Schienen stellten "eine Verkehrsgefahr sondergleichen" dar. Und da sie ja nun definitiv nicht mehr benötigt würden, könne man sie ja herausreißen. Das Krefelder Tiefbauamt winkte ab und wollte die Ausbesserung der Fahrbahndecke erst angehen, wenn in ein paar Jahren der Kanal durch die Stadtwerke saniert werden müsse. Die Kosten sollten 100.000 bis 135.000 Euro betragen. Mittel dafür gebe es im städtischen Haushalt erst ab 2020.

Doch dann machte die Hülser Bezirksvertretetung Geld locker, um zumindest auf der Straße Auf dem Graben zu graben und während der Osterferien Ende März 2018 die Gleise dort auf einer Länge von rund 70 Metern zu entfernen. Die Bauarbeiten, die sich nur auf die nördliche Hälfte der Straße erstreckten, kosteten 25.000 Euro. Auf der Krefelder Straße waren die Schienen bereits 2005 wieder entfernt worden.

[13] Schulstraße/Ecke Kempener Straße
September 2023  © Tramtracks
[14] Kempener Straße/Ecke Schulstraße
September 2023  © Tramtracks

Rund um die Kreuzung Schulstraße/Kempener Straße lagen die Gleise weiterhin. Speziell auf der Schulstraße entwickelte sich durch den starken Auto- und Busverkehr eine wenig ansehnliche Huckelpiste. Die Rillenschienen wurden übrigens schon vor etlichen Jahren ausgegossen worden, eben um unvorsichtige Radfahrer vor Stürzen zu bewahren. Mittlerweile liegt auf der Schulstraße eine neue Asphaltdecke, und nur der Gleisbogen im Bereich vor dem Christian-Roosen-Platz ist noch sichtbar – als Sinnbild für eine wohl gescheiterte Nahverkehrspolitik in Hüls.

[14] Verlegung der Gleise auf der Schulstraße/Ecke Auf dem Graben
Mai 1992  © Stefan Kolberg

Die Verkehrsführung in Hüls bleibt ein schwieriges Kapitel für die Stadtplanung. Die Schulstraße wurde 1989 kurzzeitig zur Fußgängerzone deklariert, was aber schnell wieder rückgängig gemacht wurde. Der Autoverkehr nimmt ja nicht insgesamt ab, nur weil man eine Straße sperrt, sondern sucht sich neue Routen. Angesichts der räumlichen Enge gibt es anscheinend keine Lösung, die allen Wünschen gerecht wird. In einem Punkt soll sich aber etwas für den Nahverkehr verbessern: Wenn die Schulstraße saniert wird, soll sie ein wenig tiefer gelegt werden, damit an der Bushaltestelle am Bordstein ein niveaugleicher Einstieg möglich wird.

Übrigens: Als die Pläne für die Tramverlängerung in der Versenkung verschwanden, kamen ausgerechnet aus der Hülser Geschäftswelt Worte des Bedauerns. Spät hatte man die Vorteile einer besseren Erschließung des Stadtteils doch noch erkannt, nachdem man die Straßenbahn jahrelang hartnäckig bekämpft hatte. Eine Ringlösung gibt es in Hüls aber trotzdem, wenn auch nur mit zwei Ortsbuslinien (045 und 049), die seit Januar 2018 zweimal pro Stunde eine Schleife durch den Stadtteil fahren und am Betriebshof Hüls den Anschluss zur Straßenbahn herstellen.
 

Die Bestandsstrecke (blau) und die mögliche Verlängerung zum Schulzentrum Reepenweg (grün)
© OpenStreetMap-Mitwirkende / eigene Bearbeitung

Im Mai 2020 setzte sich die Hülser Bezirksvertretung noch einmal mit Hinweis auf die dringliche werdende Verkehrswende für die Verlängerung ein. Die SWK als Verkehrsbetrieb zeigten sich demgegenüber grundsätzlich offen, forderten allerdings ein klares politisches Mandat. Von einer Führung durch die enge Schulstraße rückten die Stadtwerke inzwischen ab und wollten die Krefelder Straße in beiden Richtungen befahren. Die Investitionssumme schätzte die SWK auf 25 Millionen Euro.

Das vom Krefelder Stadtrat im Juni 2021 beschlossene Mobilitätskonzept 2030+ empfahl dann die Verlängerung der Straßenbahnlinie 044 von Betriebshof Hüls über Schulstraße und Kempener Straße sogar über den Bahnhof hinaus bis in Höhe Leidener Straße (Schulzentrum Reepenweg). Sollte der Hülser Westen zugebaut werden, wäre zudem eine darüber hinausgehende Verlängerung zu prüfen.

Anders als noch zehn Jahre zuvor fand das Projekt anschließend Eingang in den Krefelder Nahverkehrsplan, der 2022 fortgeschrieben wurde. "Der Netzerweiterung wird ein mittleres Gesamtpotenzial ausgewiesen und ist zur weiteren tiefergehenden Prüfung vorgesehen", heißt es dort. "Die verschiedenen Trassenführungen und Potenziale sollen in einem eigenen Gutachten betrachtet werden."

Auf dem Stadtplan markiert ist die Kreuzung Kempener Straße/Schulstraße, auf der nach wie vor Gleise im Asphalt liegen. Die Fundstelle ist fußläufig von der Endstation der Straßenbahnlinie 044 (Hüls Betriebshof) erreichbar.

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Dieter Höltge / Michael Kochems: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 9: Niederrhein. Freiburg 2004 (S. 155-159, 179, 185)
  • Gisbert Arts / Gabriele Franken / Wolfgang Herbrandt / Ernst-Moritz Müller: Gut, daß wir sie haben. 100 Jahre elektrische Straßenbahn in Krefeld. Krefeld 2000 (S. 148-149)
  • Pro Bahn Niederrhein-Info 4/2005 (S. 2-3)
  • Blickpunkt Straßenbahn. Heft 2/1993 (S. 88)