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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Mülheim/Ruhr: Hingbergstraße

Stillgelegt: 1979
Status: Keine Gleisrelikte mehr vorhanden

[01] Östliches Ende der Hingbergstraße vor dem Tourainer Ring
Dezember 2005  © Tramtracks

In schwindelerregender Höhe, über eine bis zu 30 Meter tiefe Grube, fuhren die Straßenbahnen während des Stadtbahn-Tunnelbaus in den 1970er-Jahren vom Hauptbahnhof Richtung Heißen. Am westlichen Ende der Hingbergstraße schloss dieses Provisorium an die Bestandsstrecke an – eine klassische meterspurige Straßenbahn, die sich den Platz mit dem Durchgangsverkehr teilen musste, wenn sie den Hingberg erklomm.

Die Stadtbahn, die diese Tramstrecke ablöste, versprach so etwas wie die Zukunft des Nahverkehrs zu sein: Größtenteils unterirdisch fährt sie zwischen Mülheim Hauptbahnhof und Heißen, mit den geräumigeren B-Wagen auf Regelspur. Dabei folgte der Tunnel nicht ganz dem Verlauf der alten Strecke, sondern machte einen Schlenker nach Süden, um mit den U-Bahn-Stationen Von-Bock-Straße und Gracht auch die südöstliche Innenstadt zu erschließen. Weiter östlich verläuft der Tunnel dann wieder unter der Hingbergstraße (Stationen Christianstraße, Mühlenfeld und Heißen Kirche), um an die am 29. Mai 1977 eröffnete Stadtbahnstrecke nach Essen anzuschließen.

Während der Bauzeit war zwar ab April 1974 die städteverbindende Straßenbahnverbindung in Heißen unterbrochen. In Mülheim wurde der Tramverkehr auf der Hingbergstraße aufrecht erhalten. In Essen hatte man dagegen in der dreijährigen Ausbauphase die als Modellstrecke für die Stadtbahn auserkorene Verbindung mit Ersatzbussen betrieben und musste damit deutlich sinkende Fahrgastzahlen in Kauf nehmen.

 

[02] Östliches Ende der Hingbergstraße vor dem Tourainer Ring
Dezember 2005  © Tramtracks
[03] Hingbergstraße/Ecke Oststraße
Dezember 2005  © Tramtracks
[04] Hingbergstraße in Höhe Oststraße
Dezember 2005  © Tramtracks

Der 3,3 km lange Mülheimer Tunnel zwischen Hauptbahnhof und Heißen wurde am 3. November 1979 eingeweiht. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau durfte dazu selbst den Fahrschalter des Stadtbahnwagens betätigen. Am selben Tag fuhr die letzte Straßenbahn oberirdisch über die Hingbergstraße und wendete in einem provisorischen Gleisdreieck, das vor der Kirche in Heißen im Januar 1973 angelegt worden war. Damit ging eine lange Tradition zu Ende, denn auf der Hingbergstraße fuhren schon die ersten Mülheimer Straßenbahnen. Am 9. Juli 1897 ging der Abschnitt vom Rathausmarkt zur Körnerstraße in Betrieb, um im November 1898 bis Heißen Kirche verlängert zu werden.

Unter einer dünnen Asphaltschicht zeichneten sich die Schienen noch ein gutes Vierteljahrhundert nach der Stilllegung ab, stellenweise traten sie auch offen zutage. Von der ehemals zweigleisigen Strecke war nur das stadteinwärts führende Schienenpaar erkennbar, das am nördlichen Fahrbahnrand verlegt worden war. Das zweite Gleis lag in der Straßenmitte.

[05] Hingbergstraße zwischen Oststraße und Körnerstraße
Dezember 2005  © Tramtracks
[06] Hingbergstraße zwischen Oststraße und Körnerstraße
Dezember 2005  © Tramtracks
[07] Hingbergstraße/Ecke Körnerstraße
Dezember 2005  © Tramtracks

Ende September 2009 begann die Sanierung der Hingbergstraße zwischen Tourainer Ring und Brückstraße. Zunächst kam das westliche Ende in Höhe des Seniorenzentrums bis zur Kalkstraße an die Reihe. Im Oktober wurde dort das kurze Schienenstück entfernt.

Im zweiten Bauabschnitt zwischen Brückstraße und Oststraße wurde von Oktober 2009 bis Mai 2010 gearbeitet. Dabei wurde erst die Nord- und dann die Südseite erneuert. Dabei verschwanden alle alten Gleise, die mehr als drei Jahrzehnte unter dem Asphalt gelegen hatten.

[08] Hingbergstraße/Ecke Oststraße
Mai 2010  © Tramtracks
[09] Hingbergstraße/Ecke Oststraße
Mai 2010  © Tramtracks
[10] Hingbergstraße/Ecke Von-Bock-Straße
Mai 2010  © Tramtracks

Nach mehr als 40 Betriebsjahren ist die Paradestrecke der Mülheimer Stadtbahn in die Jahre gekommen. Nicht nur dass teilweise immer noch der Wagenpark aus den Anfangsjahren unterwegs ist: An Stationen, Tunnel und Brücken wächst der Sanierungsbedarf. Die hochverschuldete Kommune hat aber kaum die Mittel für die notwendigen Investitionen. Stattdessen wurden 2019 Pläne laut, den Takt auf der U18 zu halbieren und die Strecke zwischen Hauptbahnhof und Essen nur noch alle 20 Minuten zu bedienen. Das war sicher nicht Sinn und Zweck des teuren Tunnelbaus – und ist eben nicht der Nahverkehr der Zukunft.

Auf dem Stadtplan markiert ist die Stelle am westlichen Ende der Hingbergstraße, wo die Gleisreste am offensten zu Tage traten. Der Mülheimer Hauptbahnhof liegt nur wenige Gehminuten entfernt.

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Dieter Höltge: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 4: Ruhrgebiet. Freiburg 1994 (S. 315, 334-337)
  • Betriebe der Stadt Mülheim an der Ruhr (Hg.): 90 Jahre Straßenbahn Mülheim an der Ruhr. Mülheim an der Ruhr 1988 (S. 35-41)
  • Helmut Hoffmann / Klaus Oehlert: Bilder von der Mülheimer Strassenbahn. Aachen 1985 (S. 8, 17, 41-45)