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Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Solingen: Potshaus

Stillgelegt: 1969
Status: Gleisreste noch vorhanden (Stand: August 2011)

[01] Gertrudisstraße/Ecke Cronenberger Straße
Februar 2004  © Tramtracks

Die letzte Straßenbahnlinie, die durch Solingen fuhr, war eine Wuppertaler: Die "5" führte bis zum 3. Mai 1969 von der Innenstadt talwärts nach Kohlfurth und über Cronenberg weiter Richtung Elberfeld. Auf Solinger Seite lag ihr Endpunkt in einem Stumpfgleis direkt vor der Clemens-Kirche. Die Strecke folgte der Cronenberger Straße, unterquerte die Gütergleise am Solinger Nordbahnhof und bog dann an der Haltestelle Potshaus in die Gertrudisstraße ein. In dieser Anliegerstraße haben sich rund 250 Meter Gleis gehalten – einer der ganz, ganz wenigen Schienenreste auf Solinger Gebiet.

Die Historie dieser Strecke beginnt schon im Jahr 1899, doch sollten fast 15 Jahre vergehen, bis sie tatsächlich eröffnet wurde. Die für die ach so gute alte Zeit gar nicht untypische Verzögerung lag am Gerangel von zwei miteinander konkurrierenden Bahnunternehmen. Sowohl die Solinger Kleinbahn AG als auch die Barmer Bergbahn wollten die Strecke bauen und brauchten einige Jahre, um sich schließlich doch noch zu einigen. Das war aber nicht das einzige Problem: Die gravierenden Höhenunterschiede (Cronenberg lag fast 150 Meter höher als das Tal der Wupper, Solingen rund 120) gaben den Planern bei der Trassierung eine harte Nuss zu knacken. Die Bauarbeiten mit dem Anlegen von Einschnitten und Dämmen waren aufwendig. Es gab Verletzte und auch zwei Todesopfer zu beklagen. Als die Strecke am 4. August 1914 endlich eröffnet wurde, geschah dies ohne Feierlichkeiten. Drei Tage zuvor hatte der Erste Weltkrieg begonnen.

 

[02] Gertrudisstraße zwischen Cronenberger Straße und Agnesstraße
Februar 2004  © Tramtracks
[03] Gertrudisstraße/Ecke Agnesstraße
Februar 2004  © Tramtracks

Die Städteverbindung wurde gut angenommen. Zwischen 1925 und 1943 war nachmittags ein 20-Minuten-Takt üblich. Zu den anderen Zeiten fuhr zweimal pro Stunde eine Bahn. In den 1960er-Jahren ließ das Fahrgastaufkommen allgemein nach. Die Linie 5 verkehrte auf Solinger Seite meist nur noch mit einem zweiachsigen Solo-Triebwagen. Beiwagen, die zehn Jahre zuvor von Wuppertal her noch regelmäßig bis zur Endstelle Mühlenplätzchen mitgeführt wurden, blieben in der Kohlfurth stehen.

Damals führte die Trasse zwischen Potshaus und Stöcken durch fast unbebautes Gebiet. Inzwischen sind nicht nur entlang des Gleises Wohnhäuser entstanden. Im östlichen Bereich der Getrudisstraße, wo die Trasse nach Norden schwenkte, musste der Bahndamm einem Neubaugebiet weichen. Erst an der Margaretenstraße, wo sich eine Ausweiche befand, lässt sich der ehemalige Bahnkörper am Klauberg noch erkunden.

[04] Gertrudisstraße/Ecke Cronenberger Straße
Januar 2005  © Tramtracks

An der Ecke Cronenberger Straße/Gertrudisstraße war eine sogenannte Entgleisungsweiche eingebaut. Wenn ein Wagen aus der Solinger Innenstadt bergab ankam, war die Weiche regulär geradeaus gestellt und hätte die Bahn in einen Gleisstummel und dann auf die offene Straße gelenkt. Es musste also rechtzeitig gebremst und dann die Weiche umgestellt werden, um die Fahrt durch die Gleiskurve in die Gertrudisstraße fortzusetzen. Mit dieser Prozedur wollte man vermeiden, dass eine Bahn, die zu schnell unterwegs war, in der engen 90-Grad-Kurve umkippen konnte. Vor der Einmündung der Gertrudisstraße lag die Haltestelle Potshaus, so dass normalerweise die Straßenbahn ohnehin hier zum Stehen kam. Die Entgleisungsweiche war ansonsten für die schweren Gütertransporte relevant, die vom Anschlussgleis am Nordbahnhof ein relativ abschüssiges Stück der Cronenberger Straße zu meistern hatten.

Im Juli 1952 kam es zu einem Vorfall, als ein abgekuppelter Beiwagen sich an der Endstelle am Mühlenplatz selbstständig machte und die Cronenberger Straße ungebremst herunter kam. Am Potshaus lief das Gefährt mit hohem Tempo in die Entgleisungsweíche ein und fuhr dann dahinter rund 100 Meter auf offener Straße weiter. Dort allerdings stand ein geparktes Auto im Weg, das erheblich ramponiert wurde. Ohne dieses Hindernis hätte die Bahn eigentlich von alleine zum Stehen kommen sollen. Es blieb glücklicherweise nur bei Sachschaden.

[05] Gertrudisstraße zwischen Cronenberger Straße und Agnesstraße
Januar 2005  © Tramtracks
[06] Mastfundament hinter dem Haus Gertrudisstraße 12
Januar 2005  © Tramtracks

Auf dem Bahnkörper sind neben ein paar Schottersteinen auch noch die massiven Fundamente eines Gittermastes zu finden. Zwischen Potshaus und Cronenberg Lenzhaus, also in dem Abschnitt mit dem starken Gefälle, hatte die Barmer Bergbahn eine aufwendige Hochkettenoberleitung installiert. Sie wurde 1952 durch einen zweifachen Fahrdraht ersetzt.

Für Juli 2010 war die Sanierung der Gertrudisstraße angekündigt worden. Das ließ befürchten, dass bei dieser Gelegenheit das alte Gleis verschwinden würde. Doch am Ende des Tages sah das Ergebnis so aus: Rechts und links der Schienen war die Oberfläche durch eine dünne neue Deckschicht geglättet. Und das war es wohl auch schon. Eine Sparsanierung aufgrund leerer Kassen? In diesem Fall hätte die desolate Haushaltslage der Stadt Solingen einen positiven Aspekt gehabt.

[07] Gertrudisstraße zwischen Cronenberger Straße und Agnesstraße
Juli 2010  © Robert Baggen
[08] Gertrudisstraße/Ecke Cronenberger Straße
August 2011  © Robert Baggen
[09] Gertrudisstraße/Ecke Agnesstraße
August 2011  © Robert Baggen
[10] Gleisrest unter dem Asphalt auf der Gertrudisstraße
August 2011  © Robert Baggen

Im Sommer 2011 wurde dann noch einmal nachgebessert und der Gleisbereich auf der Gertrudisstraße mit einer Asphaltschicht versehen. Das "Deckenprogramm" der Stadt Solingen hatte zwar den überbezirklich relevanten Straßen Priorität bei der Sanierung der Fahrbahndecken eingeräumt, um den äußerst knappen kommunalen Etat möglichst effizient einzusetzen. Umso bemerkenswerter ist es, dass mit der Gertrudisstraße ein kurzer Anliegerweg mitversorgt worden ist. Eventuell geht dies aber noch auf den Haushaltsansatz des Vorjahres zurück, als die Straße im Deckenprogramm aufgeführt war.

An manchen Stellen zeigten sich die Schienen noch in dem neuen Überzug. Auf der Gertrudisstraße kam das DSK-Verfahren ("Dünne Schicht im Kalteinbau") zum Einsatz: Auf eine abgefräste Oberfläche wird eine Mischung aus Mineralien, Bitumen und Wasser aufgetragen und trocknen gelassen. Asphalt (im "Heißeinbau") wird nur benutzt, falls größere Schlaglöcher zu füllen sind.

Übrigens: Zehn Jahre zuvor hatten sich die Anlieger mehrheitlich gegen eine Straßenbeleuchtung entschieden. Zumindest am Anfang der Gertrudisstraße stehen jetzt aber Laternen.

Auf dem Stadtplan markiert ist der Bereich der Gertrudisstraße, in dem das Gleis noch recht gut durch den Asphalt schimmert. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist die Fundstelle mühelos erreichbar: Die Buslinie CE64, die in Teilen der ehemaligen Tramlinie 5 folgt, hält in umittelbarer Nähe (Haltestelle: Potshaus). Werktags verkehrt sie im 20-Minuten-Takt, am Wochenende alle halbe Stunde.

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Bernhard Terjung: Straßenbahnen in Wuppertal. Nordhorn 1997 (S. 167-174)
  • Horst Dirlam / Wolfgang R. Reimann: Mit der Elektrischen durch Solingen. Wuppertal 1988 (S. 24-26)
  • Jürgen Eidam / Wolfgang R. Reimann: Mit 5 und 25 unterwegs – Eine Straßenbahn-Zeitreise von Wuppertal nach Solingen. Remscheid 2012 (S. 207-209)
  • Hans-Erich Homberg: Straßenbahnlinie 5 – Spaziergang entlang einer ehemaligen Bahntrasse. Solingen 2012