Klassenräume ohne Klassen, verwackelte Videos von Tafelbildern, Lehrer, die hinter schwarzen Kacheln verschwinden. Wer in der Coronakrise zur Schule ging, hat all das nicht vergessen. Für Kinder und Jugendliche war die Pandemie eine Zeit der Zumutungen.

Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe in Bamberg wollten nun herausfinden, ob Schülerinnen und Schüler durch die Einschränkungen schlechter Mathe gelernt haben. Die Ergebnisse der Studie liegen der ZEIT vorab vor. Sie sind überraschend – und machen Hoffnung. Denn sie zeigen, dass die Pandemie, schulisch gesehen, keine vergeudete Zeit war.

Den Bamberger Forschern ist es erstmals gelungen, die Lernentwicklung von Schülern mit ganz unterschiedlichem Erfahrungshintergrund zu untersuchen. Sie konnten auf zwei Kohorten von Jugendlichen zurückgreifen, deren mathematische Kompetenzen jeweils in der siebten und neunten Klasse standardmäßig getestet wurden. Die eine Kohorte durchlief den siebten Jahrgang bereits vor zwölf Jahren und war von den Schulschließungen nicht betroffen. Die andere Gruppe trafen die pandemiebedingten Maßnahmen genau zwischen Klasse sieben und neun.

Verwendet wurden Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS), einer Längsschnitterhebung, mit der sich die Kompetenzentwicklung von Einzelnen und von Gruppen über lange Zeiträume hinweg analysieren lässt. Die Messwerte von 6.048 Schülerinnen und Schülern, die zu unterschiedlichen Zeiten die Sekundarstufe verschiedener Schulformen besuchten, wurden in die Studie einbezogen. Während des halbstündigen Tests absolvierten sie rund 20 verschiedene Aufgaben aus diversen Bereichen der Mathematik, häufig alltagsnäher, als sie im Mathebuch stehen. Was also haben die Schülerinnen und Schüler hinzugelernt?

In beiden Kohorten gab es Lernzuwächse. Auch jene Jugendlichen, die während der Pandemie unterrichtet wurden, haben sich also Wissen angeeignet. Und nicht nur das: Die Lernzuwächse fielen in beiden Gruppen ähnlich groß aus. Die Forscher konnten keinerlei statistisch bedeutsame Unterschiede feststellen. Es gibt nahezu gleiche Kohorten-Anteile von Jugendlichen mit überdurchschnittlichen und auch mit unterdurchschnittlichen Kompetenzwerten.

Dabei zeigen die Daten durchaus Unterschiede: Jungs schneiden in Mathe besser ab als Mädchen. Gymnasiasten haben höhere Lernzuwächse als Jugendliche anderer Schulformen und Kinder aus Akademikerfamilien höhere als jene, deren Eltern keinen akademischen Hintergrund haben.

Doch selbst wenn die Forscher all diese Faktoren berücksichtigen, ergibt sich für alle ein Lernzuwachs, Schulschließungen hin oder her. Kann das wirklich sein?

Auf den ersten Blick passen die Ergebnisse nicht mit den Befunden anderer Studien zusammen, die zuletzt auch in Mathematik große Leistungslücken feststellten. So hinken Viertklässler laut dem "IQB-Bildungstrend 2021" in ihren Mathefähigkeiten ein Vierteljahr hinter den Gleichaltrigen im Jahr 2016 her. Und die letzte Pisa-Auswertung zeigte, dass bei den getesteten 15-Jährigen der Anteil der sehr leistungsschwachen Schüler in Mathematik auf 30 Prozent gestiegen ist. Warum widerspricht die neue Studie aus Bamberg diesem inzwischen vielfach belegten Negativtrend in den Leistungen?

Die Ergebnisse träfen nur Aussagen über jene mathematischen Kompetenzen, die man im Rahmen des Bildungspanels testet, sagt die Bamberger Bildungswissenschaftlerin Lena Nusser, die an der Studie beteiligt war. "In den mathematischen Lehrplänen können darüber hinaus auch andere Aufgabentypen relevant sein." Außerdem könne man davon ausgehen, dass die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen bei Jugendlichen in der Sekundarstufe deutlich stärker ausgeprägt sei. So könne sich die Pandemie auf die Kompetenzentwicklung etwa bei jüngeren Schülern deutlich stärker ausgewirkt haben. Das vorliegende Ergebnis sage auch nichts über die Lernentwicklung in anderen Fächern aus, erklärt Nusser. Über Fächer also, die stärker als die Mathematik vom Gespräch leben, von Interaktion, von Experimenten und dem gemeinsamen Tun. Ein hoffnungsvoller Befund ist es trotzdem – weitere mögen folgen.