Ein Maler, den ich vor vielen Jahren traf, sagte mir damals, er finde, Tennis sei die interessanteste Sportart von allen. Wenig überraschend: Ich sah das genauso wie er. Ich dachte, er meinte Tennis als Metapher des Lebens, also wegen der Schönheit der Bewegungen und der Radikalität dieses Einzelsports. Nein, korrigierte er mich, es sei wegen der Symmetrie der Linien. Na gut.

Luca Guadagnino scheint es ähnlich zu gehen wie meinem Künstlerfreund von damals. Sein Film Challengers beginnt mit der Aufnahme eines Tennisplatzes von oben: das Netz, die Linien, die zum Netz hinlaufen, alles liegt in perfekter Symmetrie. Es ist das erste Bild des Films und das letzte, das Ordnung zeigt, bevor alles im Chaos versinkt.

Ich mag Luca Guadagninos Filme, aber als ich hörte, dass er sich an Tennis heranwagen würde, sank mir das Herz in die Hose. Bisher waren Tennisfilme im besten Fall langweilig gewesen (King Richard), im schlechtesten Fall lachhaft (Wimbledon). Ich hatte es genossen, mich auf diesen Filmregisseur verlassen zu können. Einen, bei dem ich wusste, dass ich Atmosphäre bekommen würde und komplizierte Liebesverstrickungen, die tragisch enden. Sollte das jetzt alles vorbei sein? Tennis war eine verdammt hohe Fallhöhe – nicht für Luca Guadagnino, sondern für mich. Ich würde bestimmt nur dasitzen und rummaulen, wie falsch doch wieder alle Tennisdetails sind.

Ich lag daneben. Ich bin keine Filmkritikerin; wie gut der Film als Film ist, müssen andere entscheiden. Aber dass es einer der besten Tennisfilme der letzten Zeit ist, das weiß ich. Denn ich habe sie alle gesehen. Die drei Hauptfiguren des Films stellen ganz bestimmte Archetypen von Tennisspielern dar. Es gibt Patrick (Josh O’Connor), der Talent und Kreativität hat, aber nicht in der Lage ist, Tennis ernst zu nehmen. Da ist Art (Mike Faist), der nicht so viel Talent wie Patrick hat, aber Disziplin und Struktur in seinem Spiel. Tashi, die weibliche Hauptfigur, gespielt von Zendaya, hat beides: Talent und Disziplin. Sie fühlt außerdem eine an Obsession grenzende Leidenschaft für den Sport, die beiden Männern abgeht. Art ist diszipliniert, weil er Patrick ausschalten und Tashi imponieren will, nicht weil er Tennis liebt. Es entspinnt sich ein Liebesdreieck zwischen ihnen, das über Jahrzehnte anhalten wird. Gerade wird viel Aufhebens um die erotischen Momente des Films gemacht. Meine Theorie ist, dass es für viele ein Schock ist, Sex und Sport in einem zu sehen. Und mit viele meine ich mich.

Zurück zu den drei Archetypen: Mit der Zeit ahnt man, warum Tashi das Tennis so viel wichtiger ist als den beiden anderen. Patrick und Art stammen aus wohlhabenden Familien, sie brauchen Tennis nicht. Für Tashi hingegen ist der Sport der einzige Weg, sich ein Leben aufzubauen. Auf der Oberfläche ist Challengers ein Film über Sex. Wenn man genauer hinguckt, ist es ein Film über das Begehren. Begehren beschränkt sich nicht auf ein Gegenüber in Fleisch und Blut. Es kann sich auf Dinge beziehen, auf Erfolg, auf gesellschaftliche Positionen. Im Endeffekt ist es ein Film über die unterschiedlichen Weltsichten von Ober- und Unterschicht. Sex ist da nur ein Mittel zum Zweck. Tashi verachtet Art, weil er keine Wertschätzung für seinen Erfolg hat und bereit ist, seine Karriere beim ersten Gegenwind an den Nagel zu hängen. Sie treibt Patrick in den Wahnsinn, weil er sein Talent wegwirft, um ein abenteuerliches Leben auf der Challengers-Tour zu führen (die Tennistour abseits von der glitzernden ATP Tour), bis er irgendwann in die Firma seines Vaters zurückkehrt. Tashi würde alles ganz anders machen, wenn sie könnte, aber eine ihre Karriere beendende Verletzung verdammt sie zum ewigen Platz an der Seitenlinie. Genau da sehen wir sie im Film am häufigsten.

Obwohl Tennis immer noch als Elitensport gilt – der "weiße" Sport, bei dem gut betuchte Menschen mit Rolex-Uhren zum Applaus klappern –, kommen die meisten Tennisspielerinnen nicht aus wohlhabenden Familien. Tashi drückt mit ihrer Verachtung für Art und mit ihrer Wut auf Patrick die gefühlte Ohnmacht der Unter- und Mittelschichten aus, sobald sie mit höhergestellten Menschen zu tun haben. Es ist unklar, wem genau das Zitat zuzuordnen ist; manche sagen Oscar Wilde: "Alles im Leben dreht sich um Sex, nur nicht der Sex. Der dreht sich um Macht." Sex ist die einzige Macht, die Tashi noch hat, nachdem ihr das Talent genommen wurde. Ihr Begehren ist immer da. Vielleicht wird es besänftigt durch Produkte, die nach und nach auftauchen, je reicher sie wird – durch eine Hochzeit mit einem Mann, den sie nicht liebt. Dann Chanel-Espadrilles. Der Cartier-Schmuck. Die Augustinus-Bader-Körperlotion. Quiet luxury, der für niemanden mehr quiet ist. Aber wahrscheinlich besänftigt das gar nichts.