Frankreichs Präsident spricht gern und viel. Wer ihm zuhört, dem begegnen manche Begriffe immer wieder. Häufig sind es Begriffe, die uns in Deutschland seltsam vorkommen, nicht nur weil Macron Französisch spricht. An diesem Wochenende reist der Präsident zu einem Staatsbesuch nach Berlin. Er wird drei Tage in Deutschland bleiben und mindestens zwei Reden halten, eine vor der Frauenkirche in Dresden. Um Macron besser verstehen zu können, erklären wir die wichtigsten Ausdrücke.

l’audace

die Kühnheit. Sie ist eine Kardinaltugend der französischen Politik. Wer nicht wagemutig ist, hat schon verloren. Auch Emmanuel Macron führt das Wort oft im Munde. Kühn war es etwa in den 70er-Jahren, Dutzende Atomkraftwerke ins Land zu pflanzen. Gewagt war auch das Versprechen Macrons, Notre-Dame in Paris innerhalb von fünf Jahren wieder aufbauen zu wollen. Aber die Kathedrale, die im April 2019 in Flammen stand, wird im kommenden Dezember tatsächlich wieder eröffnet. Die französische Kühnheit steht in einem gewissen Widerspruch zur Besonnenheit, die deutsche Kanzlerinnen und Kanzler gern verkörpern. Auch deshalb fällt es Olaf Scholz und Emmanuel Macron manchmal schwer, sich zu verständigen. Eine weitere Übersetzung für audace ist übrigens Dreistigkeit.

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l’aventure

das Abenteuer. Das Abenteuer ist die Schwester der Kühnheit. In Deutschland wird von politischen Abenteuern dringend abgeraten. Macron hingegen hat sein Engagement wiederholt als Abenteuer beschrieben. "In dem Moment, in dem ich mich in dieses Abenteuer stürze ...", so beginnt → Révolution, das Buch, mit dem er sich 2016 als Präsidentschaftskandidat vorstellte.

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emmerder quelqu’un

jemandem auf die Nerven gehen. Macron spricht oft sehr schön, manchmal zu schön. Deshalb führt er von Zeit zu Zeit vor, dass er auch anders kann. Emmerder ist ein ziemlich derbes Wort, in dem la merde, die Scheiße, steckt. Im Januar 2022, als sich ein Ende der Corona-Pandemie abzeichnete, aber manche Franzosen noch immer nicht geimpft waren, sagte Macron in einem Interview: "Ich habe große Lust, den Nichtgeimpften auf die Nerven zu gehen." So weit wäre Angela Merkel nie gegangen.

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en guerre

im Krieg. Der Präsident hatte seinen ersten Krieg geführt, noch bevor Russland die Ukraine attackierte. "Wir sind im Krieg." Sechs Mal hat er den Satz wiederholt, als er Frankreich zu Beginn der Pandemie einen der schärfsten Lockdowns in Europa verordnete. Macron ist kein Militarist, aber er und seine Redenschreiber haben ein Faible für militärische Metaphern (→ Wiederbewaffnung). Deshalb schreckt er auch nicht vor Bodentruppen zurück. In Deutschland kommt alles, was mit Krieg zu tun hat, nicht so gut an.

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en marche

in Bewegung. Einen Aufbruch hatte Macron versprochen, als er 2016 ankündigte, Präsident werden zu wollen. Die Partei, die er damals gründete, sollte keine Partei sein, sondern eine Bewegung. Praktischerweise hat er sie gleich so genannt, En Marche. Noch praktischer: Die Anfangsbuchstaben waren dieselben wie die seines Namens. Bewegung ist das Gegenteil von Stillstand, aber manchmal gerät die Bewegung bei Macron zum Selbstzweck. Denn wer immer in Bewegung ist, ist schwer zu fassen. Mittlerweile heißt die Partei des Präsidenten → Renaissance, auch schwer zu fassen.

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en même temps

gleichzeitig. Emmanuel Macron ist eine widersprüchliche Figur. Ein eiskalter Charmeur, ein europäischer Einzelgänger. Ein junger Präsident, der vielen schon sehr früh recht alt vorkam. Vor allem möchte sich Macron politisch nicht festlegen. Kernenergie oder Windkraft? Humanität oder Härte? Rechts oder links? Seine Antwort lautet stets: beides zugleich. Gleichzeitig, das Wort zieht sich wie ein roter Faden durch seine Reden. Macron versuche damit, "Gegensätze zu versöhnen (...) und eine goldene Mitte zu verkörpern", schreibt Damon Mayaffre. Der Sprachwissenschaftler hat ein Buch mit dem schönen Titel Macron ou le mystère du verbe ("Macron oder das Geheimnis des Wortes") verfasst. Tatsächlich ist es Macron gelungen, Konservative und Sozialisten gleichzeitig zu besiegen. Der politische Preis dafür ist hoch: In Frankreich haben sich die Rechte und die Linke gleichzeitig radikalisiert.

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la poudre de perlimpinpin

Manche Redewendungen, die Macron verwendet, kommen auch den Französinnen und Franzosen seltsam vor. Im Wahlkampf 2017, als er zum ersten Mal Marine Le Pen in einem TV-Duell gegenübersaß, blaffte Macron seine Gegnerin an: "Was Sie vorschlagen, ist wie üblich das Pulver von Perlimpinpin." Der Ausdruck geht zurück aufs 17. Jahrhundert, das "Pulver von Perlimpinpin" ist ein Allheilmittel, das es nicht gibt. Eine Art Hokuspokus. Und Ausweis eines "lexikalischen Elitismus", schreibt Mayaffre. Wer perlimpinpin sagt, hebt sich ab. Und wirkt schnell etwas abgehoben. Aber der Präsident kann auch anders (→ emmerder quelqu’un).

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le réarmement

die Wiederbewaffnung. Das jüngste Lieblingswort des Präsidenten. Dass Europa aufrüsten muss, ist eine Überzeugung, die Macron und Scholz ausnahmsweise verbindet. Aber Macron hat die rhetorische Kampfzone ausgeweitet. Nicht nur die Streitkräfte, auch die Wirtschaft, die Industrie, die Wissenschaften und die Zivilgesellschaft müssten wiederbewaffnet werden, so hat er es in seiner Neujahrsansprache gesagt. Gar nicht lustig fanden viele Französinnen die Forderung des Präsidenten nach einer "demografischen Wiederbewaffnung".

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la renaissance

die Wiedergeburt. Macron hat eine Vorliebe für das Präfix "re",hat der Sprachwissenschaftler Mayaffre herausgefunden. Im Deutschen entspricht dem "re" das "wieder". Wieder aufbauen, wieder gründen, wieder herstellen – lauter Verben, die Macron oft verwendet. Auch seine eigene Partei trägt jetzt das"re"im Namen und heißt Renaissance. Mayaffre deutet den Rückgriff auf das "re" als Teil einer Wendung des Präsidenten ins Reaktionäre. So weit muss man nicht gehen, aber En marche, die → Bewegung ist futsch.

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la révolution

die Revolution. Mit den Revolutionen ist es ähnlich wie mit den → Brüchen: Wir tun uns in Deutschland schwer damit. In Frankreich ist es umgekehrt – wer Präsident werden will, muss mindestens eine Revolution in Aussicht stellen. Der Umsturz ist an sich nichts Schlechtes, oft bleibt er allerdings eine rhetorische Geste. Das Buch, das Macron 2016 veröffentlichte, um für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, hieß kurz und knapp: Révolution.

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la rupture

der Bruch. Kaum etwas fürchten wir in Deutschland mehr als einen Bruch, zu groß war die Zäsur zwischen 1933 und 1945. Das Leitmotiv der deutschen Politik ist deshalb Kontinuität, und wenn sich doch einmal etwas grundlegend verändert, heißt es Wandel. Im Extremfall: Wende. Bloß niemanden erschrecken! Macron dagegen spricht gern über Brüche und Zäsuren. Oft will er sie sogar beschleunigen, etwa wenn es um neue Technologien geht. Dass er damit jemanden erschrecken könnte, kümmert ihn nicht. Passiert aber ständig. Siehe auch → Revolution.

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la souveraineté

die Souveränität. Wenn Frankreichs Präsident nur ein Wort mit auf eine einsame Insel nehmen dürfte, würde er sich wahrscheinlich für dieses entscheiden. Souveränität ist der Fluchtpunkt der französischen Politik, ihre Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg. Nie mehr sollten andere (Deutsche) das Land besetzen können; nie mehr wollte man von anderen (USA, Großbritannien) abhängig sein, um sich befreien zu können. Deshalb hat Frankreich Atombomben. Aber um wirklich unabhängig sein zu können, ist Frankreich nicht mehr groß genug. Außerdem hat Macron mal als Investmentbanker gearbeitet, er weiß um die wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Deshalb definiert er Souveränität europäisch. Ein unabhängiges Europa, wirtschaftlich wie militärisch – das ist sein Ziel, sein politischer Traum. Deutschland hat eine andere Lehre aus der Geschichte gezogen und träumt nicht gern. Außerdem hat es keine Atombombe.

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