DIE ZEIT: Herr Pfeiffer, dass ein Wal ein Boot angreift, das kennen die meisten Menschen nur aus Abenteuerromanen und Filmen. Wie ist es wirklich, wenn einem das passiert?

Knut Pfeiffer: Bei uns war es so, dass ohne Vorwarnung ein riesiger Schlag unser Ruder traf. Es fühlte sich an, als wären wir auf einen Felsen geknallt. Ich stand gerade am Steuer, weil wir ordentlich Wind hatten, und durch den Aufprall rotierte das Steuer so heftig, dass es mir auf die Finger schlug. Das tat richtig weh. Mein Freund Klaus, der mit mir an Bord war, rief erschrocken: "Was war das?!" Ja, sagte ich, das sind unsere Freunde. Ich wusste ja schon von den Orcas.

ZEIT: Sie wussten, dass sich in der Straße von Gibraltar angriffslustige Schwertwale tummeln, und sind trotzdem reingefahren?

Pfeiffer: Na ja, anders komme ich nicht vom Atlantik zu meinem Liegeplatz in der Türkei. Deshalb hatte ich mir einen Piepser besorgt, der die Orcas angeblich vertreibt. Doch das Ding war denen wurscht. Bei Sonnenaufgang machte sich eine Gruppe Wale an uns ran, und dann ging der Tanz los. Die knabberten zweieinhalb Stunden lang an uns. Das Boot ist 18 Meter lang, wiegt 23 Tonnen, und sie warfen uns herum wie einen Spielball. Nach rechts, links, vorn, hinten. Es war wild.

ZEIT: Die Orcas galten lange Zeit als freundliche Riesen. Bei Touristen sind sie fast so beliebt wie Delfine. Wieso versenken sie plötzlich Segelboote?

Pfeiffer: Eigentlich sind Orcas friedlich. Ich glaube, wir Menschen haben ihnen irgendetwas angetan. Nun wollen sie uns verjagen. Es kursieren jetzt Theorien, dass sie nur spielen oder dass sie ein Ruder nicht von einer Schwanzflosse unterscheiden können. Alles Quatsch! Ich bin mir sicher: Die sind sauer auf uns.

ZEIT: Kürzlich, Mitte Mai, wurde die Segeljacht Alborán Cognac von Orcas versenkt, die Besatzung von einem Tanker aus dem Wasser gefischt. Wie gefährlich war Ihre Begegnung?

Pfeiffer: Lebensgefährlich. Wir kamen den Orcas vor einem Jahr in der Straße von Gibraltar in die Quere. In dieser Gegend gab es allein 2023 gut 200 Wal-Attacken, wobei vier oder fünf Schiffe untergingen. Die Kerle mit ihren vier Tonnen Gewicht kommen auf fast 50 km/h und sind dann wie ein Torpedo. Klugerweise knabbern sie meist nur das Ruder an. Das ist unsere Schwachstelle.

Der Münchner Arzt Knut Pfeiffer, 76, auf seinem Segelboot "Alize" © Privat

ZEIT: Bitte erklären Sie das.

Pfeiffer: Das Ruder unterm Bootsrumpf besteht aus Holz und Plastik-Bandagen, es ist hart, aber die Orcas fressen es an. Dadurch wird man manövrierunfähig. Manchmal brechen sie auch das Ruder aus dem Rumpf, dann schießt Wasser ins Boot. Da können Sie nur noch in die Rettungsinsel springen.

Das beschädigte Ruder der "Alize" nach dem Angriff der Wale © Privat

ZEIT: Das blieb Ihnen erspart. Aber was passierte während der zweieinhalb Stunden?

Pfeiffer: Wir kamen aus Lagos, Portugal, von einer Regatta über den Atlantik, der Atlantic Rally for Cruisers. Jetzt wollte ich mit meinem Nachbarn Klaus aus München zurück ins Mittelmeer. Blöderweise erwischte uns am Anfang der Straße von Gibraltar heftiger Wind. So hatten wir die starke Strömung und acht Windstärken gegen uns, dazu auf beiden Seiten Tanker. Die sind an die 200 Meter lang, machen 15 bis 18 Knoten und können nicht einfach bremsen. Wenn Sie denen ins Gehege kommen, war es das. Wir haben die Sturmnacht gut überstanden, doch bei Sonnenaufgang kam der Knall.