Im polnischen Journalismus gibt es ein interessantes Phänomen. Während die klassische Auslandsberichterstattung eher ein Schattendasein führt, was auch den Sparmaßnahmen in den Redaktionen geschuldet ist, erfährt man auf Nachrichtenportalen quasi täglich, was in der ausländischen Presse über Polen berichtet wird. Besonders im Mittelpunkt steht dabei die Berichterstattung in Deutschland.

Normalerweise dominieren politische und wirtschaftliche Themen diesen eigenwilligen polnischen Überblick über die ausländische Presse. In dieser Woche war es jedoch der Fußball. "Absurd! Ein deutscher Journalist und Trainer wollen nicht, dass Lewandowski den Rekord von Müller übertrifft", erzürnte sich beispielsweise das PiS-nahe Nachrichtenportal wPolityce, das sich sonst eher mit der Diffamierung der Opposition in Polen beschäftigt. Es veröffentlichte dazu in seinem Text Twitter-Kommentare wie "Wäre Lewandowski ein Deutscher, dann hätten sie mit seinem Rekord kein Problem".

Der deutsche Journalist, der in Polen für so viel Empörung gesorgt hat, ist der Spiegel-Autor Peter Ahrens. Vor einer Woche, noch bevor Lewandowski im Spiel gegen Freiburg sein 40. Saisontor machte und so den 49 Jahre alten Rekord von Gerd Müller ausglich, veröffentlichte dieser einen Text, in dem er die Frage stellt, wie es wäre, wenn der polnische Stürmer des FC Bayern München auf seinen Rekord verzichtete. Eine Idee, von der Ahrens selbst weiß, dass sie unvorstellbar ist.

Dennoch verursachte sein Text in Polen Aufsehen. Als auch noch darauf Didi Hamann bei Sky darüber sprach, Lewandowski solle aus Respekt für Müller im letzten Saisonspiel gegen Augsburg nicht auflaufen, und Bild-Mann Walter Straten in einem Kommentar darüber schrieb, warum er sich gefreut habe, dass Lewandowski in der Partie gegen Freiburg die Chance zu seinem zweiten Treffer versemmelte, kannte die Empörung in Polen keine Grenzen. Und dies in einer ansonsten politisch tiefgespaltenen Presselandschaft.

Was einerseits mit der Sonderstellung zu tun hat, die Lewandowski in seiner Heimat genießt. In Warschau steht seit einigen Wochen eine Uhr, die Lewandowskis Tore zählt. In München und Düsseldorf hat ein polnisches Nachrichtenportal für diese Tage zwei Werbeflächen gekauft, mit dem in polnischer Sprache verfassten Glückwunsch: "Robert Lewandowski. In Polen sind wir stolz auf dich". Mit Düsseldorf hat der Bayern-Stürmer zwar nichts zu tun, aber da in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens die größte elektronische Werbeanzeige Deutschlands steht, hat man auch diese gemietet.

Polens Fußball spielt zurzeit keine große Rolle

Man mag darüber hierzulande schmunzeln, doch wenn man sich anschaut, was polnische Fußballfans in den letzten drei Jahrzehnten alles erleiden mussten, kann man diese grenzenlose Begeisterung für Lewandowski nachempfinden. Während noch in den frühen Neunzigerjahren polnische Vereine in der K.-o.-Phase der europäischen Wettbewerbe selbstverständlich waren, ist das heute die Ausnahme.

Lech Posen in der Europa League war diese Saison der erste polnische Verein seit drei Jahren, der sich überhaupt für die Gruppenphase eines europäischen Vereinswettbewerbs qualifizieren konnte. In welcher der Traditionsverein aber nur als Punktelieferant diente.

Als sich Legia Warschau 2016 für die Gruppenphase der Champions League qualifizierte, war es für einen polnischen Verein die erste Teilnahme in dem Wettbewerb seit 20 Jahren. Damals spielte Widzew Łódź mit dem späteren Sieger Borussia Dortmund in einer Gruppe. Und auch die polnische Nationalmannschaft dürfte bei der anstehenden EM keine Chancen auf das Finale haben. Da sind Lewandowskis Erfolge Balsam für die Seele des polnischen Fußballfans.