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Mit dem Nachtzug in die Ukraine: Luftalarm bei Scholz-Besuch

Quelle: BILD
Von: Angelika Hellemann (z.Zt. in Kiew)
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Um 08:29 Uhr deutscher Zeit hält der Nachtzug leicht quietschend im Kiewer Zentralbahnhof. An Bord: der deutsche Kanzler Olaf Scholz (64, SPD), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (44), Italiens Ministerpräsident Mario Draghi (74).

Die drei wichtigsten Staats- und Regierungschefs Europas reisen gemeinsam in die Ukraine – 113 Tage nach dem Kreml-Diktator Wladimir Putin (69) das Land überfallen hat. Für alle ist es der erste Besuch in der Ukraine seit Kriegsbeginn.

Gleich zu Beginn des Besuches kleiner Schock-Moment: Nur eine Stunde nach Scholz' Ankunft in Kiew wurde Luftalarm über den ukrainischen Hauptstadt ausgelöst. Keine Grund, die Reise abzubrechen. Der Bundeskanzler wird von Spezialeinheiten des Bundeskriminalamtes begleitet und bewacht.

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Italiens Ministerpräsident Mario Draghi (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz treffen sich im Abteil von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Nachtzug auf dem Weg nach Kiew

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz treffen sich im Abteil von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Nachtzug auf dem Weg nach Kiew

Foto: Angelika Hellemann

Endlich! Bundeskanzler Olaf Scholz ist in der Ukraine. Für BILD berichten Chefreporterin Angelika Hellemann und BILD-Vize Paul Ronzheimer direkt von vor Ort. Nirgendwo erfahren Sie mehr Infos und Hintergründe als bei BILD Live.

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Scholz betonte im Zug, es sei „wichtig“, dass die Regierungschefs der drei großen EU-Nationen nach Kiew fahren und ihre Unterstützung für die Ukraine zeigen.

Der Bundeskanzler versicherte: „Wir wollen aber nicht nur Solidarität demonstrieren, sondern auch versichern, dass die Hilfe, die wir organisieren – finanziell, humanitär, aber auch, wenn es um Waffen geht – fortgesetzt werden wird. Und dass wir sie so lange fortsetzen werden, wie es nötig ist für den Unabhängigkeitskampf der Ukraine.“

Es ist eine Reise unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen. Zum ersten Mal reist der Kanzler in ein Kriegsgebiet. Als er am Mittwochabend um kurz nach halb sieben in Berlin mit dem Regierungs-Airbus abhebt, sind an Bord nicht nur seine üblichen Personenschützer vom BKA.

Auch die Sicherungsgruppe „Ausland Spezialeinsätze“ des Bundeskriminalamtes (BKA) sitzt in der Maschine. Scholz, in Jeans und einem schwarzen Kurzarmhemd, kommt kurz nach hinten an Bord, begrüßt die Spezialkräfte mit seinem typischen Scholz-Grinsen und sagt: „Gut, dass ihr dabei seid.“ Im Fall des Falles wären es diese gut ausgebildeten Männer, die den Kanzler retten würden. Scholz, der von sich selber sagt, „ich bin kein ängstlicher Typ“, lässt sich zumindest nach außen nichts anmerken.

Um kurz vor 20 Uhr landet der Regierungsflieger auf dem polnischen Flughafen Rzeszow. Hier, an der Nato-Ostflanke, spürt man, dass Krieg in Europa herrscht. Als die deutsche Delegation per Auto in Richtung Ukraine-Grenze fährt, passiert sie eine Batterie an scharf gestellten Patriot-Flugabwehrbatterien. Nach einer Stunde Fahrt kommt Scholz am Bahnhof im polnischen Nirgendwo an. Spontan wurde der Abfahrtsort noch einmal geändert.

Die französische Delegation kommt zum Abfahrtsort

Die französische Delegation kommt zum Abfahrtsort

Foto: Angelika Hellemann

Die Sicherheitskräfte laufen vor, bringen ihr Equipment, darunter natürlich auch Waffen, in den Zug. Danach steigt Scholz aus seiner Limousine, läuft die letzten 200 Meter zu Fuß bis zum Zug.

Der Salonwagen des Kanzlers ist ganz am Ende. In der Mitte ist Emmanuel Macron untergebracht. Er trifft mehr als eine halbe Stunde später mit seinem Tross ein. Für die 11-stündige Zugfahrt hat der französische Präsident große Styroporkisten mit Essen und Getränkekartons dabei. Dagegen wirkt der Proviant der Kanzlerdelegation mit einer Kiste Schokoriegeln fast minimalistisch. Als letzter, mit fast einer Stunde Verspätung, trifft Mario Draghi ein. Sein Salonwagen ist ganz vorne an der Zugspitze.

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Quelle: BILD

Passkontrolle mit Kalaschnikows

Um 23:48 Uhr rollen die Waggons los. Eine Minute nach Mitternacht hält der Nachtzug an der ukrainischen Grenze. Passkontrolle! Ukrainische Soldaten, mit Kalaschnikows bewaffnet, steigen dazu.

Die Reise geschieht zu einem heiklen Zeitpunkt. Der Krieg im Donbass in der Ostukraine eskaliert, die ukrainische Armee braucht dringend neue Waffen aus dem Westen, um ihr Land gegen die russischen Bomben und Raketen verteidigen zu können. Doch es gilt als ziemlich unwahrscheinlich, dass die drei Europäer dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky neue Waffenversprechen mitbringen.

Worum sie in Kiew aber nicht drum herumkommen: Ob sie den Antrag auf EU-Beitritt der Ukraine unterstützen und Kiew den offiziellen Kandidatenstatus verleihen wollen.

Am Freitag wird die EU-Kommission verkünden, was sie den Staats- und Regierungschefs empfiehlt. Nachdem Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (64) am Wochenende erst wieder Kiew besucht hatte, gibt es kaum noch Zweifel, dass ihre Empfehlung positiv ausfällt.

Problem für Kiew: Das Ja für den Titel Beitrittskandidat muss in der EU einstimmig ausfallen. Und unter den 27 Staats- und Regierungschefs gibt es sehr unterschiedliche Positionen. Die Osteuropäer und die Balten sind unbedingt dafür, aus Portugal, Spanien, den Niederlanden und Dänemark kommt aktuell ein Kopfschütteln.

Sechs-Augen-Gespräch für 80 Minuten

Scholz, Macron und Draghi haben also viel zu besprechen, wie sie sich in der Beitrittsfrage positionieren werden. Um 0:54 Uhr treffen sich die Drei in Macrons Salonwagen. Der ist ausgestattet mit Samtstühlen, Vorhängen und viel dunklem Holz, versprüht ein wenig den Charme eines Orient-Expresses. Unter sechs Augen reden sie. Eine Stunde und 20 Minuten lang. Es ist 2:17 Uhr, als Scholz den Zuggang entlang läuft zu seinem Abteil. Ein paar Stunden schlafen, während der Zug über die Gleise rattert, immer wieder abbremst.

Weil der Luftraum der Ukraine für Flugzeuge gesperrt ist, können ausländische Politikern nur per Zug nach Kiew reisen. Auf dem Gang hängt ein Plakat mit der Überschrift „Eisenbahn Diplomatie“, darunter viele Bilder von Politikern, die in einem dieser ukrainischen Nachtzüge im Schutz der Dunkelheit gereist sind.

Erinnerungsfotos der Polit-Prominenz, die bereits mit dem Nachtzug nach Kiew gereist war

Erinnerungsfotos der Polit-Prominenz, die bereits mit dem Nachtzug nach Kiew gereist war

Foto: Angelika Hellemann

Darauf unter anderem zu sehen: Ursula von der Leyen. Kanadas Premier Justin Trudeau, Großbritanniens Boris Johnsons und ganz unten rechts in der Ecke CDU-Chef Friedrich Merz. Bald könnte das Foto von Scholz, Macron und Draghi dazu kommen.

In Kiew trifft ein vierter EU-Politiker auf die drei Westeuropäer: Rumäniens Präsident Klaus Johannis (63). Irgendwann bei den wochenlangen Reisevorbereitungen fiel dem Trio auf, dass es als Zeichen für die Einheit Europas wohl eine ganz gute Idee sein könnte, auch einen Osteuropäer mitzunehmen. Macron soll dann Johannis, zu dem er enge Drähte hat, vorgeschlagen haben. Platz im Zug war für ihn dann aber nicht mehr. Johannis reiste selbstständig aus Bukarest nach Kiew.

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