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Nahost-Konflikt
Die Hisbollah - Israels Feind im Libanon

Droht neben den Kämpfen im Gazastreifen ein weiterer regionaler Krieg in Nahost? Die Besorgnis wächst, weil sich die Kämpfe zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon verschärfen. Wer ist die Hisbollah und welche Gefahr stellt sie dar?

21.06.2024
    Hassan Nasrallah, der Hisbollah-Chef, ist bei einer TV-Ansprache auf einem großen Bildschirm vor Unterstützern in Beirut zu sehen.
    Hisbollah-Chef Nasrallah droht in einer TV-Ansprache Israel und warnt das EU-Land Zypern davor, Israel zu unterstützen. (IMAGO / ZUMA Press Wire / Marwan Naamani)
    An der Grenze zwischen Israel und dem Libanon wächst die Gefahr einer militärischen Eskalation. Schon seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 kommt es dort regelmäßig zu gewaltsamen Zwischenfällen.
    Die vom Iran unterstützte Hisbollah feuert immer wieder Katjuscha-Raketen auf israelisches Gebiet ab. Israel greift Stützpunkte und Kämpfer der Miliz aus der Luft an.

    Inhaltsverzeichnis

    Wie real ist die Gefahr eines Krieges?

    Israel bereitet sich auf eine mögliche Eskalation der Kämpfe mit der Hisbollah vor. Die Armeeführung hat einen Einsatzplan für eine mögliche Offensive im Libanon beschlossen. Wegen der anhaltenden Kämpfe ist der Grenzstreifen schon seit längerem eine Sperrzone. Tausende israelische Zivilisten wurden evakuiert. Der israelische Außenminister Israel Katz drohte der Hisbollah mit ihrer Zerstörung in einem "umfassenden Krieg". Der ehemalige Leiter der israelischen Abteilung für Terrorismusbekämpfung, Nitzan Nuriel, prognostizierte: "Innerhalb weniger Wochen werden wir eine israelische Operation im Libanon sehen."
    Schon in den vergangenen Monaten hatte es von israelischer Seite Luftschläge und Drohnenangriffe auf Stellungen und Kämpfer der radikalislamischen Miliz gegeben. Zuletzt wurde dabei ein Hisbollah-Kämpfer nahe des Ortes Deir Kifa im Südlibanon getötet.
    Als Reaktion feuerte die Hisbollah erneut Dutzende Raketen auf israelische Ziele ab. In einer Fernsehansprache hatte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah Israel gedroht: "Der Feind weiß genau, dass wir uns auf das Schlimmste vorbereitet haben (...) und dass kein Ort (...) von unseren Raketen verschont bleiben wird."

    Hisbollah droht EU-Land Zypern

    Nasrallah warnte außerdem das EU-Land Zypern davor, Israels Armee im Kriegsfall seine Flughäfen und Stützpunkte nutzen zu lassen. Die zyprische Regierung erklärte daraufhin, die Drohungen entbehrten "jeglicher Grundlage". Zypern sei in keinen Konflikt verwickelt und "wird auch nicht in einen solchen verwickelt werden".
    Direkt nach der Terrorattacke vom 7. Oktober 2023 hatte sich die von der EU als Terrororganisation eingestufte Hisbollah-Miliz als Verbündete der Hamas positioniert. Man werde helfen, und zwar mit allem, was man habe, auch mit Gewehren und Raketen, sagte ein Sprecher. 
    Im Verlauf der anhaltenden Angriffe hatten Analysten jedoch auch eine gewisse Zurückhaltung beobachtet. Heiko Wimmen von der International Crisis Group in Beirut wertete das Anfang des Jahrs als Zeichen, dass die Hisbollah nicht versessen darauf sei, in diesen Konflikt hineingezogen zu werden. Die Gefahr einer Eskalation ist bei dem Kleinkrieg an der Grenze trotzdem gegeben.

    Wer ist die Hisbollah und welche Ziele hat sie?

    Die schiitische Hisbollah, die „Partei Gottes“, die ihren Hauptsitz im Libanon hat, besteht aus einer politischen Partei und einer bewaffneten Miliz. Sie sieht sich aber auch als eine soziale Wohltätigkeitsorganisation. Die militante Hisbollah leitet ihre Politik und auch ihr Selbstverständnis aus islamistischen Positionen ab, dem Wunsch nach Stärkung der Schiiten weltweit, einer anti-westlichen Haltung und auch libanesischer Realpolitik. Auch der bewaffnete Kampf gegen Israel steht im Mittelpunkt der Organisation.
    Offiziell gegründet wurde sie 1982 inmitten des libanesischen Bürgerkriegs, der schon seit 1975 tobte. Auch die damals im Libanon ansässige PLO, die palästinensische Befreiungsorganisation, spielte eine Rolle in dem Bürgerkrieg. 1982 führten israelische Streitkräfte daher einen Libanon-Feldzug mit dem Ziel, die bewaffneten palästinensischen Strukturen zu zerschlagen.
    Im multikonfessionellen Libanon mit seinem großen Anteil an Sunniten und Christen waren die Schiiten damals nicht nur marginalisiert. Sie waren auch vielfach verarmt und lebten oft im Süden des Landes an der Grenze zu Israel. Wenn es also zu Auseinandersetzungen mit dem Nachbarland Israel kam, litten sie darunter stärker als andere. Bis die Hisbollah kam. "Es waren die iranischen Revolutionsgarden, die 1982 die Hisbollah gründeten, damit sie den Kampf gegen die israelische Besetzung von Teilen des Südlibanon aufnehmen konnte", so Nahost-Experte Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Er bezeichnet die Hisbollah daher als „eine Erfolgsgeschichte“, besonders für den Iran. Denn die Islamische Republik konnte so ihren Einfluss in der arabischen Welt ausbauen.
    Mit ihrer Professionalität und Guerillataktik hatte die Hisbollah Erfolg. Durch die Schutzmacht Iran gelang es der Hisbollah, von einer Art Schutzgruppe der Gebeutelten zur dominierenden Kraft im Libanon aufzusteigen. Als die libanesischen Konfliktparteien 1990 den Bürgerkrieg beendeten und abrüsteten, behielt sie als einzige Gruppierung ihre Miliz. 1992 zog sie ins libanesische Parlament ein. Melani Cammett, Professorin und Nahostforscherin an der Harvard-Universität in den USA, sagte der ARD zum 40. Jahrestag der Hisbollah: „Sie genoss in ihrer Rolle als Widerstandsorganisation gegen Israel lange Zeit weite Popularität im gesamten Libanon, weil sie als beste Verteidigung gegen Israel gesehen wurde, das Teile des Libanon bis 2000 besetzt hielt.“
    An der Spitze der Hisbollah steht seither Hassan Nasrallah, der 1992 das Amt des Generalsekretärs übernahm, nachdem Israel den Mitbegründer und früheren Anführer der Gruppe, Abbas Al-Musawi, getötet hatte.
    Dass Israel sich schließlich im Jahr 2000 aus dem Libanon zurückzog, wird von der Hisbollah immer noch als ultimativer Sieg gesehen. Ihr Staatssekretär Hassan Nasrallah feiert diesen Sieg bis heute in großen Reden: „Im Jahr 2000 endete die Legende von Großisrael. Man sagte uns immer, dass die israelische Armee unbesiegbar sei. Aber die Erfahrung im Libanon zeigt, dass diese Armee zu bezwingen, zu besiegen und zu demütigen ist.“
    Seit 2005 sitzt die „Partei Gottes“ durchgehend Teil in der Regierung. Vielen gilt sie auch aufgrund ihrer Stärke als „Staat im Staat“. Im Laufe der Zeit zeigte sich der bewaffnete Flügel der Hisbollah aufgrund seiner Angriffe auf andere Gruppen im Libanon sowie Terroranschläge auf ausländische Ziele immer mehr als gewaltsam vorgehende, extremistische Organisation. Mehrere Länder, darunter die Vereinigten Staaten im Jahr 1997 und Deutschland im Jahr 2020, stuften die Hisbollah daher als terroristische Organisation ein.

    Wer unterstützt die Hisbollah?

    Die Hisbollah gilt als mächtiger Arm des Iran im Libanon. Seine Anhänger gelten als treu ergeben. Serge Dagher ist Generalsekretär der christlich dominierten Kataeb-Partei. Bis zum Aufstieg der Hisbollah war sie im Libanon die mächtigste politische Kraft. Dass die militanten Schiiten in der Übermacht sind, bestreitet er nicht. Aber damit will er sich nicht abfinden. „Ja, Schiiten stellen etwa 30 Prozent der Libanesen", sagt er. "Wir akzeptieren, dass die Hisbollah ihre Gefolgschaft hat, auch ihre politische Präsenz in der Regierung und im Parlament. Aber die Hisbollah ist heute riesengroß geworden. Und warum? Wegen ihrer kompromisslosen Allianz und ihrer totalen Unterordnung gegenüber dem Iran."
    Von dort bekomme sie finanzielle Unterstützung, sagt er. „Und sie versucht, ihre gesamte schiitische Religionsgemeinschaft hinter sich zu versammeln – und das gelingt ihr sehr gut.“
    Aus ihrem Bündnis zum Iran machte die Hisbollah nie ein Geheimnis. Hisbollah-Chef Nasrallah sagte einmal in einer Rede: „Wir müssen unseren Dank an die islamische Republik im Iran richten. Sie gaben uns ihre Expertise und Erfahrungen. Sie brachten uns bei, was ein Kampfgeist ausmacht. Sie brachten für uns Opfer und Märtyrer und sie tun es auch bis heute noch.“
    Mehr und mehr entwickelte sich die Hisbollah von einem lokalen Akteur im Libanon zu einem regionalen Strippenzieher. Die vielleicht umstrittenste Entscheidung war die Entsendung Tausender Kämpfer seit 2013 ins Nachbarland Syrien, um Machthaber Baschar al-Assad zu unterstützen. Die Hisbollah hat dadurch wesentlich dazu beigetragen, die Diktatur unter Assad wieder zu stärken. Das Engagement der Hisbollah in Syrien zementiert daher Beobachtern zufolge das Image der Hisbollah als sektiererische schiitische Kraft mit dem Ziel, den Einfluss des Iran in der Region zu vergrößern. Manche sprechen davon, dass der Iran eine Achse Teheran – Damaskus – Beirut sicherstellen will. Die Hisbollah mischt allerdings auch im Irak und im Jemen mit und unterstützt die Terrororganisation Hamas im Gaza-Streifen.
    Selbstmordattentate, Anschläge auf die sogenannten „Feinde des Iran“, Operationen gegen Israel – die Hisbollah wurde für Teheran zu einem wichtigen Instrument, das dem iranischen Regime vor allem in den letzten 15 Jahren zu einer Reihe – aus ihrer Sicht – außenpolitischer Erfolge verhalf. Heute betrachtet Israel die Hisbollah als größte unmittelbare Bedrohung.

    Welchen Rückhalt hat die Hisbollah im Libanon?

    Die militant-islamische Hisbollah ist eine starke politische Kraft im Libanon. Die libanesische Verfassung, so Ayman Mhanna, Direktor der Samir-Kassir-Stiftung für Meinungs- und Pressefreiheit, regelt die Machtverteilung zwischen den unterschiedlichen Konfessionen Christen, Muslimen und Schiiten penibel. De facto sei der Proporz aber schon längst zugunsten der schiitischen Hisbollah außer Kraft gesetzt. "Keine wichtige Entscheidung, weder die Wahl eines Präsidenten, die Vertrauensfrage im Parlament, noch die Auswahl der Minister hat Bestand, ohne dass die Hisbollah sie vorher abgesegnet hat. Weil die Entscheidungsträger nicht das Risiko eingehen wollen, die Hisbollah gegen sich aufzubringen", sagt Mhanna.
    Ein ausgeprägtes Wohlfahrtssystem mit eigenen Krankenhäusern und Schulen sichert ihr die Unterstützung vieler, meist schiitischer, Libanesen - vor allem in der jetzigen Wirtschaftskrise des Libanon. Schätzungen zufolge stellen Schiiten im Libanon rund ein Drittel der Bevölkerung dar. Dazu kommt: „Die Hisbollah verfügt über ihre eigenen Fernsehsender, mit denen sie die Menschen erzieht oder ihnen eine Gehirnwäsche verpasst. Sie machen aus normalen Menschen Kämpfer, die bereit sind, loszuziehen, um in Syrien zu sterben oder im Irak oder im Jemen oder im Iran“, sagt Serge Dagher von der Kataeb-Partei.
    Die Hisbollah hat daher auch viele Kritiker und Gegner. Nicht zuletzt, weil sie als Teil der Regierung als mitschuldig gilt, an jahrzehntelanger Korruption und Vetternwirtschaft, die den Libanon ins Chaos gestürzt hat.

    Wie groß ist die militärische Stärke der Hisbollah?

    Im Laufe der Jahre hat die Hisbollah ihre militärische Macht ausgebaut. „Ihre Daseinsberechtigung bezieht sie vor allem aus ihrem Militär. Ich würde sie nicht mal mehr paramilitärisch nennen, weil ihre Kampfkraft weit über die vieler regulärer Armeen hinausgeht - im Libanon und weit über den Libanon hinaus“, sagt Ayman Mhanna von der Samir-Kassir-Stiftung. Das Council on Foreign Relations in den USA schätzte im Jahr 2020, dass die Miliz bis zu 20.000 aktive Kämpfer und etwa 20.000 Reservisten hat und über ein Arsenal an Kleinwaffen, Panzern, Drohnen und verschiedenen Langstreckenraketen verfügt. Im Jahr 2021 gab Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah an, die Gruppe verfüge über 100.000 Kämpfer, berichtete Reuters. Analyst und Brigadegeneral a.D. Assaf Orion vom israelischen Institut für nationale Sicherheitsstudien sagt, die Hisbollah besitze "ein größeres Arsenal an Artillerie als die meisten Nationen".
    Die Hisbollah rühmt sich ihrer Waffen und behauptet, sie könne alle Teile Israels treffen. In einem Bericht des Zentrums für strategische und internationale Studien aus dem Jahr 2018 wird die Hisbollah als "der weltweit am schwersten bewaffnete nicht-staatliche Akteur" bezeichnet.
    Der Iran liefert der Hisbollah Waffen und Geld. Nach Schätzungen der Vereinigten Staaten hat der Iran der Hisbollah in den letzten Jahren jährlich Hunderte von Millionen Dollar zur Verfügung gestellt.