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Julius Meier-Graefe war auch ein Marketing-Experte
In Berlin hatte der Kunstkritiker und Schriftsteller Julius Meier-Graefe den Impressionismus zum Trend gemacht. Dann ging er nach Paris auf Kundenfang. Und machte mit einer Werbeaktion auf sich aufmerksam, die heute nicht nur Seltenheitswert hat.
Ohne Julius Meier-Graefe (1867-1935) hätte der französische Impressionismus das deutsche Publikum wohl nicht dermaßen im Sturm erobert. Erst die leidenschaftliche Fürsprache des Berliner Bohemiens, Mitgründers der Zeitschrift „Pan“, Kunstkritikers und Schriftstellers verankerte die „neue Schule des Sehens“ auch im Auge der Betrachter diesseits des Rheins. Als in der Berliner Nationalgalerie 1896 erstmals die Impressionisten ausgestellt wurden, hatte Meier-Graefe Deutschland aber schon gen Paris verlassen.
Der Jugendstil in Frankreich und Belgien lockte – und Meier-Graefe konnte den Pariser Salon de l’Art Nouveau übernehmen, wo diese „neue Kunst“ ausgestellt wurde, die auch das Handwerk wieder umarmte. Zur Unterstützung gründete er wieder eine Zeitschrift, „L’Art Décoratif“. Und 1899 kündigte er die Eröffnung seiner eigenen Galerie an: La Maison Moderne.
Als Werbung für sein Unternehmen publizierte Meier-Graefe eine Mappe mit 20 Druckgrafiken: „Germinal“, benannt nach dem ersten Frühlingsmonat im französischen Revolutionskalender. Das Frontispiz hatte der belgische Maler Georges Lemmen gestaltet. In der Mappe finden sich unter anderem Farblithografien von Frank Brangwyn (die duftige Rückenansicht einer Flötenspielerin), Maurice Denis (der zarte Akt einer Nymphe), Theo van Rysselberghe (ein comicartiges Seestück) und Jan Toorop (das symbolistische Bild „Der Sämann“).
Peter Behrens steuerte den plakativen Farbholzschnitt „Schmetterlinge auf Seerosen“ bei, Max Liebermann den Steindruck „Lesendes Mädchen“. Des Weiteren gehören Holzschnitte von Georg Minne und Felix Vallotton zur Mappe, als auch Radierungen von Paul Gauguin und Ignacio Zuloaga.
In 100 Exemplaren wurde das Konvolut der Druckgrafiken in unterschiedlichen Größen aufgelegt. Julius Meier-Graefe wollte die Werke der angesagtesten Künstler der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einem breiteren Publikum zugänglich machen und natürlich auch Kunden an seine Galerie binden.
Bei Bassenge in Berlin wird nun die vollständige Mappe zur Versteigerung angeboten, was das Los 5516 zu einer äußersten Rarität macht. Denn in der Regel haben sich die einzelnen Blätter mit der Zeit zerstreut. Die allermeisten wurden gerahmt, verschenkt, vererbt, verkauft, sie kamen (und kommen) jedenfalls immer mal wieder als Einzelwerke in den Handel. Komplett erhalten ist laut den Recherchen des Auktionshauses nur eine weitere Mappe geblieben, sie befindet sich in der Nationalbibliothek von Paris.
Eingeliefert wurde die Mappe bei Bassenge aus dem Besitz der Familie des Bremer Bankiers und Sammlers Johann Georg Wolde. Sie hat Meier-Graefes „Germinal“ seit gut hundert Jahren (geschützt vom originalen Seidenpapier) aufbewahrt. Die in marmoriertes Papier eingeschlagene Mappe kommt am 29. Mai 2024 bei einem Schätzpreis von 60.000 Euro unter den Hammer.