Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Kremlchef Wladimir Putin seinen Verteidigungsminister und engen Vertrauten Sergej Schoigu entlassen. Schoigus Nachfolger soll der bisherige Vize-Regierungschef Andrej Beloussow werden, wie die russische Staatsagentur Tass am Sonntag unter Berufung auf den Föderationsrat meldete.
Dort waren Putins Vorschläge für die Zusammensetzung der neuen russischen Regierung eingegangen. Die Bildung einer neuen Regierung steht an, weil die alte nach der Präsidentenwahl Mitte März verfassungsgemäß zurückgetreten ist. Bei der von Betrugs- und Manipulationsvorwürfen überschatteten Abstimmung hatte sich der 71 Jahre alte Kremlchef am Ende zum haushohen Sieger ausrufen lassen; vor einigen Tagen ließ er sich dann offiziell für seine mittlerweile fünfte Amtszeit vereidigen. In der neuen Regierung gibt es einige Personalwechsel – keiner davon ist aber auch nur annähernd so wichtig wie die Auswechslung Schoigus.
Vereinzelt war allerdings über eine mögliche Entlassung des 68 Jahre alten Schoigus, der seit 2012 Verteidigungsminister war, spekuliert worden. Vor wenigen Wochen nämlich war einer von Schoigus Stellvertretern, Timur Iwanow, wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet worden. Beobachter hatte das als Anzeichen von Machtkämpfen innerhalb des russischen Militär- und Sicherheitsapparats gewertet.
Putin verbindet mit Schoigu eine enge Freundschaft, die beiden haben immer wieder auch zusammen demonstrativ Freizeit und Urlaub miteinander verbracht. Putin hatte an dem Minister trotz aller Niederlagen und Pannen besonders zu Beginn des Krieges Anfang 2022 festgehalten. Immer wieder hatte es nach den ersten großen ukrainischen Erfolgen auf dem Schlachtfeld Spekulationen um eine Ablösung gegeben, doch Putin gilt seinen Freunden als treu.
Schoigu soll nun Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates werden, wie aus einem vom Kreml veröffentlichten Dekret hervorgeht. Dies gilt als gesichtswahrende Lösung für den langjährigen Weggefährten. Den Posten hat bislang Nikolai Patruschew bekleidet. Patruschews neue Verwendung werde in Kürze bekannt gegeben, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Auch Patruschew gilt seit Langem als Teil von Putins engstem Kreis – und dort als Hardliner. Wie Putin kommt auch er aus dem sowjetischen Auslandsgeheimdienst KGB.
Schoigus 65 Jahre alter Nachfolger Beloussow derweil war lange Jahre Putins Berater in Wirtschaftsfragen, bekleidete in den vergangenen Jahren verschiedene Posten in der Regierung. Unter anderem war er im Jahr 2020 für mehrere Wochen kommissarischer Regierungschef, als Michail Mischustin mit einer Corona-Infektion ausgefallen war.
„Heute gewinnt auf dem Schlachtfeld derjenige, der offener für Innovationen und deren Umsetzung ist“, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow Putins Entscheidung für einen Zivilisten an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Beloussow sei nicht nur Zivilbeamter, sondern habe auch viele Jahre erfolgreich in der Politik gearbeitet. Er sei „zweifellos der beste Kandidat“, den Komplex der russischen Rüstungsindustrie auszubauen und neue Technologien einzuführen, wurde der Duma-Abgeordnete Sergej Gawrilow von Tass zitiert.
Vor allem ein „Minister für Kriegswirtschaft“?
Auch russische unabhängige Experten sahen die jetzige Entscheidung des Kremlchefs nicht so sehr in einer Unzufriedenheit mit der Militärführung, sondern als Schritt zu einer stärkeren Kontrolle der Ausgaben in diesem Krieg. „In seiner Denkweise ist das logisch, weil sich der wirtschaftliche Block in dem Krieg als effektiver erwiesen hat als der Sicherheits- und Militärapparat“, sagte der Experte Alexander Baunow. Putins Strategie sei es folglich, Druck auf die Ukraine nicht durch die Mobilmachung neuer Soldaten auszuüben, sondern durch die Kapazitäten des Rüstungskomplexes.
In sozialen Medien ordneten auch deutsche Beobachter die Personalie entsprechend ein. Sicherheitsexperte Nico Lange etwa, Senior Fellow bei der Münchner Sicherheitskonferenz, geht davon aus, dass Beloussow innerhalb seines Amtes eine Art „Minister für Kriegswirtschaft“ werden solle.
Außenminister Sergej Lawrow hingegen soll auch nach 20 Jahren im Amt seinen Posten behalten. Der entsprechende Vorschlag von Kremlchef Wladimir Putin sei bereits beim Oberhaus des Parlaments eingegangen, teilte dieses auf Telegram mit. Der 74-Jährige ist bereits seit 2004 im Amt und damit einer der dienstältesten Außenminister weltweit. Der enge Vertraute Putins gilt als unentbehrlich für Russland in Krisenzeiten.