Fast zwei Drittel der Ostdeutschen halten politisches Engagement für sinnlos
Viele Ostdeutsche sehnten sich nicht nach mehr Demokratie, sondern nach „einer autoritären Staatlichkeit“: Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Leipzig. Mehr als jeder Vierte wünsche sich gar „einen Führer“, der „mit starker Hand“ regiere.
Die rechte AfD könnte einer neuen Studie zufolge in Ostdeutschland noch weiter wachsen. Die Partei habe bereits erfolgreich das extrem rechte Wählerpotenzial an sich gebunden, habe aber darüber hinaus ein großes Reservoir bei Nichtwählern mit ähnlichen Ansichten, heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten Studie der Universität Leipzig.
Die repräsentative Umfrage unter gut 3500 Menschen in Ostdeutschland belegt nach Darstellung der Autoren hohe Zustimmungswerte zu rechtsextremen und migrationskritischen Aussagen und Chauvinismus. Solche Einstellungen seien seit 30 Jahren im Wesentlichen stabil, heißt es in der Studie.
Fast zwei Drittel der Ostdeutschen (64,6, Prozent) halten es demnach für sinnlos, sich politisch zu engagieren. Mehr als drei Viertel (77,4 Prozent) gehen davon aus, ohnehin keinen Einfluss darauf zu haben, „was die Regierung tut“.
Beispielsweise stimmten 26,3 Prozent der Befragten der Aussage voll zu, Deutschland brauche jetzt eine „starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. 14 Prozent fanden die Aussage richtig: „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“.
„Herausforderung für die Demokratie“
41,3 Prozent stellten sich voll und ganz hinter die Aussage: „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ und 36,6 Prozent hinter den Satz: „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.“ Hinzu kamen jeweils weitere Befragte, die diese Aussagen zum Teil unterstützten – die Autoren sprechen von einer „latenten Zustimmung“.
Ein „geschlossen rechtsextremistisches Weltbild“ sehen die Autoren bei 7,1 Prozent der Befragten. Der Wert liegt etwas unter vergleichbaren Studien für die Jahre 2002 bis 2010, als 8,0 Prozent ermittelt wurden, und die Jahre 2012 bis 2020 mit 9,7 Prozent. Dennoch sei dies „ein sehr hoher Prozentsatz, mit dem eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die Demokratie verbunden ist“, heißt es in der Studie.
Die Unterstützung für die Idee der Demokratie und die verfassungsmäßige Ordnung ist der Studie zufolge im Prinzip hoch, allerdings herrscht große Unzufriedenheit mit der Demokratie im Alltag. 77,4 Prozent der Befragten sagen: „Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut.“ Und 64,6 Prozent stimmen der Aussage zu: „Ich halte es für sinnlos, mich politisch zu engagieren.“
Studienleiter Elmar Brähler von Else-Frenkel-Brunswik-Institut betonte, „statt pluralistischer Interessenvielfalt wird eine völkische Gemeinschaft gewünscht“. Studienleiter Oliver Decker erklärte: „Unsere Untersuchung zeigt, dass sich derzeit viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht mehr demokratische Teilhabe und Sicherung der demokratischen Grundrechte wünschen, sondern die scheinbare Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit.“
Befragt wurden im vergangenen Jahr 3.546 Menschen in den fünf ostdeutschen Ländern und im Ostteil Berlins. Durch die vergleichsweise hohe Anzahl der Befragten seien Vergleiche zwischen den Bundesländern und Bevölkerungsgruppen möglich. Dies wäre bei kleineren Stichproben nicht möglich, hieß es.
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