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Dienstag, 21. Mai 2024

Dopingverdacht gegen China
Misstrauen in WADA wächst

Der Fall der positiv getesteten chinesischen Schwimmer und der Umgang offizieller Stellen damit wirft einmal mehr die Frage auf: Wie kontaminiert ist die oberste Etage im internationalen Dopingkontrollwesen? Eine externe Untersuchung soll aufklären.

Von Jürgen Kalwa | 27.04.2024
Die chinesische Schwimmerin Zhang Yufei im Becken bei der Schwimm-WM 2023.
Zhang Yufei, Olympiasiegerin über 200 Meter Schmetterling, steht unter Dopingverdacht. (IMAGO / Xinhua / IMAGO / Attila Volgyi)
Die Enthüllungen über den Dopingfall, in den 23 chinesische Schwimmer verwickelt sind, machten vor einer Woche rasch weltweit die Runde. Nicht nur dort, wo die Sportart einen besonderen Stellenwert hat, wie in Australien. Selbst in Indien sorgte das Thema für Aufsehen. Was die ARD-Dopingreaktion und die New York Times gleichzeitig publiziert hatten, sei “schockierend”.  
Athleten wie der britische Schwimmer James Guy reagierten fassungslos. Er hatte vor Jahren Rennen gegen den überführten Doper Sun Yang verloren, der das gleiche leistungsfördernde Herzmittel namens Trimetazidin genommen hatte. "So etwas nervt. Aber noch mehr bin ich frustriert über die WADA. Der vertrauen wir, dass sie ihre Arbeit macht."

WADA spricht von "Umweltkontamination"

Die Welt-Anti-Doping-Agentur, die seit 25 Jahren immer wieder zeigt, dass sie ihre Arbeit nur dann gezielt vorantreibt, wenn Whistleblower und hartnäckige Journalisten für öffentlichen Druck sorgen, reagierte ungewohnt schnell. Sie hielt am Montag eine Videopressekonferenz ab, in der der polnische WADA-Präsident Witold Banka standfest behauptete: von Doping könne gar keine Rede sein. Dies sei ein Fall von “Umweltkontamination”. Die Athleten seien unschuldig und keine Betrüger.
Weshalb man sich bei der Organisation trotzdem nicht an die selbstgesetzten Verhaltensmaßregeln hielt und die chinesische Anti-Dopingagentur nicht mit einem Gang zum Obersten Sportgerichtshof CAS in Lausanne in Zugzwang brachte, klang aus dem Mund des Hausjuristen Ross Wenzel nach einem Zirkelschluss. Die Erklärung wirkt nur so lange nachvollziehbar, wie seine Prämissen nicht angefochten werden.

Sportrechtler Howard: WADA hat eigene Regeln nicht eingehalten

Der renommierte amerikanische Sportrechtler Howard Jacobs, der schon häufig Athleten verteidigt hat und die Doping-Statuten bestens kennt, mag nicht über die Hintergründe spekulieren. Aber er betonte gegenüber dem Deutschlandfunk, dass die Organisation ihre eigenen Regeln nicht eingehalten hatte. Was Verdacht erregt.  
“Wir wissen, dass es keine Anhörung gegeben hat. Die Indizien wurden von keinem unabhängigem Gericht abgewogen und entschieden, was wahrscheinlich wahr ist und was nicht. In Fällen, in denen wir Schiedsverfahren anstrengen und beweisen mussten, dass Fleischkontamination die Ursache war, wurde unabhängig von der Frage nach einer Strafe zunächst immer festgestellt, was Artikel 2.1 des Welt-Anti-Doping-Codes besagt: 'Vorhandensein einer verbotenen Substanz ist ein Verstoß.' Der Sportler haftet für das, was sich in seinem Körper befindet. Außer er kann beweisen, dass die Substanz ohne sein Verschulden in seinen Körper gelangt ist. Der WADA-Code besagt außerdem, dass die Ergebnisse eines Wettkampfs annulliert werden müssen, wenn die fraglichen Urinproben dort genommen wurden. Da gibt es keinen Ermessensspielraum. Und so etwas muss öffentlich bekannt gegeben werden."     
Ähnlich hatte sich in dieser Woche bereits Travis Tygart im amerikanischen Fernsehen geäußert. Der Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada, der einst Lance Armstrong zur Strecke gebracht hatte, ging so weit und beschuldigte die chinesische Anti-Doping-Agentur Chinada der Vertuschung. “WADA hat da einfach mitgemacht.”

Schweizer Eric Cottier mit Untersuchung beauftragt

Rahul Gupta, der oberste Vertreter der Abteilung der amerikanischen Regierung, die sich um nationale Drogen- und Arzneipolitik kümmert, hatte bereits am Montag eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls verlangt. Und er hatte signalisiert, dass er das Thema auf einer internationalen Sportminister-Konferenz zur Sprache bringen werde, die vor wenigen Tagen in Washington stattfand.
Ehe es dazu kommen konnte, gab die WADA bekannt, dass man den Schweizer Eric Cottier mit einer Untersuchung beauftragt hatte. Der Schritt, den ehemaligen Generalstaatsanwalt des Kantons Waadt einzuschalten, dürfte erst einmal den öffentlichen Druck aus dem Kessel nehmen. Dass die Resultate noch vor Beginn der Spiele in Paris feststehen werden, ist unwahrscheinlich. Dort werden voraussichtlich mehrere der 2021 positiv getesteten Schwimmer an den Start gehen.