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Artikel 38 / 124

FRAUEN La Miss und die Legionäre

Sie ist die einzige Frau, die in der Fremdenlegion gedient hat, sie kämpfte im Wüstenkrieg gegen Rommel, war die Geliebte eines Generals. Jahrelang hat sie diskret geschwiegen, jetzt erzählt die Engländerin Susan Travers ihre Geschichte. Von
aus DER SPIEGEL 34/2001

Barbara Supp

Sie hat gewartet, bis alle tot sind, der Geliebte, die Frau des Geliebten und ihr eigener Ehemann auch. Jetzt gibt es nur noch sie, die von dieser verrückten Zeit erzählen kann. Sie, die sich in diesen Tagen kaum rühren kann, es geht ihr nicht gut, im Moment bleibt ihr nur das Denken. Und das Reden, wenn sie mag. »Sie wollen mich sehen?«, fragt sie ihre Besucher. »Das, was noch von mir übrig ist?«

Sie: Das ist Adjutantin Susan Travers, heute 91, eine Überlebende der Weltkriegsschlachten von Bir Hakeim und El Alamein. Das ist die diskrete Liebe des Generals Pierre Koenig, der später französischer Verteidigungsminister wurde; das ist diese seltsame Engländerin, die sich damals, im Wüstenkrieg gegen Rommel, allein unter 4000 Männern in Schützengräben und Minenfeldern Nordafrikas herumtrieb. Später zog sie mit nach Indochina, als einzige Frau, die je in der Fremdenlegion gedient hat. Doch das wusste kaum jemand, bis vor kurzem jedenfalls.

Liebe, Wüste, Krieg: Ein guter Stoff, aber bisher gehörte er ihr allein. Erst vor gut drei Jahren tauchten zwei Amerikaner bei ihr auf, die hatten in einem Archiv eine Notiz gefunden über »eine Frau, die in der Legion gedient hat, und das ohne jede männliche Verkleidung«. Sie sprachen von einem Film, daraus ist bisher nichts geworden, stattdessen ist nun ein Buch auf dem Markt. Madame Travers hat ihre Erinnerung abgerufen und aufschreiben lassen; die Söhne sollten es endlich wissen, die Enkel auch*. Jetzt verabschiedet sich das Gedächtnis allmählich, aber das macht nichts mehr.

Es ist besser jetzt, sie muss sich nicht mehr erinnern. Sie kann, wenn sie will. Sie liegt im Bett einer Klinik südlich von Paris und sieht sich die Bilder in ihrem Kopf an, die stellen sich scharf und verschwimmen wieder: Koenig, der geliebte General. Amilakvari, der armenische Prinz. Die Nächte in Bir Hakeim, jenem verlorenen Ort in der libyschen Wüste, auf den Rommels Armee die Granaten platzen ließ. Indochina später, die Hochzeit in Legionärsuniform. Sie selbst als junges Ding in den wilden Vorkriegsjahren. Ihr Vater, Flottenkapitän Francis Travers, für den es nur Militär und Krieg gab, der mit dem Leben nichts anzufangen wusste, wenn Frieden war.

Ob er wohl stolz wäre auf seine Tochter, jetzt, da die Leute sagen, sie sei berühmt? »Wohl nicht«, gluckst die greise Gestalt in ihrem Kissen. »Er wäre schockiert. Die Leute waren schockierbar, früher. Anders als heute. Nicht so wie jetzt.«

Sie muss ein hübsches Mädchen gewesen sein, damals, in den Vorkriegsjahren, und sie hat das gewusst. Eine Tochter aus feinem englischem Hause, deren Eltern ins

warme Exil gezogen waren, an die Côte

d''Azur: die Mutter müde, melancholisch, der Vater hart und überstreng. Dazwischen sie, die erfolglos um die Aufmerksamkeit des mürrischen Vaters buhlt.

Also geht sie den anderen Weg. Will »verrucht« sein. Spaß haben. Wartet darauf, endlich ihre Unschuld zu verlieren, es geschieht schließlich auf einer Bildungsreise in Rom: nachts im Hotelbett, mit dem Empfangschef, der sie mit einer Flasche Champagner besucht. Wird zur Lebedame, der eine sehr moderne Tante den aufwendigen Lebensstil finanziert: Partys in Cannes, Wien oder London, Tennis, Champagner, Affären, Affären, Affären mit »absolut unpassenden Männern«, in die sie sich regelmäßig, wenn auch nicht langfristig, verliebt.

Wie wird so jemand zum Militärmensch, wie gerät so jemand zur Armee? Zur Fremdenlegion, ausgerechnet: Das ist dieser Söldnertrupp, der Kriminelle, Gestrandete, Kriegssüchtige aus allen Ländern aufnimmt, der nicht nach deren Lebensgeschichte fragt und sich mit falschem Namen zufrieden gibt. Der ihnen erlaubt, sich schinden zu lassen und anschließend für Frankreich zu sterben, und wer lange genug überlebt, bekommt eine Pension. So ist es Brauch seit der Gründung der »Légion étrangère« durch König Louis Philippe im Jahr 1831. Zu Susans Zeit ist die Legion in der Krise und politisch gespalten: Nach der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen, 1940, halten es Teile mit General Charles de Gaulle und dem »Freien Frankreich«, andere mit dem Statthalter der Deutschen, dem Marschall Philippe Pétain.

Susan Travers, mittlerweile gut 30, hat zehn Jahre Party hinter sich, das reicht. Außerdem fehlt es an Männern, die sind ja im Krieg. Feine Damen gehen zum Roten Kreuz, und Susan Travers ist ja eine feine Dame, von der Abstammung her zumindest, und eine Freundin lockt: »Die Uniformen sind so schick. Und denk bloß an all die dankbaren jungen Männer.« Sie fährt nach London, meldet sich bei de Gaulles »Freien Französischen Streitkräften« und will an die Front. Als Krankenschwester? Bloß nicht. Sie hat mehr zu bieten. Sie kann Auto fahren, das hat sie in ihren jungen wilden Jahren gelernt.

Es hat ja immer diese Art von Menschen gegeben: Luxusmüde, angeekelt von einem Alltag, den sie als dekadent empfanden, und dagegen steht das Absolute, die perfekte, auf die Spitze getriebene Existenz: Blut gegen Blut. Sieg oder Tod. Sie suchen den Kampf, der alles Belanglose wegspült, diese Unwichtigkeiten, die wichtig geworden sind. Auch sie, Susan Travers, gelangweiltes Mädchen aus gutem Hause, ist bereit, dieser Faszination zu verfallen - der Faszination Krieg.

Die Politik - nun ja, an erster Stelle steht die nicht, aber plötzlich gibt es diesen »unerschütterlichen Patriotismus«, den sie überall zu spüren glaubt, ihr bisheriges Leben kommt ihr »vergleichsweise fad« vor, und zum ersten Mal fühlt sie sich »durch und durch lebendig und Teil von etwas, das viel größer war als mein bisheriger Horizont«.

Naiv? Natürlich naiv. Sie kennt die hässliche Seite des Krieges ja nicht, wie soll sie auch, sie kennt nur ihren Vater mit seinen Abenteuergeschichten und ist schnell bereit, die Legionäre zu »zielstrebigen Glücksrittern« mit »starkem Charakter« zu verklären. Sie sucht eine Aufgabe, aber Männer sucht sie auch, und die findet sie. Travers lebt eine seltsame Zwischenzeit auf ihrem Transportschiff, sie fährt mit der 13. Halbbrigade der Fremdenlegion nach Nordafrika, es ist Krieg, man hat wenig zu essen. Aber als die Stimmung an Bord zu sehr sinkt, kriegt sie irgendwo Champagner her und organisiert ein Fest.

Was will sie sein für diese Legionäre - Maskottchen? Kumpel? Frau?

Frau, natürlich, nachts jedenfalls. Es gibt ja allerhand interessante Figuren dort, Tony Drake, einen britischer Verbindungsoffizier, oder Oberstleutnant Dimitri Amilakvari, der nicht nur ein Prinz ist, sondern auch ein perfekter Verführer. Und dann Koenig, natürlich. Der General und Geliebte, dessen Chauffeur sie wird und den sie später über die Minenfelder fährt in Bir Hakeim.

Es ist ist merkwürdig, an all das zurückzudenken, in einem Krankenhausbett liegend im August 2001, im Kopf sind diese Bilder, und im Zimmer herrscht lärmende Gegenwart. Im Bett nebenan liegt eine andere alte Frau, ganz starr liegt sie da, hat sich seit Stunden nicht bewegt, und daneben hat sich massig eine Ärztin aufgebaut, sie sucht das Handgelenk für den Pulsschlag und brüllt dabei wie ein Unteroffizier: »Also, Madame, Sie wollen nicht essen. Sie machen uns Sorgen. Was soll denn das?«

In zwei Stunden werden die Ärzte zu Susan Travers kommen, werden operieren wollen, der Herzschrittmacher mache schlapp, sagen sie. Sie sagen, das sei nichts Schlimmes, das sagen sie ja immer. Nicht daran denken. Sich wegträumen. Weg aus dieser Lage, die sie immer gehasst hat: Nichts tun können. Ausgeliefert sein. Darauf warten, dass etwas Schreckliches passiert. Wie damals in Bir Hakeim.

War das klug, damals, sich in diesen General zu verlieben, so sehr, dass man nichts mehr fürchtet, nicht einmal den Tod? Sie hat sich durchgeschlagen im Gefolge der Fremdenlegion, als Fahrerin für einen Frontarzt in Eritrea, im Libanon, in Syrien, und dann muss ihr dieser Koenig begegnen, Marie-Pierre Koenig, damals 43jährig, verheiratet wie fast jeder interessante Mann.

Er verfolgt sie mit Blumen und Soldatenlyrik, geschrieben von Alan Seeger, einem dichtenden Fremdenlegionär: »Ich habe ein Rendezvous mit dem Tod / An einer umkämpften Barrikade, / Wenn der raschelnde Frühling naht / Und Blütenduft die Luft erfüllt.« Sie gibt nach. Mehr noch: Sie glaubt, dass sie den Mann ihres Lebens gefunden hat.

Koenig ist schuld, dass sie Anfang 1942 nach Bir Hakeim geraten ist, dieses elende Wüstencamp 140 Kilometer südwestlich von Tobruk, von deutschen »Stukas« bombardiert, wichtiges Ziel für Rommels Wüstenarmee. 3723 Leute und dazwischen diese Travers, die, verdammt noch mal, ihren General nicht verlassen, nicht abrücken will wie die Krankenschwestern, die alle evakuiert worden sind.

»Das war ich«, sagt die alte Dame, ihre Augen blitzen im Greisengesicht, sie tippt auf das Bild einer 33-Jährigen mit Barett auf dem Kopf und sehr geradem Blick. »La Miss haben sie mich genannt.«

Knapp 4000 Männer und Sie, Madame, irgendwo draußen in der Wüste, wie war das? Keine Angst vor diesen Männern? Keine Belästigungen? »Niemals. Ich war doch der Chauffeur des Generals.«

Sie ist ruppiger Kumpel in rauem Tuch, tapfer wie ein Kerl, der Reifen wuchtet und Minenfelder kreuzt, und sie schleicht heimlich, wenn es keiner merkt, zum General. Schließlich ist sie beides, Kriegsbraut und Kämpferin: Sie sitzt am Steuer, als Koenig in der Nacht des 10. Juni 1942 seinen berühmten Durchbruch anführt, bei dem das Gros der Truppe Rommels fast unpassierbaren Belagerungsring überwindet. Das ist, so heißt es später, eine Wende im Nordafrika-Krieg. Und das ist ihre persönliche Heldentat. Dafür bekommt sie Medaillen und später Ruhm.

Sie war ein anderer Mensch, damals, und der Mensch von heute blickt manchmal ein bisschen befremdet auf diese Susan Travers vor 60 Jahren: War das wirklich sie, diese Frau, die einen internationalen Skandal auslöste, als ihre Geschichte über den Äther ging? Der General, hieß es in einem italienischen Propagandasender, habe seine Geliebte dabei und habe sich den ganzen Nordafrika-Feldzug über bei ihr ausgeheult. Schluss mit der Liebe. Madame Koenig reist aus Frankreich an. Der General verabschiedet seine Fahrerin auf unschöne Weise. Und Susan erwägt Selbstmord, zückt im Dienstwagen die Beretta, denkt dann an die Sauerei, die so etwas verursacht, und lässt es sein.

Papas Tochter ist in den Krieg gezogen, weil sie stark sein will und mutig und unabhängig, aber jetzt ist sie doch wieder das, was sie früher war: das Anhängsel an einem Mann. Ihr Leben taugt nicht als feministische Erbauungsgeschichte, sie ist nicht die starke Frau, die Panzer in die Luft jagt und sich durchbeißt beim Militär. Nicht kriegerisch, eigentlich, und gerade weil sie das nicht war, kam die Legion mit ihr so gut zurecht. Denn dass sie eine »La Miss« akzeptierte, heißt ja nicht, dass die Legion sich geändert hätte.

Im Gegenteil, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die »Légion étrangère« wieder das, was sie früher war: Eine Eingreiftruppe, die Frankreichs Kolonialkriege zu führen hatte. Indochina, Algerien - schmutzige Kriege. Nichts für Wesen mit höherer Moral. Nichts für Susan Travers, aber das hat sie erst später festgestellt. Sie hat sich gewöhnt an diese Legion, sie

ist ihr verfallen, eine Zeit lang jedenfalls. Sie kennt kein anderes Leben mehr, das sie noch reizen würde, nach dem Krieg. Sie will bleiben, unbedingt, und bringt es sogar fertig, ganz offiziell rekrutiert zu werden, Susan Mary Travers, Registriernummer 22166 - medizinische Tests waren damals nicht zwingend vorgeschrieben, und wahrscheinlich kam niemand auf die Idee, sich bei der Durchsicht der Papiere zu fragen: Ist der Kandidat überhaupt ein Mann?

Sie zieht mit nach Indochina, als Adjutantin für Logistik, wird aber bald schwanger von einem Unteroffizier, und den heiratet sie auch. Dann ändert sie ihr Leben. Wird Madame Nicholas Schlegelmilch, Mutter von zwei Söhnen, und redet nicht mehr über früher, weil es ihr Mann so will, das war ein Teil des Pakts: Ich heirate dich, du seltsames Wesen, und du benimmst dich wie eine normale Frau.

»Respektabel. Respektabel wollte ich werden«, sagt sie heute, die greise, erinnerungssatte Madame Travers/Schlegelmilch, die nun wieder spricht über diese Dinge, »die Nicholas nicht gefallen würden«, aber nun ist er ja tot, »der arme Nicholas«. Er, der nie mehr als ein kleiner, unbedeutender Unteroffizier gewesen ist, musste 1956 mit ansehen, wie der Verteidigungsminister seiner Madame Schlegelmilch öffentlich, am Hôtel des Invalides in Paris, die »Médaille Militaire« angeheftet hat. Der Verteidigungsminister hieß Pierre Koenig. »Gut gemacht, La Miss«, sagte der, und Hunderte schauten zu und begriffen nicht, was da geschah.

Sie geriet in Vergessenheit, die Öffentlichkeit wusste nichts mehr von dieser Frau, die Legionärin gewesen war. 1996 hat man sie plötzlich wiederentdeckt, eine Delegation ist erschienen in ihrem Altersheim, mit Marschmusik und Uniformen, und hat ihr unter der Anteilnahme welker alter Damen den Orden der Ehrenlegion verliehen. Nicholas hat das nicht mehr miterlebt. Vielleicht gut so. Er hätte ihn selbst gern gehabt.

Nun schmückt sich die Fremdenlegion auf einmal mit ihrer Exotin. Sie gibt sich ja ein wenig moderner heute, hat ihren »Ehrenkodex« erneuert, der jetzt die Missionen nicht mehr »um jeden Preis« ausgeführt sehen will, sondern »unter Wahrung der Gesetze, des Kriegsrechts und der internationalen Konventionen«. Aber Frauen aufnehmen? Weibliche Soldaten?

Im vergangenen Herbst hatte der französische Verteidigungsminister erklärt, dass das ganze Militär, inklusive alle Ränge der Fremdenlegion, für Frauen zugänglich zu machen sei. Die Legion schrie: Skandal. Die Erklärung wurde zurückgezogen.

Scheint so, als ob die alte Dame es genießt, ein Sonderfall zu sein. Frauen bei der Legion? Sie glaubt, das sei keine gute Idee: »Das gibt zu viel Liebe. Zu viel Liebelei«.

Jetzt erfährt die ganze Welt von ihrer Liebe, die Kinder, die Enkel, und von einem Film ist nun auch wieder die Rede; ihr gefällt die Idee. »Es macht Spaß«, sagt die alte Lady an diesem Tag, da es ihr eigentlich nicht gut geht. »Es macht Spaß, wenn man über sich selbst sprechen kann.«

Dann ist sie müde, sehr müde, und mag nicht mehr. Die Ärzte werden bald kommen. Am späten Nachmittag wird man sie operieren. Sie muss warten. Muss hoffen, dass die Mediziner wissen, was sie tun. »Glaubt ihr«, sagt sie zu denen, die ums Bett stehen, »glaubt ihr, dass ich wieder auf die Beine komme?« Pause. »Und glaubt ihr, dass das Buch sich gut verkauft?«

* Susan Travers: »Allein unter Männern. Meine Jahre alsFremdenlegionärin«. Aus dem Englischen von Charlotte Breuer undNorbert Möllemann. List Verlag, München; 368 Seiten; 43,03 Mark.* Mit dem französischen Kriegsminister André Diethelm und dembritischen Feldmarschall Bernard Montgomery im Mai 1945 in Paris.

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