Svoboda | Graniru | BBC Russia | Golosameriki | Facebook
Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 96 / 139

Kaukasus Flucht aus Bergkarabach

19.09.2023
aus SPIEGEL Chronik 1/2023
Vertriebene in Armenien

Vertriebene in Armenien

Foto:

Vasily Krestyaninov / dpa

Es sind Bilder eines biblisch anmutenden Exodus – dramatische Szenen, die sich Ende September im Osten Armeniens abspielen. Stunde um Stunde, Tag für Tag treffen sie ein im Zentrum der Stadt Goris: Flüchtlinge aus Bergkarabach, aus der von christlichen Armeniern besiedelten, international nicht anerkannten Republik auf dem Gebiet Aserbaidschans.

Nur was sie am Leib haben und in einige wenige Taschen passt, tragen sie bei sich. Ganze Dorfgemeinschaften, vom Säugling bis zum Greis, sind auf der Flucht – die am 19. September begonnene Blitzoffensive des aserbaidschanischen Autokraten Ilham Alijew gegen die Rebellenrepublik hat bewirkt, was jahrzehnte-, ja jahrhundertelang als undenkbar galt: ein Ende der mehrtausendjährigen armenischen Siedlungsgeschichte in Karabach, dem »schwarzen Garten« im Kaukasus.

SPIEGEL CHRONIK

2023
Kriege, Klima, künstliche Intelligenz: Die Welt im Wandel

Die großen Themen des Jahres auf 180 Seiten: Zugegeben, auch 2023 bescherte den Menschen Krisen und Kriege, den Überfall der Hamas-Terroristen auf israelische Siedlungen etwa oder das zweite Jahr des ukrainischen Kampfs gegen Putin. Aber es gab ebenso Momente der Freude, der Schönheit, des Erfolgs, die von der SPIEGEL Chronik festgehalten werden: der Weltmeistertitel der deutschen Basketballer, vier Oscars für einen deutschen Film oder die Heldinnen und Helden des Alltags wie jene Dirigentin, die sich in einer Männerdomäne durchgesetzt hat. Ab Samstag am Kiosk, ab jetzt digital erhältlich.

Zur Ausgabe

Binnen weniger Tage fliehen geschätzt 120.000 Einwohner ins armenische Mutterland. Eine erzwungene Völkerwanderung, die der ohnehin krisengebeutelten Regierung in Eriwan logistisch gewaltig zusetzt. Auch strategisch muss ab sofort umgedacht werden: Der traditionelle Verbündete Russland, mit seinen Truppen in Bergkarabach als Schutz- und Garantiemacht stationiert, hat die Armenier im Stich gelassen.

Bereits Monate zuvor war das abgelegene Gebiet durch eine aserbaidschanische Blockade ausgehungert worden. Der ehemalige Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno Ocampo, warnte vergebens vor einem drohenden »Genozid« – ein Begriff, der an die düstersten Zeiten der armenischen Geschichte erinnerte, an den Völkermord an mehr als einer Million Armeniern unter osmanischer Herrschaft.

Die internationale Wertegemeinschaft aber wollte oder konnte sich zu robustem Einschreiten in Bergkarabach nicht entschließen. Die Eroberung durch die dank milliardenschwerer Erlöse aus Öl- und Gasexporten aufgerüsteten Truppen Bakus war die logische Folge. Besiegelt wurde der Triumph vom aserbaidschanischen Präsidenten Alijew höchstpersönlich: In Militäruniform angetreten, küsste und hisste er die Flagge seines Landes auf dem Boden Bergkarabachs.

wma
Zur Ausgabe
Artikel 96 / 139

Mehr lesen über