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Foto: Marvin Ruppert / Dein SPIEGEL

Thyssenkrupp in Duisburg So entsteht Stahl in Deutschlands größtem Werk

Die Mitarbeiter der Firma Thyssenkrupp in Duisburg produzieren jedes Jahr rund elf Millionen Tonnen Stahl. Das klimaschädliche Stahlkochen hat hier eine lange Tradition. Aber wie sieht die Zukunft aus?
Von Marco Wedig aus Dein SPIEGEL 2/2024

Stahl ist überall. Das fängt schon beim Frühstück an: Der Kühlschrank, aus dem du dir morgens die Butter holst, besteht zu großen Teilen aus Stahl, genauso wie der Toaster und das Spülbecken in der Küche. Autos werden zu mehr als der Hälfte aus Stahl gefertigt. Deswegen hat die Stahlproduktion in Deutschland so eine große Bedeutung. Hier werden schließlich mehrere Millionen Autos pro Jahr hergestellt.

Das Werksgelände in Duisburg ist etwa fünfmal so groß wie das Fürstentum Monaco. Hier arbeiten 14.000 Menschen.

Foto: Marko Kosczowsky / Capture Media / ThyssenKrupp

Stahl ist leicht und formbar zugleich – und trotzdem sehr stabil. Manche Bauwerke waren ohne diesen Stoff lange Zeit undenkbar, Wolkenkratzer zum Beispiel. Würde man ein solches Gebäude aus Stein bauen, wäre es viel windanfälliger, man bräuchte meterdicke Wände, im schlimmsten Fall könnte es im Boden versinken. Erst der leichte Stahl ermöglichte etwa den Bau des Empire State Building in New York.

Stahl ist also von vorne bis hinten super – wären da nicht die vielen Treibhausgase, die bei der Herstellung entstehen. Das Stahlwerk in Duisburg ist Deutschlands klimaschädlichste Fabrik. Zählt man die dazugehörigen Kraftwerke und die Kokerei hinzu, wurden im Jahr 2022 hier 16,2 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen – mehr als in ganz Litauen.

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So entsteht Stahl

Foto: Marvin Ruppert / Dein SPIEGEL

Ein großer Teil der Treibhausgase entsteht in den vier Hochöfen, die die Firma Thyssenkrupp in Duisburg betreibt. Hier produziert sie das Roheisen, das später zu Stahl weiterverarbeitet wird. Der Hochofen 1, auch »schwarzer Riese« genannt, läuft jeden Tag rund um die Uhr. Regelmäßig bohren die Arbeiterinnen und Arbeiter mit einer wuchtigen Maschine ein Loch in das untere Ende des Ofens, und flüssiges Roheisen fließt heraus. Abstich nennt sich das. Das abfließende Eisen blubbert die Abflussrinne entlang. Hin und wieder sieht es so aus, als würden wie von Zauberhand ganz viele Wunderkerzen angezündet: Im Roheisen gibt es einen kleinen Anteil Kohlenstoff. Wenn der mit Sauerstoff in der Luft reagiert, entstehen Funken. Neben dem Roheisen fließt Schlacke aus dem Hochofen – ein Nebenprodukt, das zu Sand und später zu Zement verarbeitet wird. Thyssenkrupp versucht, so viel wie möglich weiterzuverwenden.

Für die Treibhausgase gab es bisher keine gute Lösung. Dass sie ein Problem sind, wurde nicht nur in Duisburg erkannt – sondern auch in Berlin. Vor Kurzem hat die Bundesregierung versprochen: Wir geben der Firma 1,3 Milliarden Euro, damit sie in Zukunft weniger klimaschädlich produziert.

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Hierfür will Thyssenkrupp eine neuartige Anlage bauen. Der Verfahrenstechniker Thomas Baur, 47, hat sie mitentwickelt. Er erklärt, worauf es ankommt: »Das Ausgangsmaterial für Stahl ist Eisenerz. Das ist Eisen, das mit Sauerstoff zusammengebunden ist. Will man aus diesem harten Stoff ein biegsames Material herstellen, muss man dem Eisenerz Sauerstoff wegnehmen.« Im Hochofen ist dafür ein Gas zuständig, das Kohlenmon­­oxid. Es zieht den Sauerstoff aus dem Eisenerz. Es entstehen Eisen und das klimaschädliche Gas Kohlendioxid. Die Idee für die neue Anlage: »Man könnte doch auch Wasserstoff verwenden, um dem Eisenerz den Sauerstoff zu klauen. Statt schmutzigem Abgas entsteht dabei Wasser, das man nach einer kurzen Reinigung in den Rhein leiten oder weiterverwenden kann«, so Baur. Klingt simpel. Doch es sind einige Herausforderungen zu meistern.

Da ist zunächst der Bau der neuen Anlage. Etwa 140 Meter hoch soll sie werden, fast so hoch wie der Kölner Dom. Gar nicht so einfach, ein Gebäude dieser Größe auf dem weichen Untergrund in der Nähe des Rheins zu bauen. Viel schwieriger ist aber die Frage, wo der Wasserstoff herkommen soll, um die Anlage zu betreiben.

Kurze Geschichte des Stahls

Um 1323 v. Chr.: Der ägyptische Pharao Tutanchamun stirbt. Rund 3200 Jahre später findet man in seinem Grab einen Dolch, der aus Meteoriteneisen gefertigt wurde.

Vor dem 12. Jahr­hundert v. Chr.: Die ersten Stähle werden in Indien und im östlichen Mittelmeerraum erzeugt.

Um 700 n. Chr.: Der Japaner Amakuni Yasutsuna schmiedet angeblich das erste einschneidige, gekrümmte Langschwert. Ob diese Legende stimmt, ist fraglich. Fest steht: Die berühmten Samurai-Schwerter wurden aus einem besonderen Stahl hergestellt.

1855: Der englische Ingenieur Henry Bessemer entwickelt das nach ihm benannte Bessemer-Verfahren. Es ermöglichte eine günstige Massenproduktion von Stahl – ein wichtiger Schritt für die industrielle Revolution.

Henry Bessemer erfand ein Verfahren, um Stahl günstig herzustellen.

Foto: Nastasic / Getty Images

1889: Der Eiffelturm in Paris wird aus 18.038 Schmiedeeisen-Teilen fertiggestellt. Allein das Metallgerüst wiegt 7300 Tonnen.

1933 bis 1945: Unter den National­sozialisten wird die Stadt Essen, Sitz der Stahl- und Rüstungsfirma Friedrich Krupp AG, zur »Waffenschmiede des Reichs«.

1951: Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande schließen sich zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zusammen. Die Idee: Die kriegswichtigen Rohstoffe sollen gemeinsam kontrolliert werden, um weitere Kriege zu verhindern. Aus der EGKS entwickelt sich später die Euro­päische Union.

1974: Die deutsche Industrie produziert 53 Millionen Tonnen Stahl – Rekord. Danach folgt die Krise. Weltweit gibt es immer größere Konkurrenz unter den Stahlfirmen.

1999: Die beiden Stahlriesen Krupp und Thyssen schließen sich zu einer Firma zusammen.

2023: Thyssenkrupp überlegt, Teile des Stahlgeschäfts zu verkaufen. Doch es gibt auch gute Nachrichten für die Firma: Die Bundesregierung und das Land Nordrhein-Westfalen versprechen Fördergelder in Höhe von rund zwei Milliarden Euro.

Dazu muss man wissen: Zur Herstellung von ausreichend Wasserstoff braucht man viel Energie. Um die neue Anlage damit zu versorgen, wären über 800 neue Windräder auf dem Meer und an Land nötig. Im Idealfall stellt man den Strom dort her, wo es am günstigsten ist. Also zum Beispiel in Norwegen, wo mit Wasserkraft viel grüner Strom entsteht. Oder in Marokko, wo sich reichlich Solarenergie nutzen lässt. Und wenn man schon dabei ist – sollte man in diesen Ländern nicht auch gleich das Roheisen erzeugen?

Thomas Baur sagt: »Wenn wir mit solchen Anlagen in anderen Regionen der Welt, zum Beispiel in Nordafrika, Roheisen produzieren würden, müssten wir den dort hergestellten Eisenschwamm über weite Transportwege hinweg hierherbringen. Außerdem müsste er dann bei uns mit viel Energie wieder aufgeschmolzen werden, um zu Stahl weiter­verarbeitet werden zu können. Aus unserer Sicht hat es daher mehr Sinn, vom Roheisen bis zu den fertigen Stahlblechrollen, den Coils, alles in Deutschland zu pro­duzieren.«

Es gibt allerdings auch eine Studie, laut der es günstiger wäre, das Roheisen nach Deutschland zu transportieren, anstatt den Wasserstoff hierher zu verschiffen. Doch weiß man auch seit Corona und dem Krieg in der Ukraine: Man kann sich nicht immer darauf verlassen, dass der Transport wichtiger Materialien aus dem Ausland nach Deutschland reibungslos klappt. Teils mussten Unternehmen wochen- oder monatelang auf Lieferungen warten. Auch das würde dafür sprechen, das Roheisen in Deutschland herzustellen – um für Krisen gewappnet zu sein.

Ende 2026 will Thyssenkrupp die erste Anlage des neuen Typs in Betrieb nehmen. Nach einer Übergangsphase soll dann der erste Hochofen abgestellt werden. Bis 2045 soll die Stahlproduktion komplett klimaneutral erfolgen. Doch noch brennen die Feuer in den Hochöfen.

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Dieser Artikel erschien in »Dein SPIEGEL« 2/2024.

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